Die Abwasserreinigungsanlage der ara region bern ag gehört zu den grossen Kläranlagen der Schweiz. Herr Schuler, können Sie bitte die ARA, so wie sie sich derzeit präsentiert, beschreiben?
Adrian Schuler: Die ARA reinigt das Abwasser der Stadt Bern sowie elf weiterer Gemeinden. Zurzeit durchläuft das Abwasser die Anlagen Grob- und Feinrechen, Sandfang, Vorklärung und biologische Reinigung. Die Wasserstrasse der ARA weist mit einer Festbett-Biologie eine Besonderheit in der Schweiz auf. Eine vierte Stufe zur Elimination von Mikroverunreinigungen, ein Aktivkohle-Verfahren, befindet sich aktuell im Bau. Im Zuge dessen wurde der Sandfilter, der bis vor kurzem die Reinigung abschloss, zurückgebaut.
Wie bei vielen Schweizer Kläranlagen stehen auch bei uns grosse Investitionen an, um den gesetzlichen Anforderungen künftig Genüge zu tun. Den Strom- und Wärmebedarf deckt die ara region bern ag (arabern) nicht mit eigenem Klärgas, sondern mit Elektrizität aus dem Netz und Sattdampf von der nahe gelegenen Kehrichtverwertungsanlage (KVA) in Bern. Im Gegenzug kann arabern das Klärgas zu Biomethan aufbereiten und ins Gasnetz von Energie Wasser Bern (ewb) einspeisen. Mehr und mehr kommen Anlagen hinzu, die früher nicht auf ARA anzutreffen waren: Eine Anlage zur Elimination von Lachgas wird nächsten Sommer installiert und eine CO2-Verflüssigung geht Anfang 2025 in Betrieb.
«Hinter den Zielen des Ausbaus – nämlich die Erweiterung und Verbesserung des Gewässerschutzes – stehe ich auf jeden Fall voll und ganz.»
Sie erwähnten gerade das Festbett-Verfahren für die biologische Reinigung. Wie funktioniert dieses?
Bei der Festbett-Biologie handelt es sich um das Verfahren Biostyr. Die Anlage, die vor rund 22 Jahren in Betrieb genommen wurde, besteht aus 16 Betonkammern, die mit je 420 Kubikmetern Polystyrolkügelchen (Kugeldurchmesser: 4 ml) gefüllt sind. Damit liegen in der Anlage viele Milliarden Kugeln vor. Die Oberfläche aller Styroporkugeln zusammen entspricht in etwa der Fläche von 650 Fussballfeldern; es steht also eine riesige Fläche für das Aufwachsen von Mikroorganismen zur Verfügung. Das Abwasser durchfliesst eine Kammer in rund 45 Minuten. Die 16 Zellen sind in zwei Blöcken à 8 Zellen zusammengefasst, die wiederum übereinander angeordnet sind. Im oberen Teil findet der aerobe Abbau statt, unten herrschen anoxische Bedingungen. Dadurch dass zwei Prozessschritte übereinander angeordnet sind, ist die Anlage sehr kompakt, was von grossem Vorteil für den Standort in Bern ist. Allerdings geht die Kompaktheit der Anlage mit dem Nachteil einher, dass das Abwasser rezirkuliert, also gepumpt werden muss.
Die biologische Reinigung soll nun ausgebaut werden. Was genau ist in diesem Ausbauprojekt geplant?
Mit dem Bevölkerungswachstum und dem Zubau an Industrie im Einzugsgebiet kommt unsere Biologie immer stärker an ihre Grenzen, weshalb eine Erweiterung nötig ist. Zudem steht mit der Motion zur Reduktion der Stickstoffeinträge aus ARA auch eine gesetzliche Anpassung vor der Tür. Wir können mit dem Ausbau der Biologie aber nicht warten, bis die Verordnung diesbezüglich Klarheit schafft. In der Planung der Anlage haben wir daher eine Reduktionsleistung berücksichtigt, die voraussichtlich die neuen Vorgaben erfüllen wird. Auch für den Ausbau setzen wir auf das Biostyr-Verfahren. Geplant ist, zusätzlich zu den bereits bestehenden 16 Festbett-Zellen der Biologie 8 weitere Filterzellen hinzuzubauen. Pro Block à 8 Zellen ist jeweils eine Zelle für die Post-Denitrifikation vorgesehen, allenfalls unter Zugabe von Kohlenstoff. Nach Abschluss der Erweiterung sollen diverse Optimierungs- und Sanierungsarbeiten in den bestehenden Blöcken durchgeführt werden.
