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Fachartikel
25. April 2023

Leitfaden zu Planung, Bau und Betrieb

Wasserstoff-Rohrleitungsanlagen

Noch fehlt der Schweiz eine Wasserstoffstrategie. Dessen ungeachtet werden in etwa sieben Jahren H2-Infrastrukturen bis an Grenzen des Landes führen. Der H2-Transport durch Rohrleitungen – umgerüstete oder neue – wird somit immer mehr zum Thema. Umso dringlicher werden die Fragen, nach welchen technischen Grundlagen Wasserstoffrohrleitungen geplant, gebaut und betrieben werden können. Genau darauf liefert die neu erarbeitete SVGW-Empfehlung H1000, das erste H-Dokument im SVGW-Regelwerk, Antworten. Diese basieren auf Erkenntnissen aus bestehenden Wasserstoff- und Gasinfrastrukturen sowie auf den daraus abgeleiteten Normen und Regelwerken.
Bettina  Bordenet , Matthias Hafner, 

Europa und die Schweiz haben sich zum Ziel gesetzt, die Energieversorgung bis 2050 klimaneutral umzugestalten – also nicht mehr Treibhausgase ausstossen, als natürliche und technische Speicher aufnehmen können. Mit ihrem Netto-Null-Ziel kommt die Schweiz ihrer Verpflichtung aus dem Pariser Übereinkommen nach und trägt zudem den wissenschaftlichen Erkenntnissen des Weltklimarats Rechnung.

Um das Ziel zu erreichen, sind die heutigen fossilen Primärenergieträger zukünftig durch erneuerbare zu ersetzt. Mit der kompletten Umstellung auf Elektronen (Strom) ist dies nicht zu schaffen; es braucht gasförmige und flüssige Moleküle auf Basis erneuerbarer Energien als Energieträger. Diese werden integraler Bestandteil des europäischen Energiesystems sein. Dabei übernimmt Wasserstoff (H2) eine tragende Rolle. Zum einen überzeugt H2 durch seine sehr hohe Energiedichte, zum anderen ist er ungiftig und sicher, aber vor allem ist Wasserstoff – je nach Ressource – klimaneutral. Wasserstoff kann genutzt werden als Brenn- und Treibstoff, als Energieträger und saisonaler Energiespeicher sowie für zahlreiche Anwendungen in der Industrie, in der Mobilität, im Energie- und im Gebäudesektor (EU-Wasserstoffstrategie) [1].

Wasserstoff ist somit fest verankert im Green Deal der EU und im künftigen europäischen Energiesystem. Und wie reagiert die Schweiz auf diese Entwicklungen um sie herum – vor allem im Hinblick auf die bestehenden und zukünftigen H2-Infrastrukturen? In diversen Studien von der Empa, dem Paul Scherrer Institut oder der ETH Zürich wurde das Thema «Wasserstoff» untersucht. Auch Studien der Strombranche belegen die bedeutende Rolle von Wasserstoff in der zukünftigen Energieversorgung, wie z. B. «Energiezukunft 2050» des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) und der Empa [2].

Während in anderen Ländern wie Deutschland oder den Niederlanden bereits Wasserstoffstrategien vorhanden sind, spielt der Wasserstoff in der hiesigen Energie- und Klimapolitik bis jetzt nur eine bescheidene Rolle. So hat das Bundesamt für Energie (BFE) 2020 in den veröffentlichten Energieperspektiven 2050+ [3] aufgezeigt, dass Wasserstoff einen Beitrag zur Erreichung des Netto-Null-Ziels 2050 leisten kann. Derzeit erarbeitet das BFE die «Wasserstoff-Roadmap 2050». Untersucht werden verschiedene Aspekte der Produktion, Speicherung und Verwendung von Wasserstoff für die Schweiz wie auch mögliche regulatorische Rahmenbedingungen. Ein erstes Thesenpapier dazu ist 2022 erschienen [4].

