Die Schweizer Gaswirtschaft setzt sich zum Ziel, den Biogas-Anteil im Gasnetz wesentlich zu erhöhen – mittelfristig auf 30 Prozent und mehr. Dadurch kann die CO2-Bilanz der verschiedenen Gasanwendungen weiter verbessert werden. Um den Anteil jedoch zu erhöhen, müssen zusätzliche Quellen für erneuerbare Gase erschlossen werden. Sei es durch Biogas-Importe oder Power-to-Gas-Anwendungen. Eine weitere Möglichkeit ist, aus Gülle und Holz erneuerbare Gase in der Schweiz zu erzeugen, die chemisch die gleichen Anforderungen erfüllen wie Erdgas. Verglichen mit dem aktuellen Erdgaspreis geht die Gaswirtschaft von deutlichen Mehrkosten für erneuerbare Gase aus. Einer der Hauptgründe sind die deutlich höheren Rohstoffkosten im Vergleich zum Roherdgas. Damit die Mehrkosten vom Endkunden angenommen werden, müssen neue Wertschöpfungsketten aufgebaut bzw. bestehende Wertschöpfungsketten vom Rohstoff zum erneuerbaren Gas verbessert werden.
Die am Paul Scherrer Institut PSI durchgeführte techno-ökonomische Studie betrachtet neue Wertschöpfungsketten im Schweizer Kontext für die Umwandlung von Gülle zu Biomethan in Kleinanlagen (30–250 Nm3/h Biogas). Die hier beschriebenen Wertschöpfungsketten umfassen die Rohstoffvorbehandlung, die anaerobe Vergärung und die Biogasaufbereitung. Ziel dieser Studie war zu erkennen, ob mithilfe neuer Technologien oder neuer Verschaltungen von bestehenden Technologien wesentliche Kosteneinsparungen zu erwarten sind und wo die grössten Verbesserungspotenziale bestehen (u. a. Kosten, Wirkungsgrade).
Aus früheren Studien ist bekannt, dass die Mindestgrösse für wirtschaftlich sinnvolle Anlagen zur Umwandlung von landwirtschaftlicher Biomasse zu Biomethan mehr als 250 Nm3/h Biogas erfordert. Dies beim Einsatz von heute verfügbaren Technologien. Im Rahmen einer eigenen Literaturrecherche wurden diese Ergebnisse überprüft. Die veröffentlichten Berechnungen konnten nachvollzogen werden.
Für die Studie des Schweizer Kompetenzzentrums für Bioenergie-Forschung (SCCER Biosweet) wurden Lieferanten vielversprechender neuer Technologien angefragt, um mit ihren Angaben im Rahmen einer Due-Diligence-Analyse der gesamten Wertschöpfungskette wichtige Kennzahlen zu ermitteln. Dies mit dem Ziel, das technische und wirtschaftliche Risiko vollständiger Prozessketten beurteilen zu können.
Auch wurden die neuen Technologien nach dem Technology Readiness Level (TRL), deutsch: Technologiereifestufen (TRS), bewertet, [1]. Mit den TRS kann gut nachvollziehbar der Entwicklungsstand von neuen Technologien auf der Basis einer systematischen Analyse beurteilt werden. Die TRS gibt auf einer Skala von 1 bis 9 an, wie weit die Entwicklung einer Technologie fortgeschritten ist. Im Rahmen der Technologieentwicklung von TRL/TRS 1 bis 9 wird im Wesentlichen der Hauptanteil des Technologierisikos vermindert.
Das Bundesamt für Energie BFE hat die Aufgabe, wo sinnvoll und möglich, solche Technologieentwicklungen zu unterstützen. Dies erfolgt über die anwendungsorientierte Forschung. Je nach Forschungsprogramm deckt das BFE die TRS 3 bzw. 4 bis 5 ab, in Ausnahmefällen auch TRS 2. Höhere TRS werden ebenfalls vom BFE unterstützt, und zwar im Rahmen von Pilotprojekten (TRS 5 bis 7), Demonstrationsprojekten (TRS 6 bis 8) oder Leuchtturmprojekten (TRS 9).