Als eine der grössten Schweizer ARA ist arabern verpflichtet, bis 2030 eine 4. Reinigungsstufe zu integrieren. Welches Verfahren wurde für die Elimination der Mikroverunreinigungen ausgewählt?
Je nach Abwasser, das im Einzugsgebiet anfällt, ist das eine oder das andere Verfahren zur Elimination der Spurenstoffe geeignet. So mussten wir eine Ozonung relativ früh verwerfen wegen der Bildung unerwünschter Umwandlungsprodukte (Bromatbildung aus Bromid). Schlussendlich haben wir uns für ein Verfahren mit granulierter Aktivkohle (GAK) im Schwebebett entschieden. Mit diesem einstufigen Verfahren hat bereits die ARA Penthaz gute Erfahrungen gesammelt. Zudem haben wir intern über viele Monate hinweg mit eigenen Reaktoren Versuche gefahren. Wir sind überzeugt, dass das gewählte Verfahren in Bezug auf Reinigungsleistung, Ressourcenverbrauch und Platzbedarf für uns ideal ist.
Welche weitere Reinigungsstufe wird im gleichen Zuge mit umgebaut?
Im neuen Gebäude findet nebst der Stufe zur Entfernung der Mikroverunreinigungen auch die rundum erneuerte Abwasser-Filtration Platz. Die bis anhin letzte Reinigungsstufe, die Sandfiltration, die nach rund vierzigjähriger Betriebszeit an ihr Lebensende gekommen ist, wurde mittlerweile zurĂĽckgebaut. Sie wird durch ein platzsparenderes und effizienteres Verfahren ersetzt. Neu setzen wir auf eine Polstoff-Filtration. Bei dieser werden dreidimensionale Gewebe, sogenannte Polstoffe, als Filtermedium eingesetzt. Das Dach des Gebäudes, in dem die 4. Reinigungsstufe und die nachgeschaltete Filtration auf weitgehend der gleichen Grundfläche wie die frĂĽhere ÂSandfiltration Âunterkommen, wird extensiv begrĂĽnt und mit einer PhotoÂvoltaikanlage ausgerĂĽstet.
Wie ist der Stand dieser grossen Um- und AusbauÂprojekte?
Mit dem Spatenstich Anfang Juni 2023 starteten die Bauarbeiten für die 4. Reinigungsstufe. Das Gebäude hierfür befindet sich aktuell im Rohbau. Die Inbetriebnahme ist für 2026 geplant. Das Ausbauprojekt für die Biologie konnten wir im Spätsommer 2024 zur Bewilligung einreichen. Erfahrungsgemäss dauert die Baubewilligungsphase mindestens ein Jahr. Mit diesem Umstand mussten wir in der Vergangenheit leben lernen. Wir haben uns damit arrangiert und nutzen diese Zeitspanne nun, um im Projekt Details auszuarbeiten und Optimierungen durchzuführen. Auch die Vorbereitungen für die öffentlichen Ausschreibungen können wir parallel zur Baubewilligung angehen.
Neben der Erweiterung der Kläranlage um eine 4. Stufe steht aktuell auch der Bau einer Anlage zur Elimination von Lachgas an. Was ist hier genau geplant? Welche Technologie ist für die Lachgas-Elimination vorgesehen?
Tatsächlich ist der grösste Klima-Impact der arabern den Lachgasemissionen zuzuschreiben. Die ARA emittiert jährlich rund 11'000 Tonnen CO2-Äquivalent in Form von Lachgas. Pro Jahr entspricht dies den Treibhausgasemissionen eines Mittelklassewagens, der rund 84 Millionen Kilometer zurücklegt. Am idealsten wäre sicherlich, das Lachgas durch eine geeignete Prozessführung gar nicht entstehen zu lassen. Hier steckt die Forschung aber erst in den Anfängen. Ausserdem haben wir mit der Festbett-Biologie nicht viele Möglichkeiten, der Lachgasbildung entgegenzuwirken. Wir setzen daher auf eine End-of-Pipe-Lösung, die wir 2022 pilotiert haben. Es handelt sich um die regenerative thermische Oxidation (RTO). Bei diesem Prozess wird – einfach gesagt – die Abluft der Biologie auf mehr als 900 Grad Celsius aufgeheizt, wodurch das Lachgas zerstört wird. Um die nötige Prozesswärme zu erzeugen, brauchen wir aber leider auch einen Teil unseres Biogases, was die eliminierbaren Treibhausgasemissionen reduziert. Unter dem Strich wird die Anlage aber unsere klimarelevanten Emissionen deutlich senken. Die Installation der RTO-Anlage ist für diesen Sommer geplant.
