Der im Rahmen der Energiewende angestrebte Verzicht auf fossile Energieträger und Atomkraft bedingt einen tiefgreifenden Umbau des Energiesystems. Neben dem Ausbau erneuerbarer Energien wird Power-to-X (PtX) als Schlüsseltechnologie des zukünftigen Energiesystems angesehen. [1] Unter PtX sind Technologien zu verstehen, die aus erneuerbarer elektrischer Energie (Power) chemische Energieträger (X) wie Wasserstoff, Methan oder Methanol erzeugen. Diese Energieträger können gespeichert werden und tragen dazu bei, Schwankungen der erneuerbaren Energien über längere Zeiträume auszugleichen.
Es ist international und auch in der Schweiz zu beobachten, dass im Bereich Wasserstoff [2] und Methan [3] zwei PtX-Technologien gerade auf industriellen Massstab hochskaliert werden. Die Industrie kann bei der Auslegung dieser Anlagen nur auf geringe Erfahrungswerte zurückgreifen. Es besteht also ein Bedarf an Tools, die es ermöglichen, mittels Simulationen solche Anlagen auszulegen. Gerade im Bereich PtX sind Simulationen herausfordernd, da verschiedene Disziplinen wie Elektrotechnik, Verfahrenstechnik, Thermo- und Fluiddynamik, Wirtschaftlichkeit usw. vereint werden müssen.
Genau an dieser Stelle möchte das IET Institut für Energietechnik der Ostschweizer Fachhochschule einen Beitrag leisten mit der Entwicklung von spezialisierten, aber flexibel einsetzbaren Tools zur Auslegung und für techno-ökonomische Betrachtungen von PtX-Anlagen.
Das IET arbeitet an einem Innosuisse-Projekt namens Low-Cost Hydrogen Refueling Station (LCHRS). Ziel dieses Gemeinschaftsprojekts mit Schweizer Industriepartnern ist, eine kostengünstige H2-Tankstelle zu entwerfen und einen Prototyp aufzubauen. Die LCHRS ist für Flottenbetrieb konzipiert und dank Containerbauweise transportierbar. Das modulare Konzept der Anlage ermöglicht die Anpassung an verschiedene Anforderungen: Das Basismodul betankt vier LKW mit 350 bar innert zwölf Stunden. Das Zusatzmodul steigert die Kapazität auf sechs LKW in zwölf Stunden. Mit einem zweiten Zusatzmodul betankt die LCHRS zusätzlich drei PKW auf 700 bar, dafür einen LKW weniger.
Die Anlage wird in die Forschungsplattform Power-to-X des IET Instituts für Energietechnik am Standort Rapperswil SG integriert. Dort befinden sich bereits eine 10-kW-Power-to-Methane-Demonstrationsanlage, eine Climeworks-Anlage zur Abscheidung von CO2 aus der Atmosphäre, eine Anlage zur Erzeugung von erneuerbarem Methanol und vieles mehr. Die Forschungsplattform Power-to-X kann auf Voranmeldung besichtigt werden [4, 5].
Zur Auslegung einer Wasserstofftankstelle (Fig. 1) gehören die Bestimmung der Speicherbankgrössen, die Dimensionierung des Kühlsystems, die Auswahl und die Daten des Kompressors und ein Betriebskonzept. Für die Temperaturen und Drücke in den einzelnen Anlagenbauteilen sind thermodynamische Berechnungen mit Realgasmodellen notwendig. Eine Näherung mit idealem Gas weicht bei den vorherrschenden Drücken zu stark ab. Da sich die Wasserstofftemperaturen bei Kompression rasch ändern können und Limits nicht überschreiten dürfen, ist eine Simulation mit feiner zeitlicher Auflösung nötig.
Zu Beginn des Projekts LCHRS verfügte das IET bereits über ein Tool zur thermodynamischen Modellierung von Überströmvorgängen mit Wasserstoff von einem Quell- zu einem Zielbehälter. Die Behälter werden mit je einem Volumen und den thermodynamischen Zuständen (Druck und Temperatur) des enthaltenen Wasserstoffs parametrisiert. Der Überströmvorgang kann nun mit der Vorgabe eines linearen Druckanstiegs (Druckrampe) gemäss SAE J2601 Standards simuliert werden. Im Tool ist ein Modell für den Wärmedurchgang durch die Tankwände für verschiedene Tanktypen (Typ I, III und IV) enthalten. Das gesamte Modell wurde mit analytischen Rechnungen und mittels Computational-Fluid-Dynamics-(CFD-)Simulationen verifiziert. Auf diese Weise können nun Druck und Temperatur als eindimensionale Werte in beiden Druckbehältern zu jedem Zeitpunkt des Überströmvorgangs berechnet werden.