Trotz Förderung durch das BFE und anderen Förderstellen bleibt oft für die Technologielieferanten in der Demonstrations- und Errichtungsphase eine erhebliche wirtschaftliche Unsicherheit bestehen. Deshalb hat die Australian Renewable Energy Agency (ARENA) den Commercial Readiness Index (CRI) als Beurteilungsinstrument entwickelt, das Technologielieferanten bei der Selbsteinschätzung ihrer Technologie verwenden können. Projektantragsteller können damit bei der ARENA nachvollziehbar erläutern, weshalb weitere Unterstützungen nach der eigentlichen Technologieentwicklung erforderlich sind.
Der CRI beginnt, sobald die Technologie das Stadium erreicht, in dem Forschungsergebnisse belegen, dass die Technologie in der Praxis grundsätzlich einsetzbar ist (TRL 2). Der CRI 1 und 2 deckt den gesamten TRL/TRS-Bereich von 2 bis 9 ab. Zusätzlich deckt der CRI die Entwicklung einer Branche ab, d. h. die Summe aller Technologieentwickler, und macht deutlich, ab wann die Technologie oder Anwendung kommerziell eingesetzt wird. Das heisst, bei der höchsten Stufe der CRI, der Stufe 6, ist eine Technologie soweit eingeführt, dass die technischen und wirtschaftlichen Risiken sehr gering sind und für die Geldgeber, wie z. B. Banken, eine solche Produktionsanlage als eine interessante Investition erachtet wird.
– regulatorisches Umfeld
– Akzeptanz durch die Stakeholder
– technische Leistungsfähigkeit
– Finanzierung (Kosten, Einnahmen)
– industrielle Lieferkette und Kompetenzen
– Marktchancen
– Unternehmensreife
Die Internationale Energie Agentur (IEA) hat geprĂĽft, ob der CRI und seine Indikatoren als Instrument zur Gestaltung der Politik fĂĽr die EinfĂĽhrung neuer Technologien im Bereich der erneuerbaren Energien genutzt werden kann. DafĂĽr wurden zwei Fallbeispiele genutzt:
– Photovoltaik in Deutschland
– Offshore-Windkraftanlagen im Vereinigten Königreich
Gestützt auf diese beiden Fallbeispiel hat die IEA Verbesserungen bei den Indikatoren vorgeschlagen und kommt in ihrer Analyse zu folgendem Schluss [2]: «Die CRI ist ein wirksames Instrument, um die Bedeutung der Marktbedingungen über die technische Leistungsfähigkeit hinaus für erneuerbare Energie zu kommunizieren und den historischen Vermarktungsweg einer Technologie zu veranschaulichen. Die im Rahmen der CRI bewerteten Indikatoren helfen den politischen Entscheidungsträgern, eine Reihe von Hindernissen für erneuerbare Energie zu berücksichtigen, und sie können verwendet werden, um aufzuzeigen, welche historischen politischen Massnahmen und Rahmenbedingungen bei der Beseitigung dieser Vermarktungsbarrieren wirksam waren oder nicht.»
Mit dem im Rahmen dieser Studie entwickelten Technologie-Radar soll mit TRL/TRS und CRI auf eine einfache Art und Weise der Reifegrad einer Branche im Hinblick auf kommerzielle Demonstrationsanlagen dargestellt werden. Je näher eine Technologie dem Zentrum des Radars ist, umso reifer ist sie. Mit dem Technologie-Radar kann somit der gesamte Weg von der Idee für eine neue Technologie bis zur erfolgreichen Markteinführung einfach abgebildet werden – sowohl für Einzeltechnologien als auch für vollständige Prozessketten.