Ein Thema, das viele ARA-Betreiber zurzeit ebenfalls beschäftigt, ist die Optimierung der Abwasserbewirtschaftung bei Regenwetter. Wie gehen Sie dieses Thema an?
Hier spielen die Abmachungen mit den angeschlossenen Gemeinden eine wichtige Rolle, denn in unserem Einzugsgebiet ist die Regenwasserbewirtschaftung Aufgabe der Gemeinden. Natürlich versuchen wir, unsere Prozesse zu optimieren, um mehr Abwasser behandeln zu können. Mit dem Ausbau der ARA wird auch die Kapazität erhöht von 3000 auf 3500 Liter pro Sekunde, da die Tendenz zu stärkeren Niederschlagsereignissen zunimmt. Ausserdem betreiben wir den Zuleitungsstollen, also die Hauptzuleitung aus der Stadt Bern, als Speicherstollen.
Arabern hat sich zum Ziel gesetzt, aus Abgängen respektive Nebenprodukten der Abwasserreinigung Produkte zu machen. Wo wird dies bereits wirtschaftlich umgesetzt?
Die tief hängenden FrĂĽchte haben wir – wie die meisten Schweizer ARA – bereits geerntet. Ein Beispiel ist die Verwertung des Biogases, das wir ins ewb-Gasnetz einspeisen. Anfang 2025 geht zudem eine CO2-VerflĂĽssigungsanlage in Betrieb. Das CO2, ein Nebenprodukt aus der Biogasaufbereitung und Biomethangewinnung, wird durch die VerflĂĽssigung transportfähig gemacht, sodass unser Abnehmer ein nutzbares Produkt erhält. Wir geben das CO2 in Isotainern an die Start-up-Firma neustark ab, die das abgeschiedene biogene CO2 in AbbruchÂbeton speichert. Dieses Geschäft muss mindestens selbsttragend sein, da es sich nicht ĂĽber die AbwassergebĂĽhren finanzieren lässt – eine Cashcow wird dies aber sicher nicht.
Dann gäbe es noch einige «Früchte», die leider allzu hoch hängen. Aus dem Presskuchen der Rechenanlage (bestehend vor allem aus Hygieneartikeln wie Atemmasken, Tampons, Kondomen, Feuchttüchern etc.) werden wir wahrscheinlich kaum je ein marktfähiges Produkt generieren können. Dies ist wohl mit einem Schmunzeln gesagt, zeigt aber einfach, dass eine ARA nicht zaubern kann. Zum Teil stehen aber auch rechtliche Gründe der Gewinnung von Produkten aus der Reinigung entgegen, so zum Beispiel bei der Nutzung von aus dem Abwasser entferntem Sand als Sekundärbaustoff.
Die Verordnung ĂĽber die Vermeidung und die Entsorgung von Abfällen (VVEA) schreibt vor, dass Phosphor aus Klärschlamm zurĂĽckzugewinnen ist. Arabern hat ein ForschungsÂprojekt zur PhosphorrĂĽckgewinnung durchgefĂĽhrt. Was konnte daraus abgeleitet werden?
Das Forschungsprojekt zur Phosphorrückgewinnung aus dem ausgefaulten Schlamm, das ExtraPhos-Verfahren, haben wir abgeschlossen. Im Reagenzglas hat die Methode gut funktioniert. Aber hochgerechnet auf unsere Anlage, hätte diese Form der Phosphorrückgewinnung einen Umschlag von sechs Tonnen Salzsäure pro Tag mit sich gebracht. Ökologische, ökonomische und Arbeitssicherheitsgründe haben klar gegen das Verfahren gesprochen. Momentan laufen bei uns keine weiteren Aktivitäten auf dem Gebiet der Phosphorrückgewinnung. Wir warten vielmehr ab, was auf Bundes- und kantonaler Ebene für Entscheidungen getroffen werden.
Eine weitere Herausforderung ist die Steigerung der EnergieÂeffizienz respektive die Optimierung der Energiebewirtschaftung in der ARA. Welche Verbesserungen konnten Sie in den letzten Jahren erzielen und was ist fĂĽr die Zukunft geplant?
