Die Nutzung von Rohbiogas (auch: Klärgas) hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Früher war es üblich, das Rohbiogas, das bei der Vergärung von Klärschlamm entsteht, in Blockheizkraftwerken zu verbrennen, um Wärme und Strom zu gewinnen. In den letzten Jahren wird Rohbiogas vermehrt zu Biogas aufbereitet, statt verbrannt. Bei der Aufbereitung wird das Kohlendioxid (CO2), das rund 40% des Klärgases ausmacht, abgetrennt. Das verbleibende Biogas besteht aus reinem Methan, ist chemisch also identisch mit Erdgas und kann ins Gasnetz eingespeist werden. Mit dem Biogas steht ein klimaneutraler Energieträger zur Verfügung, der sich gut speichern lässt und zum Beispiel für die Erzeugung von wertvollem Winterstrom genutzt werden kann.
Bei dem erwähnten Verfahren wird das aus dem Rohbiogas abgetrennte CO2 in die Umwelt entlassen. Neuerdings wird nun versucht, auch diese Komponente des Rohbiogases energetisch zu nutzen: Das CO2 lässt sich nämlich durch Zugabe von Wasserstoff in Methan umwandeln. Auf diesem Funktionsprinzip beruht die Anlage des Limmattaler Regiowerks Limeco, die im Frühjahr 2022 in Dietikon (ZH) eröffnet wurde. Es handelt sich um die erste kommerzielle Power-to-Gas-Anlage der Schweiz. Mit ihr kann Strom (über das Zwischenprodukt Wasserstoff) in das gut speicherbare Medium Biogas verwandelt werden kann.
Die Anlage in Dietikon braucht Wasserstoff, um das im Rohbiogas enthaltene CO2 in den Energieträger Biogas zu verwandeln. Die Herstellung von Biogas aus Klärschlamm könnte in Zukunft auch ohne Zugabe von Wasserstoff möglich werden. Das ginge, wenn bei der Vergärung von Klärschlamm nicht Rohbiogas mit einem Methananteil von 60% entstünde, sondern reines Methan. Genau das ist das Fernziel der Westschweizer Fachhochschule (HES-SO Valais-Wallis) in Sitten.
Hier forscht Fabian Fischer, Professor für Chemische Biotechnologie, mit seinem Team an der Mikrobiellen Elektrolysezelle (engl. Microbial Electrolysis Cell, MEC). Mit der MEC-Technologie könnte die Gewinnung von reinem Methan aus Klärschlamm in Zukunft Realität werden.
Ein Zwischenziel auf diesem Weg hat das Walliser Forschungsteam jetzt erreicht. Es hat mit zwei MEC-Pilotreaktoren (Box) aus Klärschlamm Rohbiogas mit einem hohen Methananteil erzeugt, wie die Autoren im Schlussbericht des kürzlich abgeschlossenen Forschungsprojekts ausführen: «Unsere Studie hat gezeigt, dass die MEC-Technologie bei Raumtemperatur grosse Mengen an Biogas mit 10 bis 30% mehr Methan (CH4) produzieren kann, als es in anaeroben Fermentern in der ARA Châteauneuf bei 37 °C der Fall ist.» Anders ausgedrückt: Während in herkömmlichen Klärschlamm-Fermentern Rohbiogas mit ca. 60% Methangehalt entsteht, sind es in MEC-Fermentern 70 bis 90%. «Das ist ein Zwischenerfolg, an dem wir nun weiterarbeiten mit dem Ziel, den Methanertrag auf 100% zu steigern», sagt Fabian Fischer.
Das Funktionsprinzip der Mikrobiellen Elektrolysezelle erscheint denkbar einfach: Der Vergärung von Klärschlamm im Fermenter wird Strom zugeführt. Die Energiezufuhr führt zu Rohbiogas mit einem höheren Methananteil. Wie der molekulare Mechanismus der Methanisierung dabei genau abläuft, ist laut Fischer bisher nicht definitiv geklärt. Wissenschaftliche Studien deuten darauf hin, dass die im Fermenter aktiven Mikroorganismen (Archaeen) CO2-Moleküle, Elektronen und Protonen direkt aufnehmen können, um daraus CH4 (Methan) zu produzieren. Der Stoffwechselprozess der Mikroorganismen erfolgt auf der Kathode. Diese ist entweder mit Nickel oder hochporösem Kohlenstoff beschichtet (s. Box unten).
