Der Wärmebedarf der Schweiz betrug 2019 rund 104 Terrawattstunden (TWh), was rund die Hälfte des gesamten Energiebedarfs ausmachte [1]. Gross ist auch die Menge der aus der Wärmeerzeugung entstehenden Treibhausgasemissionen durch fossile Energieträger: Sie sind für 35 Prozent der in der Schweiz verursachten Emissionen verantwortlich, was 16 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten (CO2eq) entspricht [2].
Reduziert werden kann der Ausstoss von CO2-Emissionen zum Beispiel mit dem Einsatz von erneuerbaren Energiequellen oder Abwärme aus der Industrie oder aus Kehrichtverwertungsanlagen (KVA). Bei optimaler Nutzung dieser Quellen in thermischen Netzen könnten bis 2050 jährlich rund 22 TWh Wärme in thermische Netze eingespeist werden (Fig. 1). Das ist doppelt so viel wie heute und entspricht 27 Prozent des Gesamtwärmebedarfs im Jahr 2050.
Ein Ausbau der thermischen Netze würde es ermöglichen, acht Prozent der heutigen Treibhausgasemissionen der Schweiz zu verhindern. Anders ausgedrückt: Der Beitrag zur Dekarbonisierung könnte mit dieser Umstellung von 1,9 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente auf 5,1 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente gesteigert werden [3]. Es gibt aktuell keine Branche und kein Politikfeld mit einem noch stärkeren Hebel.
Zurzeit werden Heizungen mit fossiler Energie wie Öl oder Gas häufig durch Wärmepumpen ersetzt. Damit steigt der Strombedarf für Raumwärme in der Schweiz um voraussichtlich 3,6 TWh pro Jahr bis 2050 [4]. Werden Wärmepumpen mit einer auf Solarenergie basierenden Stromversorgung kombiniert, dann führt dies zu einem Stromimport im Winterhalbjahr, der auf 9 TWh pro Jahr prognostiziert wird [4]. Diese Abschätzung zeigt, wie wichtig ein forcierter Ausbau der thermischen Netze ist. Mit thermischen Netzen lässt sich die Stromlücke im Winter verkleinern, da die Abwärmenutzung und mitteltiefe Geothermie kaum Strom benötigen. Ausserdem kann Umweltwärme aus Gewässern effizienter gewonnen werden, als dies mit individuellen Luft-Wasser-Wärmepumpen möglich ist.
Viele Verbraucher müssen in den nächsten Jahren ihre fossilen Wärmeerzeuger ersetzen. Stehen keine thermischen Netze zur Verfügung, müssen die Wärmebezüger auf Individuallösungen wie z. B. Wärmepumpen zurückgreifen. Die Wirtschaftlichkeit thermischer Netze hängt stark von der Anschlussdichte ab, welche sich direkt auf den Wärmepreis auswirkt. Die Kundengewinnung ist in diesem Zusammenhang entscheidend: Wird mit dem Ausbau der thermischen Netze zu lange gewartet oder kommt es zu Verzögerungen steigen viele potenzielle Kunden auf Alternativen um, womit die Anschlussdichte der thermischen Netze tiefer ausfällt und die Wirtschaftlichkeit leidet. Manchmal bieten sich Übergangslösungen an [5], aber trotzdem bleibt das Tempo des Netzausbaus entscheidend.
Ein Grossteil des enormen Potenzials industrieller Abwärme in der Schweiz von etwa 4 TWh pro Jahr [6] bleibt aufgrund tiefer Versorgungssicherheit und des damit verbundenen Risikos ungenutzt. Die Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen würde die Einbindung von solchen oft noch ungenutzten Wärmequellen erleichtern. Aus diesem Grund engagieren sich die Vereine InfraWatt, Thermische Netze Schweiz TNS und der Verband der Betreiber Schweizerischer Abfallverwertungsanlagen VBSA für einen Fonds für Ausfallrisiken.
Eine entscheidende Rolle für eine bessere Nutzung des Potenzials industrieller Abwärme spielen Wärmespeicher. Diese ermöglichen, beispielsweise schwankend anfallende Abwärme oder Wärme aus Quellen mit hohem Ausfallrisiko zwischenzuspeichern, und gleichen so die Versorgung aus. Mittels Wärmespeicher können industrielle Abwärmequellen besser in thermische Netze eingebunden werden. Mit saisonalen Speichern können die nicht genutzten Wärmemengen des Sommers im Winter zur Verfügung gestellt werden. Mit dieser in Skandinavien erprobten Technik kann der jährliche Wärmeabsatz aus kontinuierlich verfügbaren Abwärmequellen (z. B. KVA) gesteigert werden [7].