Nebst all diesen Studien zu Kapazität und möglichem Absatz in der Schweiz werden und wurden bereits einzelne Produktions- und Anwendungsprojekte umgesetzt oder sind in Planung. Um die Umsetzung der Wasserstoffrohrleitungsanlagen zu unterstützen, wurde 2021 das Projekt «Leitfaden zu Planung, Bau und Betrieb» lanciert. Dieses Projekt gliedert sich in drei Teile: Grundlagen (dieser Artikel), der eigentliche Leitfaden als SVGW-Empfehlung H1000 und in eine erste Umsetzung über eine Machbarkeitsstudie der Gruner AG. Das von BFE, FOGA und iwb geförderte Projekt wurde von SVGW, iwb und Gruner umgesetzt

Wasserstoff als Energieträger und Rohstoff

Wasserstoff ist ein sekundärer Energieträger. Er kann aus verschiedenen Energiequellen sowie Technologien erzeugt werden und ist vielseitig anwendbar und speicherbar.

Im Grundsatz ist H2 ein chemischer Energiespeicher. Er kann in grossen Mengen gespeichert, über grössere Distanzen effizient transportiert und dadurch bedarfsorientiert eingesetzt werden. Dies sind keine neuen Erkenntnisse. So gab es seit der Ölkrise 1973 immer wieder Anläufe, Wasserstoff als Ersatz von fossilen Energieträgern zu etablieren. Allerdings scheiterten diese Vorhaben meist an den tiefen Preisen der fossilen Energieträger Erdöl und Erdgas.

Als Rohstoff wird H2 bei chemischen und industriellen Prozessen seit langem rege eingesetzt: In der Lebensmittelindustrie dient er zum Hydrieren von Fettsäuren, in der Metallindustrie wird er als Schutzgas bei Wärmebehandlungen eingesetzt, und in der chemischen Industrie wird Wasserstoff in grossen Mengen zur Synthese von Ammoniak, Methanol und Alkohol genutzt.

Wasserstoff blickt zwar auf eine lange Nutzungsgeschichte in der Industrie zurück, wird aber noch heute primär aus fossilen Energieträgern erzeugt (Fig. 1).

Eigenschaften von H2

Die genannten Anwendungen setzen physikalische Kenntnisse über die Eigenschaften von Wasserstoff voraus. Sie sind Grundlage zur Planung, Bau und Betrieb von Wasserstoffinfrastrukturen. Die Eigenschaften von Wasserstoff werden verglichen mit denen von Erdgas bzw. von Methan – mit 83–98% Hauptbestandteil von Erdgas [5]. Basis dabei sind die bisherigen Erfahrungen aus der Gasinfrastruktur. Diese werden im Hinblick auf den Einsatz von Wasserstoff bewertet.

Der direkte Vergleich der physikalischen Kenngrössen zeigt, dass Wasserstoff und Methan sich bei der Zündtemperatur in Luft und bei der unteren Explosionsgrenze nicht wesentlich unterscheiden. Relevante Unterschiede sind bei anderen sicherheitsrelevanten Punkten festzustellen: Dichte, obere Explosionsgrenze (OEG), Sauerstoffgrenzkonzentration, Verbrennung (fast unsichtbare Flamme) und Mindestzündenergie (MZE).

So hat die deutlich kleinere Dichte (ca. achtmal kleiner) und die kleinere dynamische Viskosität von reinem Wasserstoff im Vergleich zu Methan einen geringeren Druckverlust beim Transport in Rohrleitungen [3] zur Folge. Mit der Möglichkeit einer höheren Strömungsgeschwindigkeit für Wasserstoff können die geringe Dichte und entsprechende geringere Energiemenge kompensiert werden.

Beim Transport von Wasserstoff in Rohrleitungen sind noch weitere Aspekte zu berücksichtigen: Zum einen die Permeation, die u. a. für den Verlust von Wasserstoff durch die Rohrwand verantwortlich ist, zum anderen die Wasserstoffversprödung, welche die Bruchmechanik und damit die Langzeitstabilität der Rohrleitung beeinflusst.

Zu erwähnen ist zudem ein sicherheitstechnischer Aspekt: Aufgrund der mit Methan verglichenen wesentlich breiteren Explosionsgrenzen, der geringeren Zündenergie (Tab. 1) und der ca. dreimal geringeren Energieaustrittsmenge bei einer Havarie, ist das Schadenspotenzial eines Brandes und einer Explosion einer Wasserstoffrohrleitungsanlage anders zu bewerten als bei einer Rohrleitungsanlage für Erdgas [6].