Auch wenn die Details des Verfahrens noch im Dunkeln liegen, bestätigen die Forschungsergebnisse aus Sitten, dass die MEC-Technologie Rohbiogas mit hohem Methangehalt ermöglicht, zumindest im Labormassstab. Dabei läuft der Vergärungsprozess bei Raumtemperatur ab. Das ist vorteilhaft, weil anders als bei herkömmlichen Fermentern keine Wärme zugeführt werden muss. Erforderlich ist allerdings Energie in Form von Elektrizität. Diese wird beim MEC-Prozess mit hoher Effizienz in Methan umgesetzt. Bei Einsatz von Gleichstrom liegt der Wirkungsgrad bei 80 bis 96%, wie Laborwerte aus der Fachliteratur nahelegen. Gemäss den Messungen der HES-SO Valais-Wallis braucht der MEC-Prozess elektrische Energie im Umfang von 3 J pro Milliliter Methan. Das ist 13-mal weniger als die Energie, die bei der Verbrennung der gleichen Methanmenge entsteht.
Nach Aussage von Fabian Fischer kann mit der MEC-Technologie mit der gleichen Menge Strom mehr Methan erzeugt werden als in der Limeco-Anlage in Dietikon: «Die höhere Ausbeute rührt daher, dass das aus dem Klärschlamm gebildete CO2 von den Mikroben direkt in Methan umgewandelt wird. Es braucht also nicht den thermodynamisch aufwändigeren Umweg über Wasserstoff wie bei der Limeco-Anlage.» Das im Limeco-Werk benutzte Verfahren hat allerdings ebenfalls Vorteile: Erstens steht es heute schon für die kommerzielle Anwendung bereit, und zweitens verwandelt es das im Rohbiogas enthaltene CO2 vollständig in Methan. Bei dem MEC-Verfahren, an dem in Sitten gearbeitet sind, sind es aktuell erst rund 80%.
Die Walliser Forschungsgruppe arbeitet seit 2004 an der Mikrobiellen Elektrolysezelle. Sie hatte deren Funktionstüchtigkeit zunächst an einem MEC-Reaktor mit 30 l Volumen demonstriert und im BFE-Projekt nun an zwei Reaktortypen mit je 50 l Volumen. Bei einem Folgeprojekt soll ein MEC-Forschungsreaktor mit 2000 l Volumen gebaut und betrieben werden. Das Upscaling der Anlage soll die Marktfähigkeit der MEC-Technologie nachweisen.
Laut Fischer ist die Gründung eines Start-up geplant, das die Technologie industrialisieren und dafür Investoren finden will: «Wir arbeiten an einer Technologie für Pioniergeister. Sie könnte insbesondere für ARA-Betreiber interessant sein, die bisher noch kein Biogas produzieren und diesen zukunftsträchtigen Energieträger mit einer innovativen Technologie produzieren möchten.»
Das Sittener Forschungsteam hat die MEC-Technologie in zwei verschiedenen Pilotfermentertypen mit jeweils 50 l Volumen umgesetzt und praktisch erprobt. Die Elektroden, die den Reaktoren Strom zuführten, waren teilweise mit RVC (Reticulated Vitreous Carbon) beschichtet, ein Kohlenstoffschaum, der den Mikroorganismen dank seiner porösen Oberfläche viel «Arbeitsfläche» bietet. Für beide Reaktoren wurde Klärschlamm der ARA Châteauneuf bei Sitten verwendet.
Reaktor A (Fig. 2 rechts) hatte ein liegendes Design (70 x 30 x 40 cm) und war mit 16 RVC-Anoden und 15 Nickel-Kathoden bestückt. Während 1000 Stunden im kontinuierlichen Betrieb wurden aus Klärschlamm 140 l Biogas mit einem Methangehalt von 73 bis 79% produziert. Im Halb-Batch-Betrieb wurde bei Einsatz von vorverdautem Klärschlamm sogar ein Methananteil von bis zu 90% erreicht.
Reaktor B war ein 106 cm hoher Säulenreaktor, bei dem drei Teilreaktoren mit jeweils 10 RVC-Anoden und 10 RVC-Kathoden gestapelt wurden (in der Bildmitte von Figure 2 sind zwei Exemplare dieses Reaktortyps zu sehen). Er stellte mit einem Gemisch aus normalem und vorverdautem Klärschlamm im Halb-Batch-Betrieb in 420 Stunden 23 l Biogas mit einem Methangehalt von bis zu 99% her. Der sehr hohe Wert von 99% ist allerdings mit Vorsicht zu geniessen, da es sich um einen einmalig gemessenen Spitzenwert handelt, der sich nicht ohne weiteres reproduzieren lässt.
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Die zwei MEC-Fermenter-Typen. Der liegende Reaktor A (r.) und der SäulenÂreaktor B in der Bildmitte.
Der Schlussbericht zum Forschungsprojekt «Microbial Electrolysis Cell II» ist abrufbar unter:
https://www.aramis.admin.ch/Texte/?ProjectID=40718
Weitere Fachbeiträge über Forschungs-, Pilot-, Demonstrations- und Leuchtturmprojekte im Bereich Bioenergie finden Sie unter:
www.bfe.admin.ch/ec-bioenergie
AuskĂĽnfte erteilt Sandra Hermle, Leiterin des BFE-Forschungsprogramms Bioenergie.
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