Im dargestellten Beispiel werden innovative Kleinanlagen zur Umwandlung von Gülle zu Biomethan betrachtet. Bei dieser Wertschöpfungskette wird der Technologie-Radar in drei Segmenten aufgeteilt (Fig. 1):
– Vorbehandlung (blau)
– Vergärung (grün)
– Biogasaufbereitung (gelb)
Diese Hauptsegmente werden weiter in Untersegmente aufgeteilt. Beispielsweise sind es bei der Biogasaufbereitung die drei Bereiche Membran, Wäsche und andere Verfahren, d. h. die Mischung verschiedener Technologien. Diese Bereiche werden weiter nach den Lieferanten unterteilt. Im Bereich Membranaufbereitung wurden vier verschiedene Technologielieferanten in der Studie berücksichtigt.
Mit diesen drei Abstufungen der Segmentierung im Technologie-Radar, d. h. Unterscheidung nach Technologiesegment, Technologiebereich und Firma, kann der technologische und wirtschaftliche Stand sehr fein dargestellt werden.
Die Ziffern innerhalb des Radars entsprechen denen einzelner anonymisierter Technologielieferanten und positionieren deren Technologien auf der TRL- und CRI-Skala. Deshalb kann der Radar auch dazu genutzt werden, falls eine Firma mehrere Technologien in verschiedenen Phasen hat, d. h. «Markt» (hohe CRI), «Entwicklung» (hohe TRS) und «Forschung» (tiefe TRS).
Dieser Technologie-Radar ermöglicht es, sehr einfach zu erkennen, wo die meisten Technologien nach ihrem technischen und kommerziellen Reifegrad eingeordnet werden können und welche Entwicklungen sich abzeichnen. Beispielsweise kann eine erwartete zeitliche Entwicklung einer Technologie mit einer Zeitangabe versehen werden (nicht dargestellt). Die in Figur 1 dargestellten Technologien sind mehrheitlich bei hohen CRI und TRS. Dies kommt daher, dass die Biosweet-Studie den Fokus auf mögliche Pilot- und Demonstrationsprojekte in der Schweiz basierend auf reife Technologien gerichtet hatte.
Ebenfalls dargestellt sind zwei Beispiele für Technologiekombinationen. Die blaue Kombination «5-1-4» kombiniert die Vorbehandlungstechnologie der Firma 5 mit der Vergärungstechnologie der Firma 1 sowie der Aufbereitungstechnologie der Firma 4. Die Kombination eines alternativen Lieferkonsortiums bildet die grüne Technologiekombination «2-10-2» ab.
Beide Prozessketten haben technische und wirtschaftliche Risiken, die vor einer Investitionsentscheidung sorgfältig abgewogen werden sollen. Im Rahmen der Biosweet-Studie wurde eine Methode entwickelt, wie dieser Entscheidungsprozess gestaltet werden kann [3].
Je nach Informationslage ist der eingesetzte Technologie-Radar ebenfalls für Forschungs- und Entwicklungsabteilungen interessant. Mit dem Radar können frühzeitig mögliche Synergien erkennbar werden, die nur in der firmenübergreifenden Zusammenarbeit realisiert werden können. Wir werden deshalb diesen Radar mit weiteren Technologien ergänzen, die sich in der Entwicklung oder der Erforschung befinden.
Für die Wirtschaftlichkeitsanalyse der Wertschöpfungskette von Gülle zu Biomethan wurden die Unternehmen – 18 an der Zahl – berücksichtigt, die alle dafür notwendigen Informationen zur Verfügung gestellt hatten. Diese Informationen wurden zu 214 einzelnen Prozessketten zusammengefasst. Für jede dieser Prozessketten wurden die erwarteten Biomethangestehungskosten für einen IRR (Internal Rate of Return) von 15% ermittelt. Der IRR, deutsch: der interne Zinsfuss, steht für die durchschnittliche mittlere Jahresrendite einer Kapitalanlage.