Produktion von H2

Wasserstoff kann unter anderem über folgende Verfahren produziert werden: Elektrolyse, biologische Umwandlung, Reformierung (Dampf, autotherm), Vergasung (Kohle, Biomasse) und thermische Pyrolyse. Es sind mehrheitlich über Jahrzehnte industriell erprobte Technologien zur Herstellung von Wasserstoff. Derzeit wird der allergrösste Anteil über Dampfreformierung aus Erdgas erzeugt. Bei diesem Verfahren werden grössere Mengen von CO2 freigesetzt. Weitgehend emissionsfrei ist das Verfahren der Wasser-Elektrolyse (Fig. 2). Aktuell steht vor allem dieses Verfahren im Fokus; Technologien mit Alkali, Polymerelektrolytmembran (PEM) und Festoxid (SOEC) sind gut etabliert. Wird zur Erzeugung auch noch nachhaltiger Strom eingesetzt, entsteht der sogenannte grüne Wasserstoff. Um zukünftig einen relevanten Anteil am Energie- und Wirtschaftssystem zu erbringen, sind die genannten Produktionstechnologien weiterzuentwickeln in Richtung stabil, robust, skalierbar und vor allem kostengünstig.

Diese technischen Entwicklungen gepaart mit günstigen Rahmenbedingungen sprechen dafür, dass der Wasserstoff längerfristig eine bedeutende Rolle im zukünftigen Energiesystem spielen wird – als Energieträger, der in grossen Mengen speicherbarer und transportierbar ist und bedarfsorientiert eingesetzt werden kann.

Anforderungen an die Beschaffenheit

Je nach Produktionsverfahren von H2 sind unterschiedliche Verunreinigungen möglich oder sehr unwahrscheinlich [7]. Mit endsprechenden Aufbereitungsverfahren kann die Beschaffenheit angepasst werden, denn sie ist ein wichtiges Kriterium für die nachgelagerten Anwendungen, um deren störungsfreien und langjährigen Betrieb zu garantieren. Bei PEM-Brennstoffzellen für die Mobilität ist ein höherer Reinheitsgrad Gruppe D (SN ISO 17124), vergleichbar mit Reinheit 3.7 (H2 ≥ 99,97%), gefordert als bei einem Verbrennungsprozess (stationärer Gasmotor etc.) oder als Rohstoff für die Industrie. So wird beispielsweise zur Hydrierung in der Erdölraffination lediglich eine Reinheit von 3.0 (H2 ≥ 99,9%) verlangt.

Erfolgt der Transport in umgewidmeten Rohrleitungsanlagen, die vorher Erdgas transportiert haben, muss angenommen werden, dass an der Übergabestelle zum Anwender derzeit nur eine Reinheit Gruppe A (> 98%) garantiert werden kann (SN ISO 14687:2020). Somit müsste für den Einsatz in der Mobilität eine Aufbereitung vor Ort erfolgen. Grundsätzlich müssen die Standorte für die Aufbereitung in einer Wasserstoffinfrastruktur möglichst strategisch positioniert sein, um die Effizienz der Infrastruktur zu steigern und zusätzliche Verunreinigung durch den Transport zu minimieren.

Erfolgt der Transport über eine neue Rohrleitungsanlage, muss geklärt werden, mit welcher Wasserstoffqualität die erstellte Anlage betrieben werden soll. Dies kann Auswirkungen auf die Auswahl der Werkstoffe, Komponenten, Erstellung, Bereitstellung und den Betrieb der Rohrleitungsanlage haben.

