Die Schweiz hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden. Ein wichtiger Hebel ist dabei die Wärmeversorgung des Gebäudeparks. Zwar ging der Anteil an fossilen Heizungen zwischen 2021 und 2024 um fast 9% zurück (31.3.2021–31.1.2025), dennoch heizt immer noch mehr als die Hälfte der Schweizer Haushalte mit Öl oder Gas (61%) [1]. Zudem werden weiterhin neue fossile Heizungen installiert. Das trägt mit dazu bei, dass jedes Jahr über zehn Milliarden Franken ins Ausland fliessen für den Ankauf von fossilen Energieträgern [2].
Eine mögliche Lösung für die Dekarbonisierung im Gebäudebereich sind Wärmeverbünde, die mit erneuerbarer Energie oder Abwärme betrieben werden. Sie ermöglichen eine nachhaltige und effiziente Wärmeversorgung, die fossile Brennstoffe ersetzen kann. Doch die Umsetzung solcher Projekte ist komplex, kostenintensiv und erfordert daher eine präzise Planung sowie umfangreiche Datengrundlagen.
Digitale Technologien, darunter Big Data, maschinelles Lernen und automatisierte Netzplanung, können hier eine entscheidende Rolle spielen. Sie unterstützen Unternehmen dabei, fundierte Entscheidungen zu treffen, Ressourcen zu optimieren und die Rentabilität von Wärmeverbünden zu maximieren.
Der erste Schritt bei der Entwicklung eines Wärmeverbunds ist eine Potenzialanalyse. Insbesondere urbane Gebiete mit hoher Bebauungsdichte bieten ideale Bedingungen für Wärmeverbünde. Hier können zentrale Wärmequellen mit einer Vielzahl von Verbrauchern verbunden werden, was die Effizienz steigert. Die Potenzialanalyse umfasst daher die Identifikation geeigneter Wärmequellen und die Auswertung der Heizsysteme, die aktuell im potenziellen Wärmeverbunds-gebiet bestehen.
Digitale Planungstools wie etwa Swiss Energy Planning (SEP), in denen für jedes Gebäude laufend aktualisierte Daten zu Alter, Grösse, Nutzung, Heizsystem und Energieverbrauch hinterlegt sind sowie für jedes Gebiet Informationen zu potenziellen Energiequellen verfügbar sind, erleichtern diese Analyse erheblich. Mit ihnen können ungenutzte Energiequellen wie Abwärme von Rechenzentren oder industriellen Betrieben bzw. erneuerbare Wärmequellen wie Geotherme oder Seewasser identifiziert werden. Ausserdem lassen sich damit schnell geeignete Verbraucher finden. Dabei spielen Ankerkunden eine wichtige Rolle, also Grossverbrauchen wie Industrieanlagen oder öffentliche Einrichtungen, die durch ihren konstanten Wärmebedarf die Grundauslastung des Netzes sichern und dessen Wirtschaftlichkeit erhöhen (Beispiel in Fig. 1). KI-basierte Tools können ausserdem bei einer realistischen Prognose der Wärmelast und damit auch bei der Optimierung der Kundenanlagen helfen [3].
«Mit dem Energieportal können wir Liegenschafts-besitzer effizient informieren, ob – und falls ja, per wann – ihr Gebäude an die Fernwärme angeschlossen werden kann.»
Martin Kamber, CEO von ESB (Energie Service Biel/Bienne)
War die Potenzialanalyse positiv, beginnt die Netzplanung – eine der anspruchsvollsten Phasen bei der Realisierung eines Wärmeverbunds. Um Wärmequellen und die Gebiete mit der höchsten Wärmebedarfsdichte möglichst effizient zu verbinden, helfen digitale Werkzeuge. Die Basis ist ein digitaler Zwilling. Damit lassen sich verschiedene Szenarien simulieren, was die Planung erheblich erleichtert. Dabei werden Parameter wie Leitungslängen, Kosten und geografische Gegebenheiten berücksichtigt. Automatisierte Algorithmen ermöglichen es, optimale Netzlayouts zu erstellen, die sowohl wirtschaftlich als auch technisch tragfähig sind (Fig. 2).
Eine hohe Wärmedichte ist entscheidend für die Effizienz eines Wärmeverbundes. Daher müssen nach der initialen Netzplanung durch gezielte Verdichtungsmassnahmen weitere Kunden erschlossen werden. Gebäude mit fossilen Heizsystemen und hohem Wärmebedarf, die noch nicht an das Netz angeschlossen sind, stellen hier das grösste Potenzial dar. Dabei können wiederum die bereits oben erwähnten digitale Plattformen mit gebäudespezifischen Daten helfen, diese Gebäude zu identifizieren.
Die Umsetzung eines wirtschaftlichen Wärmeverbunds ist aber nicht nur ein technischer, sondern auch ein kommunikativer Prozess. Denn ein wesentlicher Aspekt ist, die als potenzielle Verbraucher identifizierten Kunden vom Anschluss zu überzeugen. Besonders erfolgreich sind Vertriebsstrategien, die auf personalisierte Ansätze setzen. Die Kombination digitaler Gebäudetools mit Kundendatenbanken (CRM-Systemen) ermöglicht es, potenzielle Kunden mit individuellen Angeboten gezielt anzusprechen.