Ein grosser Schritt diesbezüglich wurde mit der Schaffung eines Energie-Querverbunds zwischen der ewb-Energiezentrale Forsthaus (KVA, Biomasse- und Erdgaskombikraftwerk) und arabern gemacht. Seit 2016 wird der gesamte thermische Energiebedarf der ARA über eine unterirdische Sattdampfdruckleitung durch die Energiezentrale gedeckt. Im Gegenzug wird das durch Aminwäsche aufbereitete Biomethan in das ewb-Erdgasnetz eingespeist. Weiter ist der Zubau der Photovoltaik zu nennen. Auf jedem Dach, das saniert oder neu gebaut wird, installieren wir eine PV-Anlage. So wurden auf den Dächern des Dienstgebäudes und der Biomasseannahmestelle PV-Anlagen errichtet und das Dach des Gebäudes der 4. Reinigungsstufe wird ebenfalls eine erhalten. Damit lässt sich allerdings nur ein kleiner Anteil unseres Strombedarfs decken. Grosse Hebel hinsichtlich Energieeinsparungen haben wir bei der Belüftung: Wir konnten die Effizienz dieser durch Anpassungen, beispielsweise bei der Luftverteilung, steigern.
Und welche Projekte gibt es im Bereich Digitalisierung?
Bei unseren verschiedenen Projekten sind wir schon seit Längerem mit Building Information Modeling (BIM) – von der Projektierung an bis und mit Inbetriebsetzung – unterwegs. Einschränkend muss allerdings gesagt werden, dass wir nur einen kleinen Teil der BIM-Möglichkeiten nutzen. Was wir jedoch bei jedem Projekt anwenden, ist die Möglichkeit, mithilfe von 3D-Brillen virtuell durch die geplanten Anlagen zu laufen. So erhalten wir vonseiten Betrieb und Instandhaltung viele gute Verbesserungsvorschläge. Wir übertragen zudem die BIM-Daten in unser Instandhaltungs-Tool. Um die Prozesse digital sauber abzubilden, achten wir insgesamt darauf, dass alle Dokumentationen digital eingepflegt werden.
ARA sind kritische Infrastrukturen; umso wichtiger ist die Umsetzung von IT-Sicherheitsmassnahmen. Wie gehen Sie die Frage der Cybersicherheit an?
Klar ist, dass Kläranlagen nicht gefeit sind vor Cyberangriffen. Daher beschäftigen wir uns selbstverständlich mit dem Thema und stützen uns dabei auf den IKT-Minimalstandard Abwasser. Ausserdem haben wir einige Audits durchgeführt. Dabei stellten wir einen umfangreichen Massnahmenkatalog zusammen, den wir nun nach und nach abarbeiten.
Auf der arabern-Website wird bei der Beschreibung der Anlage als letzter Punkt «Naturpark» genannt. Wie sieht dieser Naturpark auf dem ARA-Gelände aus?
Ob ein ARA-Gelände letztendlich ein zertifizierter Naturpark ist oder nicht, spielt für mich eine untergeordnete Rolle. Als wichtig erachte ich hingegen, dass wir mit unserem schön an der Aare gelegenen Gelände auch zu Förderung und Erhaltung der Biodiversität beitragen können. Die Flächen sind aber gleichzeitig unsere Reserveflächen, die jede ARA braucht, denn Ausbauten müssen immer im laufenden Betrieb stattfinden. Wollen respektive müssen wir diese für den ARA-Ausbau nutzen, stossen wir immer wieder auf regulatorische Hürden. Hätte die Generation vor uns gewusst, dass die naturnah gestalteten Flächen dereinst nur mühsam und mit vielen Auflagen wieder für Ausbauten genutzt werden können, hätte sie es sich wahrscheinlich zweimal überlegt, freiwillig Hecken und Magerwiesen anzulegen. Im Zuge der vielen Forderungen seitens der Politik zum Ausbau von Kläranlagen wünsche ich mir, dass die Rahmenbedingungen entsprechend angepasst werden. Zumal ja nach Abschluss der Bauarbeiten, wenn die alten Anlagen ausser Betrieb genommen oder gar rückgebaut wurden, wieder Flächen frei werden, die bis zum nächsten Erneuerungszyklus für viele Jahre wieder der Natur überlassen werden können. Hinter den Zielen des Ausbaus – nämlich die Erweiterung und Verbesserung des Gewässerschutzes – stehe ich auf jeden Fall voll und ganz.
Nach einem Maschinenbaustudium an der HSR Hochschule für Technik Rapperswil arbeitete Adrian Schuler als Projektleiter, zunächst am UMTEC Institut für Umwelt- und Verfahrenstechnik der HSR und später dann bei der Renergia Zentralschweiz AG. Mitte 2016 wechselte Schuler zur ara region bern ag. Dort ist er seit Juni 2019 Geschäftsführer.
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