Mögliche Transportsysteme

Da nur selten Wasserstoff direkt am Produktionsstandort genutzt wird, braucht es für den Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft eine Infrastruktur für den H2-Transport. Es werden Transport-Infrastrukturen für kurze, mittlere und lange Distanzen sowie für kleine oder grössere Transportvolumen benötigt. Für kleinere Volumen, spezifische Beschaffenheiten sowie kurze Strecken ist ein Transport in Druckbehältern, z.B. in Trailern oder Gasflaschenbündel, am geeignetsten. Für den europäische, nationalen und regionalen Transport sowie für die lokale Verteilung in H2-Clustern spielen hingegen Rohrleitungsanlagen eine zentrale Rolle. Sie sind mit Abstand die günstigste Transportoption. Zu einem grossen Teil können bestehende Infrastrukturen (Erdgasnetz und -speicher) umgewidmet werden, andere müssen neu erstellt werden. Es braucht aber auch neue Transporttechnologien für die Importe per Schiff, z. B. der Transport von Wasserstoff in chemisch oder physikalisch gebundener Form (Ammoniak, synthetisches Methan [SNG], flüssige organische Wasserstoffträger [LOHC, Liquid Organic Hydrogen Carriers]). All diese Technologien gilt es, in ein Multienergiesystems vom internationalen bis zum lokalen Niveau einzubinden.

H2 als Speichermedium

Wasserstoff ist nicht nur ein geeignetes Molekül zum Transport von Energie, er eignet sich auch als Speichermedium. Durch den Einsatz von Wasserstoff kann Energie gespeichert werden und zu einem späteren Zeitpunkt wieder freigegeben werden. Ohne nennenswerte Verluste kann gasförmiger Wasserstoff über längere Zeit in Kavernen, Druckbehältern etc. gespeichert werden. Dies prädestiniert den Wasserstoff als eine Speichertechnologie für erneuerbare Energien. In der Schweiz sind derzeit keine grösseren Untergrundspeicher vorhanden. Projekte der hiesigen Gasbranche liegen vor (Gaznat, Oberwald). Jedoch hat die Schweiz über die bestehende europäische Gasinfrastruktur Zugang zu europäische Untergrundspeicher.

Daneben kann der Wasserstoff auch in chemischer oder physikalischer Form gespeichert werden (z.B. Ammoniak, SNG, LOHC, E-Fuels, Metallhydride). Die Umwandlung und Speicherung können dabei lokal oder national erfolgen.

Künftige mögliche Anwendung

Als Energieträger könnte Wasserstoff Erdgas ersetzen. Durch die Synthese zu Methan wäre er gar ein Eins-zu-eins-Ersatz. Er könnte in der Stahlerzeugung, Glasproduktion und Ammoniakproduktion und weiteren wärmeintensiven Industrieprozesse genutzt werden. Eine weitere Anwendung ist der Schwerlastverkehr auf der Strasse – eine Tankstelleninfrastruktur entlang der Schweizer Hauptverkehrsachen ist bereits am Entstehen [8].

Mit seiner Speicherbarkeit und hohen Energiedichte hat Wasserstoff zudem das Potenzial, ein zentraler Baustein der Sektorenkopplung und zu einer tragenden Säule der Energieversorgung im Winter zu werden [2]. Umso wichtiger ist es, in Zukunft alle Sektoren (Strom, Wasserstoff und Anergie) mit den unterschiedlichsten Produktionen, Speichern und Anwendungen auf den unterschiedlichsten Ebenen (Gebäude, Areal, regional, national und international) miteinander effizient und resilient zu verknüpfen.

Wasserstoffinfrastruktur – Fokus Leitungen

Infrastruktur international

Zu Wasserstoffnetzen liegen jahrzehntelange Erfahrung aus verschiedenen Ländern vor. Meist handelt es sich um privat betriebene Netze zwischen verschiedenen Chemie- oder Raffineriewerken, die Wasserstoff produzieren oder als Prozessgas nutzen. In Deutschland, im Rhein-/Ruhrgebiet, betreibt heute Air Liquide ein 240 km langes Wasserstoffnetz [9], dessen Anfänge bis in die 1930er-Jahre zurückreichen. Auch in Mitteldeutschland um den Chemiestandort Bitterfeld wird ein Netz von 140 km Länge betrieben [10]. In Belgien, Nordfrankreich und im Süden der Niederlande besteht ebenfalls ein Netz von mehreren hundert Kilometern.