Die wesentlichen Erkenntnisse aus dieser Arbeit waren folgende: Die Abkühlung durch die (isentrope) Entspannung im Quellbehälter kann beträchtlich sein. Die Erwärmung durch den negativen Joule-Thomson-Koeffizienten bei der (isenthalpen) Entspannung nach dem engsten Leitungsquerschnitt erwärmt zwar das Gas im Zielbehälter weniger stark als die Einschiebearbeit, kann aber nicht vernachlässigt werden.
Dieses Simulationstool diente als Grundlage für die Entwicklung eines Auslegungstools für Wasserstofftankstellen namens HRSim. Als Ausgangsbasis bietet HRSim eine Auswahl von parametrisierbaren Komponenten, aus denen die Tankstelle zusammengestellt werden kann. Dazu gehören beispielsweise Behälter, Kompressoren und Kühlung. Die zeitdiskrete Simulation lässt eine freie Wahl des Zeitschritts und der simulierten Zeitspanne zu. Typische Werte sind eine Sekunde für den Zeitschritt und zwölf Stunden bis eine Woche für die Zeitspanne. Innerhalb der Zeitspanne können Zeitpunkte definiert werden, an denen Fahrzeuge zur Betankung ankommen. Auf diese Weise kann das Verhalten der simulierten Tankstelle mit möglichst realistischen Lastfällen geprüft werden. Als Ergebnis werden unter anderem Zeitreihen für Temperatur und Druck in allen Behältern (Fig. 2) sowie für die Kompressor- und Kühlleistungen ausgegeben. Dank des Simulationstools können unterschiedliche Anlagenkonfigurationen schnell verglichen werden.
Für die Konfiguration der Anlage stehen unterschiedliche Behälter zur Auswahl. Diese können zu mehreren Speicherbänken auf unterschiedlichen Druckniveaus zusammengefasst werden. Dies ermöglicht die Simulation von Speicherkaskaden. Am Ende der Kette stehen die Fahrzeugtanks. Während der Simulation werden technische Limiten, also die Minima und Maxima für Temperatur und Druck, eingehalten. Beispielsweise verweigert ein ans Limit erhitzter Behälter eine weitere Befüllung, bis die Temperatur wieder unter einen wählbaren Schwellwert gesunken ist. Auf dieser Ebene lassen sich bereits Informationen für die Regelung der Anlage sammeln.
Für die Kompressortypen sind tabellarische Daten hinterlegt, aus denen die benötigte elektrische Leistung für jeweilige Betriebspunkte interpoliert wird. Jeder Kompressor verfügt über Vor- und Nachkühlung, die mit gewünschten Zieltemperaturen parametrisiert oder auch komplett deaktiviert werden können.
Die Vorkühlung des Wasserstoffs bei Betankung wird ebenfalls über eine Zieltemperatur parametrisiert. Im Resultat ist dann eine Zeitreihe der abgeführten Wärmemenge zu sehen. Das Tool wird laufend weiterentwickelt und die enthaltenen Modelle später an der realen Anlage verifiziert und kalibriert.
Das IET Institut für Energietechnik führt regelmässig Vorstudien im Bereich PtX für verschiedene Auftraggeber durch. Die dazugehörigen techno-ökonomischen Betrachtungen sind aufwendig und mussten bisher für jedes Projekt neu aufgesetzt werden. Aus diesem Bedarf ist die Idee entstanden, ein flexibles Tool zu entwickeln, das für die Grobauslegung und erste Wirtschaftlichkeitsrechnungen unterschiedlicher Projekte im Bereich PtX dient.
Dieses zweite Tool, dessen Entwicklung in Zusammenarbeit mit der Firma AlphaSYNT gestartet wurde, basiert auf einer zeitdiskreten Simulation mit einstellbarem Zeitschritt und Simulationsdauer. Typischerweise wird ein Jahr in Stundenauflösung simuliert. Als erste PtX-Pfade sind Wasserstoff, Methan und Methanol mit den zugehörigen Anlagenkomponenten implementiert.
Die Verschaltung der Anlagekomponenten (Fig. 3) erfolgt dabei von den Quellen links zu den Senken rechts. Am Anfang eines typischen Wasserstoffpfads steht eine elektrische Energiequelle. Im PtX-Tool werden eine Photovoltaikanlage (PV-Anlage) und der Bezug aus dem Stromnetz simuliert. Reicht die Solarenergie nicht aus, so kann – auf Wunsch tarifabhängig – weitere Energie aus dem Stromnetz bezogen werden. Aus dem parametrisierbaren Tarifprofil werden die Energiebezugskosten berechnet. Zur Erhöhung des PV-Nutzungsgrades (Fig. 4) wird eine Batterie simuliert.
