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Fachartikel
26. April 2023

Markus Bareit im Interview

«Die Produktion von Wasserstoff soll aus erneuerbaren Quellen erfolgen»

Die Schweiz hat sich das Netto-Null-Ziel gesetzt: Ab dem Jahr 2050 soll sie unter dem Strich keine Treibhausgasemissionen mehr ausstossen. Die vom Bundesamt für Energie (BFE) veröffentlichten Energieperspektiven 2050+ zeigen auf, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Dabei spielen Wasserstoff wie auch andere auf erneuerbarem Strom basierende Treib- und Brennstoffe einen wichtige Rolle. Wie das Thema Wasserstoff von Politik und Bundesamt angegangen und vorangetrieben wird, erläutert BFE-Fachspezialist Markus Bareit im Interview.
Margarete Bucheli 

Wasserstoff ist mittlerweile in der Schweizer Politik angekommen. Welche parlamentarischen Vorstösse zu diesem Thema gab es in den letzten Jahren?

Seit Veröffentlichung der überarbeiteten Energieperspektiven 2050+ und verschiedener Wasserstoffstrategien von EU-Mitgliedstaaten haben auch die politischen Vorstösse zum Thema Wasserstoff in der Schweiz zugenommen. Hervorzuheben sind dabei das Postulat 20.4709 Candinas, das eine Auslegeordnung im Bereich Wasserstoff verlangt, die Motion 20.4406 Suter und die Kommissionsmotion 22.3376 UREK-S. Die beiden Motionen fordern eine Schweizer Wasserstoffstrategie.

In den vom BFE im Jahr 2020 veröffentlichten Energieperspektiven 2050+ werden verschiedene technische Massnahmen genannt, die zum Erreichen des Netto-Null-Ziels beitragen können. Welche Rolle wird in diesen dem Wasserstoff zugeschrieben?

In den Energieperspektiven 2050+ kommt dem Wasserstoff vor allem im Verkehrsbereich eine wichtige Rolle zu, zum Beispiel im Schwerverkehr. Im Hauptszenario macht Wasserstoff zirka drei Prozent des Gesamtenergieverbrauchs aus. Das ist keine erhebliche Menge, ist aber doch von Bedeutung. Zählt man zudem die weiteren strombasierten Energieträger (Power-to-X) dazu, deren Ausgangsstoff auch Wasserstoff ist, kommt man mit 56 Petajoule auf einen Anteil von rund zehn Prozent des Gesamtenergieverbrauchs.

«In den Energieperspektiven 2050+ kommt dem Wasserstoff vor allem im Verkehrsbereich eine wichtige Rolle zu, zum Beispiel im Schwerverkehr.»

Je nach Herstellungsweise des Wasserstoffs wird dieses eigentlich farblose Gas mit verschiedenen Farbattributen versehen, von grau über blau und türkis bis hin zu grün und weiteren Farben. Welche Position vertritt das BFE hinsichtlich dieser «Wasserstoffarten», vor allem hinsichtlich des blauen Wasserstoffs?

Will man die Klimaziele erreichen, muss der Wasserstoff klar aus erneuerbaren Quellen hergestellt werden, was auf der Farbskala dem grünen Wasserstoff entspricht. Das BFE hat dazu im Herbst 2022 ein Thesenpapier veröffentlicht. Zudem hat das BFE zusammen mit dem BAFU ein Positionspaper veröffentlicht zum blauen Wasserstoff, also Wasserstoff hergestellt aus Erdgas gekoppelt mit der Abscheidung von CO2. In diesem weisen wir auf die ökologischen Auswirkungen dieser Herstellungsart hin. Trotzt der CO2-Abscheidung ist blauer Wasserstoff nicht Treibhausgas-neutral, da bei der Gewinnung und dem Transport des Erdgases Methan entweicht und bei der Wasserstoffproduktion nicht das gesamte CO2 abgeschieden werden kann.