Die gemachten Betriebserfahrungen mit diesen H2-Netzen [11] bilden die Grundlagen für den Aufbau einer europäischen Wasserstoffinfrastruktur und fliessen jetzt in die Umwidmung von Teilen der europäischen Gasinfrastruktur ein. Nun ist der Energieträger Wasserstoff zusätzlich ein integrierter Bestandteil des Green Deals der EU und entsprechende Rahmenbedingungen zum Transport und Handel werden erstellt. In diesem Umfeld haben sich europäische Gasfernnetzbetreiber sowie Speicherbetreiber zur Initiative European Hydrogen Backbone (EHB) zusammengeschlossen, um eine entsprechende Umwidmung der Erdgasinfrastruktur voranzutreiben und die bereits bestehenden Wasserstoffinfrastrukturen zu integrieren.

Aktuelle Entwicklungen können auf der EHB-Website verfolgt werden. So lässt sich dort beispielsweise ablesen, dass in circa sieben Jahren H2-Transportinfrastrukturen bis an die Schweizer Grenzen geführt werden (Fig. 3). Dies geschieht mehrheitlich durch eine Umwidmung bestehender Infrastrukturen und durch Neubauten. Gleichzeitig werden weltweit Wasserstoffproduktionskapazitäten errichtet.
Nebst dem Vorhaben ein europäisches Wasserstoffnetz zu errichten, gibt es in Europa auch nationale und regionale Projekte zur Errichtung von Wasserstoffinfrastruktur. Zu erwähnen sind hier die Beneluxstaaten, England, Dänemark und Deutschland.

Aktuelle Situation in der Schweiz

In der Schweiz wurden schon Projekte zur lokalen Produktion umgesetzt oder sind noch in der Planungsphase (Gösgen, Hydrospider etc.). Mehrheitlich geht es um die H2-Verwendung im Schwerverkehr (Lkw) mit entsprechendem Tankstellennetz in der Schweiz. Die Abfüllung auf den Trailer erfolgt an der Produktionsanlage und wird anschliessend per Lkw an die Tankstellen geliefert. Erste Projekte sind nun aufgegleist, wo die Abfüllung oder Anwendung nicht mehr auf dem Areal der Wasserstoffproduktion erfolgen kann. Bei diesen Projekten (Gruyère Hydrogen Power SA in Bulle, Axpo in Brugg und Alpiq in Freienbach) sind Rohrleitungsanlagen zum Transport von Wasserstoff geplant.

Der Anschluss der Schweiz an die europäische Wasserstoffinfrastruktur über die bestehende Gasinfrastruktur ist grundsätzlich technisch machbar. Derzeit analysiert die Branche ihre Assets, um Kosten und Möglichkeiten zu evaluieren. Ausgewählte Gasinfrastrukturen könnten für den Wasserstoff umgerüstet werden. In diese Planungen werden auch Aspekte zur saisonalen Speicherung und Durchgängigkeit von Netzen einfliessen. So ist zu hinterfragen, an welchen Orten die Produktion, Speicherung und Wiederverstromung von Wasserstoff strategisch in der Energieinfrastruktur platziert wird. All diese Planungen sind aber nur zielführend, wenn sie in eine gesamten Energiestrategie eingebunden werden.

Je konkreter es in den Projekten um den H2-Transport durch Rohrleitungen geht – umgerüstete oder neue –, umso dringlicher werden die Fragen, nach welchen Grundsätzen Wasserstoffrohrleitungen geplant, gebaut und betrieben werden. Genau darauf liefert die neu erarbeitete SVGW-Empfehlung H1000, das erste H-Dokument im SVGW-Regelwerk, erste Antworten.

Die Empfehlung H1000 ist seit April 2023 in Kraft und kann im SVGW-Shop bezogen werden.

SVGW-Empfehlung H1000

Die SVGW-Empfehlung H1000 zu Planung, Bau und Betrieb von Rohrleitungsanlagen fĂĽr den Transport von Wasserstoff wurde erstellt im Rahmen des Projektes fĂĽr einen Leitfaden zur Planung, Bau und Betrieb von Wasserstoffrohrleitungen. Durch eine Vernehmlassung bei SVGW-Mitgliedern und interessierten Akteuren ist die H1000 technisch breit abgestĂĽtzt. Der SVGW-Vorstand hat die Empfehlung zum 1. April 2023 in Kraft gesetzt.

