Der Fokus der aktuellen Energie- und Klimagesetzgebung der Kantone und des Bundes (Energiestrategie 2050, CO2-Gesetz, MuKEn 2014 usw.) ist stark auf die Reduktion der CO2-Emissionen in der Wärmeversorgung gerichtet. Dies dürfte einen kontinuierlichen Rückgang des Gasabsatzes zur Folge haben. Die Kombination von Wärmedämmung, einer ansteigenden CO2-Abgabe sowie einem Wechsel des Energieträgers aufgrund verschärfter energetischer Bauvorschriften (MuKEn 2014) und die Revision des CO2-Gesetzes könnten gar zu einer Halbierung des Gasabsatzes noch vor 2050 führen. Diese Meinung deckt sich mit dem Szenario «Neue Energiepolitik» (NEP) aus der Untersuchung «Energieperspektiven für die Schweiz bis 2050» [1].
Dieser mögliche, drastische Rückgang des Gasbedarfs (Prozessgas ausgenommen) führt zwangsläufig zu der Frage, ob die heutige flächendeckende Gasversorgung langfristig zu vertretbaren Konditionen aufrechterhalten werden kann. Was die einzelne Leitung betrifft, so muss spätestens zum Zeitpunkt einer anstehenden alterungsbedingten Ersatzerneuerung entschieden werden, ob die Leitung noch wirtschaftlich zu ersetzen ist und welche weiteren Konsequenzen sich hieraus ergeben.
Auf Grundlage des Szenarios «NEP» hat das deutsche Ingenieurberatungsunternehmen RZVN Wehr GmbH ein Zielnetz für das Verteilnetz eines schweizerischen Gasversorgers1 ermittelt. Dabei wird Folgendes aufgezeigt:
– Leitungen, die zukünftig noch wirtschaftlich zu erneuern sind
– Höhe des technischen Erneuerungsbedarfs sowie der kurz-, mittel- und langfristige Investitionsbedarf
– Konsequenzen für die Netzkosten bzw. Netzentgelterlöse
– Entwicklung der spezifischen Netzentgeltsätze
Übergeordnetes Ziel der Untersuchung war es, eine langfristige Handlungs- und Planungsgrundlage für die Versorger zu erarbeiten, damit sie ihre Kunden bei einem möglichen partiellen Rückbau des Gasnetzes frühzeitig informieren können und die internen Prozesse (Akquise, Instandhaltung usw.) am Zielnetz ausrichten können. Da ein Rückgang des Gasabsatzes zu höheren spezifischen Netzkosten und somit steigenden Netzentgeltsätzen (pro kWh) führen würde, dürfte der Einsatz von Gas gegenüber den Konkurrenztechnologien teurer werden. Zu prüfen war daher auch, inwieweit dieser «Teufelskreis» aus rückläufigem Gasabsatz, steigenden spezifischen Netzentgelten und einer möglichen daraus resultierenden Kundenflucht mittels Zielnetzplanung durchbrochen werden kann.
Das Zielnetz soll also das langfristig wirtschaftlich zu betreibende Netz abbilden. Zur Bestimmung des Zielnetzes ist zunächst ein 1:1-Simulationsmodell des Leitungsnetzes auf Basis der GIS-Daten zu erstellen und mit Gebäudedaten, dem Alter der Heizungsanlagen und den Verbrauchsdaten zu verknüpfen. Dieses Modell ermöglicht eine dynamische Simulation der Auswirkungen unterschiedlicher Erlös- und Bedarfsszenarien und die Bestimmung einer optimalen, an das jeweilige Erlösszenario angepassten Netzstruktur.
Für die Berechnung der Erlöse und Kosten sind die Netznutzungsentgelte des Netzbetreibers massgeblich. Diese unterliegen der kostenbasierten Regulierung (Cost-Plus) nach Nemo. Im Wesentlichen setzen sich dabei die netzentgeltrelevanten Kosten aus Betriebskosten (einschl. Verwaltungs- und Vertriebsgemeinkosten) OPEX und normierten Kapitalkosten CAPEX zusammen. Während die OPEX zu einem erheblichen Teil aus Fixkosten bestehen und nur teilweise beeinflussbar sind, ergeben sich die CAPEX aus den aktuellen (kalkulatorischen) Restbuchwerten und den Abschreibungen der Leitungen (und zu einem kleinen Teil der Anlagen). Zur Berechnung der CAPEX ist die Summe aus jährlichen Abschreibungen und den kalkulatorischen Zinsen (Restbuchwerte multipliziert mit dem gewichteten unternehmensspezifischen Kapitalkostensatz, WACC) zu bilden. Für bestehende Leitungen sind historische Anschaffungs- und Herstellungskosten anzusetzen, die anhand eines einheitlichen Baupreisindex zu ermitteln sind.