Moderne thermische Netze erzeugen Wärme massgeblich aus erneuerbaren Energiequellen und Abwärme. Zur Deckung der Spitzenlast werden aber immer noch meist fossile Energieträger eingesetzt. Diese sollten mittelfristig durch Optimierungen und den Einsatz von Wärmespeichersystemen reduziert und der Restbedarf durch klimaneutrale Brennstoffe gedeckt werden. Bei neuen Netzen liegt der Anteil der Spitzenlast bei etwa 5 Prozent der jährlichen Energiemenge.
Das grösste Potenzial zur Steigerung der Fernwärmeproduktion mit erneuerbaren Energien bieten Seen, Flüsse sowie Grund- und Abwasser (vgl. Projektbeispiel). Thermische Netze sind die einzige Möglichkeit, diese ortsgebundenen und lokalen Energiequellen zu nutzen. Auch die mitteltiefe Geothermie kann nur über thermische Netze erschlossen werden. Der Verband Geothermie Schweiz schätzt, dass diese Quelle bis 2050 bis zu 8 TWh liefern kann.
Eine weitere Möglichkeit, die Fernwärmeproduktion zu steigern, bietet die intensivere Nutzung von Abwärme aus der Industrie und der Dienstleistungsbranche (z. B. Rechenzentren) sowie aus KVA. Beim Energiemix von thermischen Netzen (Fig. 1) ist der hohe Stellenwert von KVA ersichtlich: Mit 4 TWh pro Jahr decken KVA heute etwa 36 Prozent des Fernwärmebedarfs. Nimmt man die effizientesten Schweizer KVA als Massstab, lässt sich das Potenzial der Abwärmenutzung aus KVA mit 8 TWh pro Jahr verdoppeln [8]. Die Erhöhung des Wärmepotenzials ist jedoch nicht auf die Erhöhung der Abfallmenge zurückzuführen – diese wird über die nächsten Jahre voraussichtlich konstant bleiben [4] –, sondern auf einen möglichen Ausbau der Wärmenetze und der einhergehenden vermehrten Nutzung der Abwärme.
Die Schweizer KVA-Branche entwickelt zurzeit eine eigene Netto-Null-Strategie. Neben Massnahmen, welche die CO2-Emissionen möglichst verringern sollen, könnten auch die Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS, carbon capture and storage) in Zukunft eine wichtige Rolle spielen: Dabei könnten KVA die verbleibenden, schwer vermeidbaren CO2-Emissionen direkt aus dem Rauchgas abscheiden und anschliessend dauerhaft im Untergrund speichern. Da ein Teil des Abfalls aus biogenen Quellen stammt und damit in der Bilanz kein zusätzliches CO2 ausstösst, könnten KVA durch dessen Abscheidung sogar negative CO2-Emissionen generieren. Die Zielvereinbarung zwischen dem VBSA und dem Bund sieht vor, dass ein erstes solches CCS-Projekt an einer KVA in der Schweiz bis 2030 in Betrieb gehen soll.
Die im vorangegangenen Kapitel genannten Energiequellen werden alle durch das Programm Wärmeverbünde der Stiftung Klimaschutz und CO2-Kompensation KliK unterstützt [9]. Zusätzlich fördert die Stiftung die Nutzung von Biomasse als erneuerbare Wärmequelle. Entsprechende Wärmeverbünde erhalten bis 2030 eine Förderung von 100 bis 160 Franken pro Tonne anrechenbarer CO2-Reduktion, abhängig vom Projektstandort. Eine wichtige Voraussetzung für eine Förderung ist, dass die Auftragsvergabe für den Bau, die Erweiterung oder die Umstellung des Wärmenetzes nicht vor der Anmeldung beim Programm stattgefunden hat. Zudem können nur Wärmeverbünde gefördert werden, die ohne Förderung unwirtschaftlich wären.
Bislang hat die Stiftung KliK im Rahmen des Förderprogrammes insgesamt rund 80 Mio. Franken für 96 Wärmeverbünde in der ganzen Schweiz vertraglich zugesichert. Neue Projekte können nach wie vor eingegeben werden. Das Programm läuft noch bis und mit 2030, es gilt also, jetzt von den Fördergeldern zu profitieren. Das Antragsverfahren zur Programmteilnahme ist dank der standardisierten und vom BAFU genehmigten Berechnungsmethode einfach. Projektträger erhalten nach kurzer Zeit einen Bescheid über die Förderwürdigkeit des eingereichten Projekts. Weitere Informationen zum Programm, ein Beitragsrechner sowie die Online-Antragsstellung sind über www.waermeverbuende.klik.ch verfügbar. Für Machbarkeitsstudien bieten viele Kantone oder auch Städte finanzielle Unterstützung an. Eine weitere Möglichkeit zur Umsetzung von Wärmeverbünden ist die Zusammenarbeit mit Kontraktoren. Diese übernehmen – falls gewünscht – die Planung, Finanzierung, den Bau und den Betrieb eines Wärmenetzes innerhalb eines vertraglich festgelegten Zeitraumes.