Die Empfehlung ist einerseits eine Hilfestellung fĂĽr heutige und zukĂĽnftige Projekte bezĂĽglich Planung, Bau und Betrieb von Wasserstoffrohrleitungsanlagen, andererseits liefert sie technische Grundlagen. FĂĽr die technischen Aspekte wurden nationale wie auch internationale Gesetzgebungen berĂĽcksichtigt.

Die Empfehlung H1000 basiert auf Erkenntnissen aus bestehenden Wasserstoff- und Gasinfrastrukturen und den daraus abgeleiteten Normen und Regelwerken. Der aktuelle Wissensstand aus Forschung sowie praktische Erfahrung aus konkreten Umsetzungen im In- und Ausland wurden ebenfalls mit einbezogen.

Geltungsbereich

Die Empfehlung H1000 ist gültig für neu zu erstellende Rohrleitungsanlagen und Rohrleitungen für den Transport und die Verteilung von reinem gasförmigem Wasserstoff (Gruppe A und D gemäss SVGW-Richtlinie G18 Gasbeschaffenheit) bis und mit Absperrarmatur am resp. im Gebäude oder Areal. Dazu gehören z. B. Rohrleitungsanlage innerhalb einer Wasserstoffanlage für den direkten Transport von Produktion zum Abnehmer (Fig. 4).

Des Weiteren ist die Empfehlung gültig für Rohrleitungsanlagen innerhalb einer lokalen oder nationalen Wasserstoffinfrastruktur. Die zusätzlichen Anforderungen für den Wasserstofftransport, im Vergleich zu methanhaltigem Gas (Erdgas, H-Gas oder Biomethan) können ebenfalls auf neu zu erstellende Rohrleitungen in einer bestehenden Gasinfrastruktur angewandt werden, die dann zu einem späteren Zeitpunkt für den Transport von Wasserstoff umgewidmet werden können.

Normative Grundlagen

Die bisher bestehenden Wasserstoffinfrastrukturen weltweit wurden grundsätzlich basierend auf Normen und Regelwerke aus dem Bereich der technischen Gase erstellt. Diese sind in Europa konform mit der Druckgeräterichtlinie 2014/68/EU. In der Schweiz ist vor allem das Bundesgesetz für die Produktesicherheit (PrSG, SR 930.11) und die dazugehörigen Verordnungen, insbesondere die Druckgeräteverordnung (DGV, SR 930.114) heranzuziehen.

Rohrleitungsanlagen für den Transport von Brenn- und Treibstoffen, die zur Gasinfrastruktur für Erdgas (z. B. H-Gasnetz) gehören, werden nach Normen und technischen Regelwerken gebaut und geprüft, welche die DGV bzw. die EU-Druckgeräterichtlinie 2014/68/EU konkretisieren. Jedoch sind Fernleitungen explizit aus der EU-Druckgeräterichtlinie (Art. 1 Abs. 2a) ausgenommen.

Bei einer Erweiterung oder Veränderung von Fernleitungen während des laufenden Betriebs sind Ersatzmassnahmen, national und europäisch (CEN), definiert – äquivalent zu den Prüfungen und Abnahmen aus der EU-Druckgeräterichtlinie 2014/68/EU.

Für die Planung sowie den Bau und Betrieb von Rohrleitungsanlagen zum Transport von Erdgas (H-Gas nach SVGW-Richtlinie G18) müssen für die Schweiz das Bundesgesetz über Rohrleitungsanlagen zur Beförderung flüssiger oder gasförmiger Brenn- oder Treibstoffe (RLG, SR 746.1) und die entsprechenden Verordnungen (ERI-Richtlinie, SVGW-Richtlinie G2 für Rohrleitungen) konsultiert werden.

Aktuell fallen Rohrleitungsanlagen, die reinen Wasserstoff führen, nach Art. 1 Rohrleitungsverordnung (RLV, SR 746.11) noch nicht in den Anwendungsbereich von RLG und den dazugehörigen Verordnungen.