Figur 1 stellt die Entwicklung der netzentgeltrelevanten Kapitalkosten exemplarisch für einen 100-m-Leitungsabschnitt aus dem Jahr 1980 mit einer Abschreibungsdauer von 50 Jahren und einer technischen Nutzungsdauer von 70 Jahren dar (WACC: 6%, Verlegekosten aktuell: 400 Fr./m; Verlegekosten historisch: 240 Fr./m). Bis zum Jahr 2030 ist die Leitung noch innerhalb der Abschreibungsdauer und verursacht für den Netzbetreiber Kapitalkosten, die sich aus der jährlichen Abschreibung und den kalkulatorischen Zinsen zusammensetzen. Zwischen den Jahren 2030 und 2049 ist die Leitung vollständig abgeschrieben. Für diesen Zeitraum können somit keine Kapitalkosten geltend gemacht werden und daher auch keine Netzentgelterlöse erwirtschaftet werden. Die Leitung wird jedoch noch innerhalb ihrer technischen Nutzungsdauer weiter genutzt. Im Jahr 2050 wird der Leitungsabschnitt erneuert und geht mit seinem vollen Investitionsvolumen (Restbuchwert = 100%) wieder in die jährliche Abschreibung über und trägt somit zu den Netzkosten bei. Diese werden durch den Netzbetreiber über die Netzentgelte refinanziert.
Für einen sicheren Betrieb des Gasnetzes müssen Leitungen, die ihre technische Nutzungsdauer erreicht haben, ersetzt oder stillgelegt werden. Die Wirtschaftlichkeit einer Ersatzerneuerung kann anhand des Kapitalwerts beurteilt werden, der die diskontierten Erlöse aus dem Gastransport (und je nach Betrachtungsweise auch aus der Vertriebsmarge) den erforderlichen Investitionen gegenüberstellt. Ein positiver Kapitalwert bedeutet, dass der Barwert der Erlöse die Investitionen für die Leitungserneuerung übersteigt und diese somit wirtschaftlich ist. Ein negativer Kapitalwert hingegen bedeutet, dass die Investitionen in die Leitungserneuerung nicht durch die zukünftigen Erlöse gedeckt werden.
Bei Gasleitungen hängt die Wirtschaftlichkeit im Wesentlichen von der Absatzdichte (in kWh/(m × a), Fig. 2) ab. Diese Abhängigkeit wird in Figur 3 für aktuelle Netznutzungsentgelte und mittlere Verlegekosten dargestellt. Würde der Absatz langfristig konstant bleiben und sich die Absatzdichte somit nicht im Zeitverlauf ändern, liegt die erforderliche Absatzdichte für einen positiven Kapitalwert bei ca. 1250 kWh/(m × a).
Bei einem kontinuierlichen Rückgang des Gasabsatzes laut dem Szenario «NEP» würde man hingegen heute eine Absatzdichte von mindestens 1800 kWh/(m × a) benötigen, um bei konstanten Netzentgelten einen positiven Kapitalwert erwirtschaften zu können. Alternativ müssten die spezifischen Netzentgeltsätze entsprechend der derzeitigen Regulierungslogik (Cost-Plus) deutlich steigen. Allerdings ist ein weitgehend erlösneutraler Anstieg der spezifischen Netzentgelte bei einer Halbierung des Gasabsatzes voraussichtlich nicht umsetzbar, da dieser Kostensprung (ca. Verdoppelung der spezifischen Netzentgelte) zusammen mit der ebenfalls steigenden CO2-Abgabe den Wechsel der Kunden von Gas zu anderen Energieträgern noch beschleunigen würde und daher am Markt nicht erfolgreich durchzusetzen wäre.
Um diesen «Teufelskreis» zu durchbrechen, müssen die Gasversorger mittel- bis langfristig die Stilllegung von Leitungen mit einer zu geringen Absatzdichte als reale Option betrachten. Unter Stilllegung ist hier allerdings nicht die aktive Stilllegung relativ neuer Leitungen zu verstehen, sondern lediglich die «Nichterneuerung» zu ersetzender Leitungsabschnitte. Der technisch bedingte Erneuerungszeitpunkt wurde hierzu für jede Leitung auf Basis einer risikobasierten Erneuerungsplanung [3] für die nächsten 50 Jahre prognostiziert, sodass für jede Leitung bekannt ist, wann diese ersetzt – oder stillgelegt – werden muss.
