Ich vermute, dass die Mehrheit von Ihnen die Frage mit «Nein, aber …» beantworten wird. Eine häufig gehörte Begründung dafür ist: «Was nützt uns ein digitaler Zwilling, was ist der Mehrwert? Wir wissen, wo unsere Leitungen liegen, wir kennen deren Zustand. Da wir für Sanierungen sowieso aufgraben müssen, kommt es gar nicht darauf an, ob unsere Leitung 10 cm höher oder tiefer liegt, als im Plan verzeichnet. Und so auf den Zentimeter genau arbeiten wie im Hochbau müssen wir im Tiefbau ja nicht.»
Ist also die ganze Digitalisierung im Infrastrukturbau nur ein «Nice to have» für digitalaffine, unterbeschäftigte Schreibtischtäter? Wie so oft bei grossen Innovationsmeilensteinen versuchen wir ausgehend vom bisherigen Wissen, von heutiger Technik und Methodik die Zukunft eher linear vorauszusagen und liegen damit meist falsch, weil wir die neuen Kombinationen der drei Faktoren nur erahnen können.
Momentan sind in der Praxis viele Fragen offen: Wie lassen sich die Tools für Zustandserfassung, Funktionskontrollen, Erhaltungsplanung, Projektierung, Finanzplanung unter einen Hut bringen? Weist das städtische bzw. kommunale GIS die Funktionalitäten auf, die wir als Werk brauchen? Sind die bisherigen Tools mit neuer BIM-Software kompatibel? Welcher Standard wird sich durchsetzen? Kann ich mir die Abhängigkeit von einem Systembetreiber überhaupt leisten? Welche Daten sind öffentlich sichtbar? Und wie steht es mit der Datensicherheit? Was ist, wenn unser digitaler Zwilling gehackt wird? Müssen wir aus Sicherheitsüberlegungen auf gewisse Digitalisierungsschritte verzichten?
Weil die Digitalisierung in den verschiedenen Teilbereichen des Infrastrukturmanagements stetig voranschreitet und die guten Beispiele dank des Erfahrungsaustauschs in den Fachverbänden kommuniziert und multipliziert werden, bin ich sicher, dass wir bereits in zehn Jahren viele der obigen Fragen als Branche beantworten können und die Standardantwort auf die Einstiegsfrage eher in Richtung «Ja, aber …» geht.
Ausserdem sehe ich in der fortschreitenden Digitalisierung auch eine grosse Chance, durch die Möglichkeiten der Visualisierung den bisher meist nicht sichtbaren Teil unseres milliardenschweren Netzinfrastrukturportfolios für die Bevölkerung und die politischen Entscheidungsträgern erlebbarer zu machen, bessere Entscheidungsgrundlagen zu schaffen und so auch die Akzeptanz für Infrastrukturprojekte zu verbessern.
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