Es ist anzustreben, dass zukünftige Rohrleitungsanlagen für den Transport von Wasserstoff einer revidierten Rohrleitungsgesetzgebung unterstellt werden, deren Fokus der sichere und nachhaltige Betrieb – unabhängig von der Anwendung des Fluids – wie auch die Gewährleistung der Versorgungssicherheit ist. Der Anwendungsbereich der europäischen Normen (CEN) für die Gasinfrastruktur wird zurzeit erweitert von 100% Erdgas auf bis zu 100% Wasserstoff. Die ergänzten Normen sollten bis 2024 zur Verfügung stehen. Die Rohrleitungsanlage könnte so ohne grossen Aufwand während des Betriebs kontinuierlich erweitert werden.

Für die Gasinfrastruktur mit methanreichen Gasen gelten spezifische europäische Normen, die mit den Anforderungen aus der EU-Druckgeräterichtlinie 2014/68/EU abgeglichen sind und im Technischen Komitee CEN/TC 234 Gasinfrastruktur betreut werden. Das Komitee hat von der europäischen Kommission den Auftrag erhalten, das heutige Regelwerk von 100% Erdgas auf bis zu 100% Wasserstoff zu erweitern. Einige Normen sind bereits ergänzt und angepasst. Der SVGW verfolgt mit seinen Mitgliedern diese Aktivitäten und ist auch bei der Überarbeitung einiger Normen aktiv beteiligt. Gemäss einer Bewertung des CEN/TC234 wird davon ausgegangen, dass das bestehende Regelwerk auch für Wasserstoff verwendet werden kann.

Die SVGW-Empfehlung H1000 bildet den aktuellen Stand der Normierung ab und wird bei neueren Entwicklungen entsprechend aktualisiert werden.

Randbedingungen fĂĽr die Planung

Für die Planung und Auslegung einer Wasserstoffrohrleitungsanlage sind neben grundsätzlichen Aspekten des Rohrleitungsbaus, wie Transportkapazität und Dimensionierung, auch die H2-Beschaffenheit sowie eine mögliche Erweiterung der Rohrleitungsanlage oder Integration in eine Wasserstoffinfrastruktur zu berücksichtigen. Dabei ist zu beachten, dass Beschaffenheit und Druckniveau einen signifikanten Einfluss auf Investition- und Betriebskosten der Rohrleitungsanlage haben.

Für einen Transport von Wasserstoff per Trailer oder Container kann die georderte Reinheit für jeden Vorgang individuell gewählt werden. Beim Transport per Rohrleitung entspricht der erreichbare Reinheitsgrad derjenigen des Netzes. Wenn Rohrleitungsanlagen ausschliesslich für die Mobilität vorgesehen sind, kann die gesamte Anlage mit der höheren Reinheit von Wasserstoff (Gruppe D, H2 ≥ 99,97%) betrieben werden und einem Druckniveau, das auf die Tankstelleninfrastruktur abgestimmt ist. Die spezifische Auslegung auf die Bedürfnisse einer einzelnen Wasserstoffanwendung können eine Erweiterbarkeit auf andere Anwender erschweren.

Sind jedoch Anwender mit verschiedenen Anforderungen angeschlossen, kann es eine wirtschaftliche interessante Option sein, die gesamte Anlage mit einem niedrigeren Reinheitsgrad (Gruppe A, H2 ≥ 98%) zu betreiben. Hierbei wird die Aufbereitung auf höhere Reinheiten (Gruppe D) nur für wenige Abnehmer direkt vor Ort nötig sein. Des Weiteren kann diese Anordnung einfach in eine Wasserstoffinfrastruktur mit A-Beschaffenheit (z. B. European Hydrogen Backbone) eingebunden werden. Es ist vorgesehen, in nationale und europäische Transportnetze für Wasserstoff einen grossen Anteil umgewidmeter Erdgasrohrleitungsanlagen einzubinden. Daher werden diese Rohrleitungsanlagen mit A-Beschaffenheit betrieben werden.

Wechselwirkung mit Werkstoffen

Neben den allgemeinen Anforderungen an den Rohrleitungsbau müssen die Wechselwirkungen von Wasserstoff mit den Werkstoffen, wie Wasserstoffversprödung und Permeation, bereits während der Auslegung berücksichtigt werden. Es werden geeignete Werkstoffe empfohlen, wie auch Randbedingungen aufgezeigt, die einen sicheren und zuverlässigen Betrieb ermöglichen.