Mitten in Luzern, hinter dem Bahnhof und direkt am Vierwaldstättersee gelegen, befindet sich die See-Energiezentrale «Inseliquai» der ewl energie wasser luzern [10]. Die Energiezentrale versorgt das Leitungsnetz rund um das Luzerner Zentrum mit Energie. Mehrere Gebäude sind bereits angeschlossen. In den nächsten Jahren wird das Versorgungsnetz im Zentrum und um das Luzerner Seebecken weiter ausgebaut, im Endausbau sollen es rund 3700 Haushalte sein (Fig. 2). Durch die Versorgung mit See-Energie in Luzern können zukünftig bis zu 5500 Tonnen CO2 eingespart werden.
Vier gleich grosse Seewasserpumpen befördern das Seewasser aus einer Tiefe von 30 Metern über die 1,9 Kilometer lange Seeleitung zur Energiezentrale. Die Pumpen transportieren zusammen eine gesamte Wassermenge von rund 1540 m3 pro Stunde. Der Seewasserfilter bildet ein wichtiges Verbindungsstück zwischen der Seeleitung und der Energiezentrale. Zwei Filter laufen abwechslungsweise im Filtrations- respektive im Rückspülbetrieb. Das Filtersieb besteht aus Öffnungen von 200 Mikrometern, wodurch bereits kleinste Schmutzpartikel abgeschieden werden können. Im Rückspülvorgang wird die durch die Filtration verschmutzte Oberfläche des Filters automatisch gereinigt. Damit keine dauerhaften Ablagerungen entstehen, besteht die Oberfläche aus flachem Chromstahl.
In den Wärmetauschern (Fig. 3) wird die Energie des Seewassers mit der Energie des Rohrleitungswassers ausgetauscht. Das Seewasser und das Wasser im Rohrleitungsnetz kommen dabei nicht miteinander in Berührung, um eine mögliche Verschmutzung des Seewassers zu verhindern. Die Hochtemperatur-Wärmepumpen (Fig. 4) erzeugen mit zweistufigen Kompressoren Wärme, um das Temperaturniveau für das Wärmenetz zu erhöhen. Die Niedertemperatur-Wärmepumpen erhöhen das Niveau der Seewassertemperatur und speisen die Wärme in das Niedertemperaturnetz ein. Die Gaskessel von je 1150 kW Leistung werden zur Spitzenlastdeckung, als Redundanz und zur Regelung der Netze eingesetzt. Die Wärme- und Kältespeicher dienen in erster Linie dazu, den Netzbetrieb von der Produktion zu trennen. Durch die Entkopplung kann die Produktion möglichst lange auf dem Effizienzmaximum betrieben werden, während genau so viel Energie ans Netz abgegeben wird, wie gerade benötigt wird. Die Anlage weist insgesamt eine Leistung von 14 MW auf.
Die Energiezentrale wurde früher von der SBB und der PTT betrieben und stammt aus dem Jahr 1984. Seit 2016 ist die Anlage in Besitz der ewl, welche die Anlage komplett erneuert – inklusive der Seewasserleitung – und um ein Anergienetz erweitert hat. Die Baukosten betrugen rund 18,6 Mio. Franken, wobei die Stadt Luzern Fördergelder von einmalig knapp 190 000 Franken beisteuerte. Die Stiftung KliK unterstützt das Vorhaben in Luzern mit 100 Franken pro substituierte Tonne CO2 bis und mit 2030, was rund 1 Mio. Franken entspricht.
Bibliographie
[1] Bundesamt für Energie BFE (2023): Wärmestrategie 2050
[2] Bundesamt für Umwelt BAFU (2023): Klima: Das Wichtigste in Kürze
[3] Ecoinvent Database (Version 3.8)
[4] Bundesamt für Energie (2021): Energieperspektiven 2050+, Technischer Bericht
[5] Thalmann, S. et al. (2023): Leitfaden zu Übergangslösungen beim Ausbau thermischer Netze
[6] Rast, L. et al. (2019): Leitfaden zur industriellen Abwärmenutzung. Bundesamt für Energie BFE
[7] Lüchinger, A. (2023): Thermal Storages for District Heating Grids. 10th Swiss Symposium Thermal Energy Storage.
[8] Rytec AG (2021): Einheitliche Heizwert- und Energiekennzahlenberechnung der Schweizer KVA nach europäischem Standardverfahren. Bundesamt für Energie BFE, Bundesamt für Umwelt BAFU
[9] Müller, E.A.; Vogelsanger, M. (2022): Rechenzentren als Wärmequellen. Aqua & Gas 5/2022: 23–27
[10] ewl energie wasser luzern (2023): https://www.ewl-luzern.ch/privatkunden/energie/see-energie/luzern-zentrum/?gclid=Cj0KCQjw2eilBhCCARIsAG0Pf8vQHb1EuVynepaWlku1ypxnQlo7uIGZBNHPc8jJ40VLOpAHkx-bXvMaAq7KEALw_wcB
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