In Figur 2 sind die erwarteten Biomethangestehungskosten für Anlagen mit einem Rohbiogasfluss von 30 bis 250 Nm3/h dargestellt. Jeder einzelne Punkt entspricht einer Prozesskette. Berechnungen wurden für verschiedene Anlagengrössen durchgeführt, mit dem Schwerpunkt auf Anlagen mit 100, 150 bzw. 250 Nm3/h. Ebenfalls eingezeichnet sind die aktuell diskutierten Preisvorstellungen für erneuerbares Gas. Ein Preisniveau von 9 Rp/kWh ist heute üblich. Ein Preisniveau von 12 Rp./kWh wird als heute maximal zulässiges Preisniveau erachtet.
Folgende Schlussfolgerungen lassen sich aus dieser Darstellung ableiten:
– Im Bereich von 150 und 250 Nm3/h Biogas gibt es Rindergülle-Biomethan-Systeme, die bei Biomethan-Preisen unter 9 Rp./kWh realisierbar sind.
– Im Bereich von 60 und 100 Nm3/h Biogas kann es Rindergülle-Biomethan-Systeme geben, die bei Biomethan-Preisen unter 12 Rp./kWh liegen.
– Bei sehr kleinen Anlagen, d. h. 30 Nm3/h, liegen die Gestehungskosten deutlich über 12 Rp./kWh. Weitere Abklärungen sind sinnvoll, falls diese Leistungsklasse unternehmerisch von Bedeutung sein soll.
In verschiedenen europäischen Ländern bestehen Ausbaupläne für erneuerbares Gas. Aufgrund des sich abzeichnenden Kostendrucks ist ein Technologiewettbewerb zu erwarten. Mit Technologienentwicklungen, die zu signifikanten Kostensenkungen führen, dürfte somit zu rechnen sein. Auch im europäischen Ausland ist zu beobachten, dass der Wunsch nach kostengünstigen Anlagen mit einer Biogasleistung < 250 Nm3/h besteht. Eine der Herausforderungen in dieser Studie bestand darin, aus der grossen Anzahl von theoretisch möglichen Kombinationen die vielversprechenden Kombinationen auszuwählen (214 Kombinationen für 18 berücksichtigte Technologien). Diese erwartete Entwicklung wird die Anzahl der zu berücksichtigten Technologien für die einzelnen Prozessschritte und die Kombinationsmöglichkeiten weiter anwachsen lassen.
Im Rahmen dieser Studie wurden neue Bewertungsmethoden angewendet, um unterschiedliche Technologien mit unterschiedlichem Reifegrad (technologisch und kommerziell) in der Kombination bewerten zu können. Diese Bewertungsmethoden sind mit der Gasindustrie anzuwenden und weiterzuentwickeln. Ziel der nationalen und internationalen Gaswirtschaft muss sein, die neuen Produktionsanlagen in grosser Stückzahl errichten zu können. Wegen des erwarteten «Konvoi-Verfahrens» lassen sich Investitions- und Planungskosten der Folgeprojekte deutlich senken und neue Anforderungen oder Erkenntnisse wesentlich schneller umsetzen.
Im Hinblick auf notwendige Pilot- und Demonstrationsanlagen in der Schweiz sind weitere Plausibilisierungen der Offerten der einzelnen Technologielieferanten sinnvoll sowie die Überprüfung der Kombinationsfähigkeit einzelner Technologien. Diese Massnahmen sollten helfen, die ehrgeizigen Ziele der Schweizer Gaswirtschaft Wirklichkeit werden zu lassen.
[1] BFE (2018): Pilot-, Demonstrations- und Leuchtturmprogramm des BFE. Vollzugsweisung zur Einreichung und Evaluation von Gesuchen um Finanzhilfe. https://www.bfe.admin.ch > Forschung und Cleantech
Shortlink: http://bit.ly/2JtFJ2P
[2] IEA, Renewable Energy Technology Deployment Technology Collaboration Programme: Commercial Readiness Index Assessment – using the method as a tool in renewable energy policy design, http://iea-retd.org/archives/publications/re-cri
[3] Arya, A. (2019): Cattle Manure to Biomethane: A techno-economic assessment of small and medium scale value chain in the Swiss context, Master Thesis EPFL, Villigen, Paul Scherrer Institute (PSI)
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