Des Weiteren sind die Auswirkungen der physikalischen und chemischen Eigenschaften des Wasserstoffs auf sicherheitstechnischen Kenngrössen zu berücksichtigen Dies trifft sowohl für die Anlagen- und Arbeitssicherheit der Rohrleitungsanlagen selbst zu wie auch auf eine Bewertung der Gefahren, die von einer solchen Anlage ausgehen. Verschiedene Dokumente aus dem europäischen Ausland stehen bereits zur Verfügung und können beigezogen werden. Da in der Schweiz noch keine Rahmenberichte für die Gefahren von H2-Rohrleitungen vorliegen, ist eine projektbezogene Risikoanalyse erforderlich.

Tabellarische Ăśbersicht

Zu Planung, Bau und Betrieb werden die beizuziehenden Normen und Regelwerke in der Empfehlung beschrieben und in einer tabellarischen Ăśbersicht aufgefĂĽhrt und auf relevante Kapitel innerhalb dieser Dokumente verwiesen.

Ausblick

Die SVGW-Empfehlung H1000 bildet eine erste Grundlage zu Planung, Bau und Betrieb von Wasserstoffrohrleitungsanlagen. Sobald grundlegende Änderungen im Bereich der Gesetzgebung und/oder Normierung/Regelwerk vorliegen, wird die Empfehlung aktualisiert und bei Bedarf erweitert. Längerfristig ist es ein Ziel, eine Richtlinie für Planung, Bau und Betrieb von Wasserstoffrohrleitungsanlagen zu entwickeln mit konkreten Anforderungen für den Rohrleitungsbau, wie z. B. Sicherheitsabstände zu anderen Gewerken. Hierzu müssen noch weitere Arbeiten und Abklärungen in Zusammenarbeit mit Behörden und anderen Verbänden erfolgen. Die H1000 kann hierbei als Grundlage zur Erstellung von Richtlinien im Bereich der Wasserstoffinfrastrukturen genutzt werden, die die anerkannten Regeln der Technik abbilden. Allfällige zusätzliche Anforderungen für Wasserstoff in der Gasinfrastruktur werden nach Bedarf auch im bestehenden SVGW-Regelwerk aktualisiert. Heute beinhaltet bereits die Richtlinie G18 zur Gasbeschaffenheit die Reinheitsanforderungen für Wasserstoff. Und die Richtlinie G13 zur Einspeisung von erneuerbaren Gasen erlaubt seit Jahren eine Einspeisung von Wasserstoff in das Gasnetz.

Bibliographie

[1] European Commission (2020): A hydrogen strategy for a climate-neutral Europe
[2] VSE (2022): Energiezukunft 2050. Energieversorgung der Schweiz bis 2050 – Zusammenfassung von Ergebnissen und Grundlagen
[3] Bundesamt fĂĽr Energie (2020): Energieperspektiven 2050+
[4] Bundesamt fĂĽr Energie (2022): Thesen zur kĂĽnftigen Bedeutung von Wasserstoff in der Schweizer Energieversorgung
[5] Cerbe, G. (2008): Grundlagen der Gastechnik. 7. Auflage, Carl Hanser Verlag
[6] Neumann, H. et al. (2021): Hypos: Leitfaden Wasserstoffsicherheit
[7] Lubenau, U.; Baumann, D. (2020): Wasserstoffqualität, Bericht GWB 31, DBI
[8] https://hydrospider.ch/tankstellen/
[9] Wasserstoff-Roadmap Nordrhein-Westfahlen, MWIDE20-001, Oktober 2020
[10] www.hypos-eastgermany.de/
[11] Campbell, J. (2005): Questions and Issues on Hydrogen Pipelines, DOE Hydrogen Pipeline Working Group Meeting, August 31

Dank

Wir danken dem Bundesamt fĂĽr Energie (BFE), dem Forschungsfonds der Schweizerischen Gasindustrie (FOGA) und iwb fĂĽr die UnterstĂĽtzung bei der Fallstudie und bei der Erstellung der SVGW-Empfehlung H1000.

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