Sind solche digitale Plattformen öffentlich zugänglich, können sich interessierte Kunden auch selbst aktiv informieren bis hin zur massgeschneiderten Offerte. So bieten etwa das Online-Energieportal der Stadt Biel [6], der Stadt Eglisau [7] oder von Energie Zürichsee Linth [8] potenziellen Kunden die Möglichkeit, mit wenigen Klicks ihre individuellen Bedürfnisse für die Wärmeversorgung zu analysieren, und schlagen die optimal dazu passende Lösung vor. So kann der Kunde beispielsweise die Verfügbarkeit von Fernwärme prüfen und sich die Kosten für den Anschluss direkt kalkulieren lassen. Dieser einfache Zugang zu massgeschneiderten Informationen ist entscheidend, um Hausbesitzer von den Vorteilen erneuerbarer Wärmequellen zu überzeugen und sie bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen (Fig. 3). Netzbetreiber, die solche Tools einsetzen, berichten denn auch von einer deutlich höheren Abschlussrate im Vergleich zu nicht individualisierten Vertriebsmethoden. Arbeiten sie dabei aktiv mit den Gemeinden zusammen, hilft das zusätzlich, Barrieren abzubauen und eine höhere Akzeptanz für Anschlussprojekte zu schaffen.
Auch für die Gemeinden minimieren solche Portale den Aufwand für die Informationsbeschaffung und -verarbeitung. So müssen sie nicht mehr manuell nach Informationen suchen, um Anfragen zur Heizungssanierung zu beantworten. Stattdessen sind relevante Daten wie Alter und Typ der Heizung, Gebäudefläche, Alter des Gebäudes und Jahr der letzten Sanierung bereits im digitalen Portal hinterlegt und leicht zugänglich.
Die Portale ermöglichen es Gemeinden auch, proaktiv auf Hausbesitzer zuzugehen, bei denen eine Heizungssanierung ansteht, und gezielte Beratungs- und Informationskampagnen durchzuführen.
Nutzer können über das Portal auch Informationen zu Fördermöglichkeiten und speziellen Vorschriften, wie Denkmalschutz, erhalten. Dies erleichtert es ihnen, finanzielle Unterstützung für den Wechsel zu erneuerbaren Heizsystemen zu beantragen und rechtliche Rahmenbedingungen zu berücksichtigen.
Zukünftig könnten solche Portale auch dazu verwendet werden, das CO₂-Monitoring auf Gemeindeebene zu unterstützen, da die Emissionsdaten der Gebäude bereits erfasst sind. Dies würde eine genauere Überwachung und Steuerung der Emissionsreduktion ermöglichen.
Die Digitalisierung macht die Planung von Wärmeverbünden einfacher und ermöglicht eine erhebliche Steigerung der Wirtschaftlichkeit. Von der Potenzialanalyse über die Netzplanung bis zur Kundenakquise tragen datenbasierte Ansätze dazu bei, fundierte Entscheidungen zu treffen und Ressourcen effizient zu nutzen. Unternehmen, die diese Möglichkeiten konsequent umsetzen, leisten nicht nur einen Beitrag zur Nachhaltigkeit, sondern sichern sich auch langfristige wirtschaftliche Vorteile.
Dank des effizienten und zielgerichteten Zugangs zu Informationen über erneuerbare Heizsysteme, unterstützt die Digitalisierung ausserdem die breitere Akzeptanz und Implementierung dieser Technologien bei Hausbesitzern. Das trägt wiederum dazu bei, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren und die Klimaziele zu erreichen.
[1] EnergieSchweiz, geoimpact (2025): Energiereporter.
[2] Hälg, L. et al. (2021): Das Wertschöpfungs- und Arbeitsplatzpotential des beschleunigten Ausbaus der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz in der Schweiz.
[3] Deutsche Energie-Agentur (2024): KI in Fernwärme: Ein Leitfaden zur erfolgreichen Umsetzung von KI-Projekten.
[4] geoimpact (2025): Swiss Energy Planning.
[5] Planeto Energy (2025): Tessa Tool.
[6] Biel (2025): Energieportal der Stadt Biel.
[7] Renercon (2025): Wärmeverbund Eglisau Portal.
[8] EZL (2025): EZL Fernwärme-Check.
[9] Nidau (2025): Energieportal Nidau.
[10] Carle, G.; Renold, T. (2024): Digitalisierung von Energieversorgungsunternehmen, Ergebnisse zur Marktumfrage 2024, esolva Tagung vom 28. November 2024
Die Digitalisierung ermöglicht Energieversorgungsunternehmen (EVU), ihre Geschäftsprozesse und Kundeninteraktionen effizienter zu gestalten und neue Geschäftsfelder zu erschliessen. Eine aktuelle Umfrage von Carle & Renold (2024) zeigt jedoch, dass viele Schweizer EVU diese Potenziale in vielen Bereichen noch nicht voll ausschöpfen [10]:
Nur 10% der befragten Unternehmen nutzen digitale Tools in diesen Bereichen. Dies zeigt, dass hier noch erheblicher Nachholbedarf besteht.
Lediglich 20% der EVU sind in der Lage, Big Data aus verschiedenen Quellen effektiv zu nutzen – ein Bereich mit grossem Potenzial für die Prozessoptimierung.
Der Anteil der EVU, die den Ausbau digitaler Vertriebskanäle wie Webshops oder virtuelle Beratungsangebote als irrelevant betrachten, beträgt fast 45%. Andererseits fühlt sich ein Drittel der Befragten in diesem Bereich im Rückstand gegenüber der Konkurrenz.
Ein Kernproblem bei der Digitalisierung der EVU ist das Fehlen klarer Digitalisierungsstrategien – nur 44% der EVU verfügen über eine solche. Dies hemmt die Entwicklung digitaler Lösungen. Ohne klare Visionen, gezielte Investitionen und einem Change-Management bleiben viele Potenziale ungenutzt. Dabei ist die digitale Transformation nicht nur eine technologische Anpassung, sondern ein tiefgreifender Veränderungsprozess. Denn die Unternehmen müssen nicht nur ihre Infrastruktur modernisieren, sondern auch Fachkräfte dafür gewinnen oder qualifizieren und kulturelle Widerstände überwinden.
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