Auf Grundlage dieser Erneuerungsplanung sowie der Kapitalwertbetrachtung wurde für unterschiedliche Erlösszenarien bzw. Netzentgeltsätze (z. B. Beibehaltung der heutigen spezifischen Netzentgelte) das Zielnetz berechnet, das der wirtschaftlich optimalen Netzstruktur entspricht. Leitungen mit einer übergeordneten Bedeutung (Hochdruck-Transportleitungen, Leitungen zur Anbindung wichtiger Prozessgaskunden usw.) sind dabei zwingend beizubehalten. Eine weitere Einschränkung hinsichtlich möglicher Leitungsstilllegungen ergibt sich aus der Versorgungspflicht bestehender Kunden: Sofern eine Leitung stillgelegt werden soll, muss eine frühzeitige und transparente Kommunikation mit den angeschlossenen Kunden erfolgen. Möglicherweise haben diese ihre Gasheizung gerade erst erneuert und eine kurzfristige Einstellung der Gasversorgung wäre nur durch entsprechende Kompensationen und unter Inkaufnahme negativer Öffentlichkeitsdarstellung möglich. Auf Grundlage typischer technischer Nutzungsdauern für Heizungsanlagen von 15 bis 20 Jahren wurden daher Leitungen, die innerhalb der nächsten 20 Jahre zur Erneuerung anstehen, ebenfalls als zwingend beizubehalten deklariert, da für diese Leitungen keine rechtzeitige Kundeninformation mehr erfolgen kann.
Bei den übrigen Leitungen wird anhand der Absatzdichte (bzw. des Kapitalwerts) ermittelt, ob diese bei Erreichen ihrer technischen Nutzungsdauer erneuert oder stillgelegt werden sollen. Leitungsabschnitte mit geringer Absatzdichte werden dabei zur Stilllegung vorgeschlagen. Leitungen, die eine ausreichend hohe Absatzdichte aufweisen oder zur Anbindung neuer Kunden mit einem hohen Gasbedarf erforderlich sind, werden auch zukünftig für einen Leitungsersatz vorgesehen.
Für jede Leitung ist somit bekannt:
– Wann eine Erneuerung aufgrund von Material und Alter ansteht.
– Ob die Erneuerung zum vorgesehenen Zeitpunkt noch wirtschaftlich ist. Und
– ob die Leitung stillgelegt werden kann (keine übergeordnete Bedeutung) oder
– beibehalten werden muss (Hochdrucknetz, Prozessgaskunde usw.).
Ein exemplarischer Ausschnitt des so ermittelten Zielnetzes ist in Figur 4 dargestellt. Figur 5 zeigt den technisch notwendigen Erneuerungsbedarf und den resultierenden Investitionsbedarf für die nächsten 50 Jahre. Die blau eingefärbten Balken entsprechen Leitungen, die bis 2038 zu erneuern sind und daher in keinem Fall stillgelegt werden können. Ab 2039 ist eine Stilllegung prinzipiell möglich. Für das Szenario «NEP» wird für ca. 55% der zwischen 2039 und 2060 zu erneuernden Leitungen vorgeschlagen, diese trotz reduziertem Gasabsatz zu ersetzen (grüne Balken). Die übrigen Leitungen werden zur Stilllegung vorgeschlagen (rote Balken), da mit konventionellen Baumethoden keine wirtschaftliche Ersatzerneuerung möglich ist, wodurch sich die Investitionen in diesem Zeitraum um knapp 50% reduzieren und somit eine Verringerung der CAPEX erreicht wird.
Figur 6 stellt die Entwicklung der Netzkosten sowie der spezifischen Netzentgelte für das Zielnetz dar. Neben den Leitungsstilllegungen führt die Alterung des Netzes ebenfalls zu einer Reduktion der CAPEX, da die Restbuchwerte sinken und die Abschreibungen von Leitungen, deren technische Nutzungsdauer über der Abschreibungsdauer liegt, schrittweise entfallen. Hierdurch halbieren sich die CAPEX zwischenzeitlich und reduzieren sich langfristig etwa um einen Drittel. Aufgrund der konstanten OPEX sinken die gesamten Netzkosten (CAPEX + OPEX) langfristig hingegen nur um etwa 15 bis 20 Prozent. Bei alternden Gasnetzen werden die OPEX die CAPEX zukünftig tendenziell übersteigen.