Mit der Energie wird ein Elektrolyseur betrieben, der Wasserstoff erzeugt. Dieser Wasserstoff wird in einem Speicher gesammelt und von dort an die Senke weitergegeben. Diese kann mit einem Lastprofil parametrisiert werden. Dadurch wird sofort sichtbar, ob der Wasserstoffbedarf mit der getesteten Anlagenkonfiguration gedeckt werden kann.
Der Wasserstoffpfad bildet die Grundlage für die Methan- und Methanolpfade. Beide Pfade enthalten eine CO2-Quelle. Das CO2 kann in einem Speicher zwischengelagert werden, um fluktuierende Quellen auszugleichen. Im Gasmischer werden die beiden Gase H2 und CO2 im richtigen stöchiometrischen Verhältnis gemischt und dem Reaktor zugeführt. Für den Methanpfad ist dies ein Methanisierungsreaktor, für den Methanolpfad ein Methanolreaktor. Gase, die im Reaktor nicht reagieren, werden an den Gasmischer zurückgeführt. Das Produkt, also gasförmiges Methan oder flüssiges Methanol, kann zwischengespeichert und an die Senke geführt werden. Auch hier sind wieder Lastprofile parametrisierbar.
Die Simulation berechnet Zeitreihen für alle Ströme in der Anlage. Diese können direkt im PtX-Tool grafisch dargestellt (Fig. 4) und auch exportiert werden. Diverse Key Performance Indicators helfen dabei, unterschiedliche Anlagenkonfigurationen schnell zu vergleichen und damit die Auslegung zu optimieren.
Im Auftrag der Elektrizitätswerk Jona-Rapperswil AG und der Energie Zürichsee-Linth AG wird eine Potenzialstudie für eine Wasserstofftankstelle im Raum Rapperswil-Jona durchgeführt. Dazu wurden potenzielle Abnehmer gefunden, aus deren Bedarf ein Lastprofil bestimmt wurde. Dieses Lastprofil ist die Grundlage, um im PtX-Tool die nötige Elektrolyseleistung, die Kapazität des Batterie- und Wasserstoffspeichers sowie die optimale PV-Fläche zu bestimmen.
Das Projekt Solar Fuels for Ethiopia im Auftrag von Solafrica befasst sich mit der Machbarkeit der Produktion von erneuerbarem Methanol aus Sonnenenergie in Äthiopien. Für die Dimensionierung einer Demonstrationsanlage wird hier von einer gegebenen Leistung des Elektrolyseurs ausgegangen. Bekannt ist auch der Zeitverlauf der Sonneneinstrahlung am Standort. Nun können mit dem PtX-Tool Werte für die Fläche der PV-Anlage sowie für die Kapazität der Batterie und des Wasserstoffspeichers gefunden werden, welche die Methanolproduktion maximieren.
In Uppsala (Schweden) wird ein öffentliches Busnetz mit Biogas aus Lebensmittelabfällen betrieben. Das Rohbiogas aus der Biogasanlage enthält ca. 60% Methan und 40% CO2. Das CO2 muss in der aktuellen Anlagenkonfiguration abgeschieden werden. Im Projekt Power-2-Transport wird nun untersucht, wie aus diesem CO2 mittels einer Power-to-Gas-Anlage zusätzliches Methan erzeugt werden kann. Als Eingabegrössen für das PtX-Tool dienen hier die zeitlich aufgelösten Verbrauchsdaten der Busflotte, die Produktionsdaten der Biogasanlage sowie die Daten einer nahe gelegenen PV-Anlage. Mit dem PtX-Tool kann nun die optimale Dimensionierung der Elektrolyse, des Methanisierungsreaktors sowie aller Speicher gefunden werden.
Für die schnelle Implementation neuer Technologien werden effiziente Werkzeuge benötigt, um Grobauslegungen von Anlagen mit wenig Zeitaufwand vornehmen zu können. Genau diesem Zweck dienen die beiden vorgestellten Tools HRSim und PtX.
[1] Kemmler, A.; Kirchner, A.; Kreidelmeier, S. (2022): Energieperspektiven 2050+. Technischer Bericht. Herausgegeben vom Bundesamt für Energie BFE. Bern. https://www.bfe.admin.ch/bfe/de/home/politik/energieperspektiven-2050-plus.html
[2] Förderverein H2 Mobilität: https://h2mobilitaet.ch
[3] Limeco:
https://www.limeco.ch/de/aktuell/pressemitteilungen/einweihung-power-to-gas-anlage
[4] IET-Forschungsplattform Power-to-X:
https://www.ost.ch/iet
[5] Friedl, M. et al. (2022): Forschungsplattform für Power-to-X, Aqua & Gas No. 3, S. 28-34
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