Die Umsetzung des Zielnetzes kann somit zu einem spürbaren Rückgang des Investitionsbedarfs und damit der Kapitalkosten beitragen. Bei der angenommenen Halbierung des Gasabsatzes werden sich die spezifischen Netzentgelte bis 2050 dennoch verdoppeln. Durch die Stilllegung von Leitungen kann der Anstieg der spezifischen Netzentgelte nur gedämpft, nicht jedoch verhindert werden. Darüber hinaus sind die Betriebskosten (OPEX) weitgehend unabhängig von einer Verringerung der Netzlänge, sodass die spezifischen OPEX im Zielnetz tendenziell steigen bzw. im besten Fall konstant bleiben. Für die Netzbetreiber bedeuten die Ergebnisse, dass unter den Randbedingungen der «Neuen Energiepolitik» auch bei einer Umsetzung des strategischen Zielnetzes langfristig mit einer Verdoppelung der spezifischen Netzentgelte zu rechnen ist. Der gesamte Gaspreis aus Endkundensicht (Netzentgelte + Energie + Steuern + CO2-Abgabe) könnte im gleichen Zeitraum ca. 50% steigen (ohne Berücksichtigung der Inflation).
Ein partieller Rückbau der Gasversorgung, insbesondere in Abstimmung mit der kommunalen Energierichtplanung, kann dazu beitragen, den Anstieg der spezifischen Netzentgeltsätze zu dämpfen. Dennoch muss mit einem starken Anstieg der Netztarife gerechnet werden. Der lange Vorlauf für eine aktive Kundenkommunikation erschwert darüber hinaus ein kurzfristiges Gegensteuern. Zur Gewährleistung des langfristigen Unternehmenserfolgs bedarf es somit weiterer flankierender Massnahmen und einer Stärkung der Geschäftsmodelle ausserhalb der klassischen Gasversorgung. Die vorgestellte strategische Zielnetzplanung ist hierbei als erster zentraler Baustein für die Anpassung der Netz- und Unternehmensstrategie an die veränderten Rahmenbedingungen der Energiewende und die Umsetzung kommunaler Energierichtpläne gedacht.
Eine weitere Verbesserung der Wirtschaftlichkeit könnte durch eine technische Zielnetzplanung (vgl. [2]) erreicht werden, die neben dem hier dargestellten partiellen Rückbau weitere Einsparpotenziale hebt: Auf Basis einer hydraulischen Optimierung des Netzes erfolgt eine zielgerichtete Anpassung an die zukünftige Versorgungsaufgabe, um diese mit verringertem Mengengerüst (wie weniger Netzdruckregler, kleinere Leitungsdimensionen usw.) und damit geringeren Netzkosten erfüllen zu können.
Die Umsetzung der Energiestrategie 2050 und der aktuellen Energie- und Klimagesetzgebung erfordert nachfolgendes proaktives Handeln der Gasnetzbetreiber und kommunalen Werke:
– Bestimmung von lokal differenzierten Absatzszenarien auf Basis der energiepolitischen Rahmenbedingungen, der Verteilung der Gebäude- und Heizungsalter sowie der kommunalen Energierichtplanung (Fernwärmeausbaugebiete usw.).
– Erarbeitung einer strategischen Zielnetzplanung für das Gasnetz zur frühzeitigen Identifikation von langfristig nicht wirtschaftlich zu betreibenden Netzbereichen.
– Erweiterung der Zielnetzplanung um hydraulische Optimierungsmöglichkeiten zur Realisierung zusätzlicher Einsparpotenziale (z. B. durch eine Reduktion der Leitungsdimensionen und der Anzahl Netzdruckregler) [2].
– Bestimmung des notwendigen Erneuerungsbedarfs mittels risikobasierter Erneuerungsplanung, um die Ersatz-investitionen gezielt auf risikobehaftete Leitungsabschnitte zu beschränken und durch die spartenübergreifende Ermittlung von Erneuerungsmassnahmen Synergien zu heben [3].
– Abstimmung der Netzstrategie mit den Vorgaben des kantonalen und kommunalen Energierichtplans zur Erhöhung der Planungssicherheit und zur Förderung flankierender politischer Massnahmen (Subventionen, Anschlusspflicht, Bauauflagen usw.).
– Erarbeitung einer internen Vertriebs- und Kommunikationsstrategie für eine frühzeitige Kundeninformation in Netzbereichen mit einem partiellen Gasnetzrückbau.
– Untersuchung des Aufbaus alternativer Versorgungskonzepte im Wärmebereich (Wärmenetze, Anergienetze, Wärmepumpen usw.).
[1] BFE (2012): Die Energieperspektiven für die Schweiz bis 2050
[2] Hensel, P.; König, D. (2009): Nachhaltige Reduzierung der Netzkosten durch Optimierung und Risikoanalyse, energie/wasser praxis 3/09
[3] Hensel, P.; Böing, M.; Hörsken, M. (2015): Spartenübergreifende Erneuerungsplanung für städtische Verteilnetze, ew Spezial IV/2015.html
Der Gasversorger, für den die Entwicklung der Netzentgelte quantifiziert und das strategische Zielnetz entwickelt wurde, ist der Redaktion bekannt, wird aber auf dessen Wunsch nicht namentlich erwähnt.
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Zielnetzplanung Gas