Basierend auf den parlamentarischen Wasserstoff-Vorstössen und den Energieperspektiven 2050+ erarbeitet das BFE zurzeit eine «Wasserstoff-Roadmap 2050». Was soll in dieser aufgezeigt werden?

Hier müssen wir kurz die Begrifflichkeiten klarstellen. Zurzeit finalisieren wir den Postulatsbericht zum Postulat Candinas «Wasserstoff. Auslegeordnung und Handlungsoptionen für die Schweiz». Darauf aufbauend erarbeiten wir die Wasserstoffstrategie. Eine Roadmap für die Umsetzung der Strategie wird dann folgen. Zuerst wollen wir aufzeigen, wo voraussichtlich Wasserstoff in der Schweiz zum Einsatz kommt, wo und wie er produziert wird und wie er zum Endkonsumenten transportiert wird. Daraus leiten wir ab, welche Rahmenbedingungen in der Schweiz wichtig sind, damit uns ein Wasserstoff-Markthochlauf gelingt. Bei der Erarbeitung sind wir in engem Kontakt mit der Branche. Der Postulatsbericht soll im Herbst 2023 in den Bundesrat und die Finalisierung der Wasserstoffstrategie ist für 2024 vorgesehen.

Als einen ersten Schritt hin zur Wasserstoff-Strategie hat das BFE im Herbst 2022 ein Thesenpapier – Thesen zur künftigen Bedeutung von Wasserstoff in der Schweizer Energieversorgung – veröffentlicht. Was sagt dieses zur Produktion von Wasserstoff und zu den möglichen Anwendungsbereichen?

Wie bereits erwähnt, soll die Produktion von Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen erfolgen, was einen starken Ausbau an erneuerbaren Energien bedingt. Wasserstoff wird in der Schweiz in Zukunft mit grosser Wahrscheinlichkeit hauptsächlich im Langstrecken-, Schwer-, Flug- und Schiffsverkehr sowie in der Industrie (als Rohstoff und zur Bereitstellung von Prozesswärme) zur Anwendung kommen.

Welche Aussagen werden im Thesenpapier zur Speicherung gemacht?

Wasserstoff kann zur Speicherung von erneuerbaren Energien genutzt werden. Er kann dazu beitragen, saisonale Schwankungen auszugleichen und Knappheitssituationen bei der Stromversorgung im Winterhalbjahr entgegenzuwirken. Die saisonale Speicherung von in der Schweiz produziertem Wasserstoff ist mittel- bis langfristig relevant. Darum muss die Planung der (saisonalen) Speicherung von Wasserstoff frühzeitig angegangen werden. Nach heutigem Wissensstand ist in der Schweiz die Speicherkapazität begrenzt. Gleichzeitig erfordert ein Ausbau dieser erhebliche Investitionen. Deshalb wird der in der Schweiz produzierte Wasserstoff hauptsächlich zeitnah konsumiert werden. Womöglich muss – wie bereits beim Erdgas – auf Speicherkapazitäten im Ausland zurückgegriffen werden.

«Bei einer künftigen Planung der Netzinfrastrukturen ist die Energieversorgung im Gesamtkontext zu beachten.»

Momentan sollte sich gemäss Thesenpapier der Einsatz von Wasserstoff auf gewisse Bereiche beschränken. Sollte aber das Thema nicht eher technologieneutral angegangen werden, also dass Wasserstoff je nach Verfügbarkeit und Preis für alle Bereiche als Energieträger denkbar ist?

Das Thesenpapier verbietet in keinem Bereich den Einsatz von Wasserstoff, dazu hat das BFE auch gar nicht die Kompetenz. Das Thesenpapier zeigt lediglich, dass die Herstellung von Wasserstoff sehr energieintensiv ist und er deshalb in erster Linie dort eingesetzt werden sollte, wo eine Dekarbonisierung sonst nur sehr schwierig umsetzbar ist.

Über ein Drittel des in der Schweiz verbrauchten Erdgases wird von Industrie und Gewerbe genutzt, um Prozesswärme zu erzeugen. Über 95 Prozent dieser Industrie- und Gewerbebetriebe hängen an städtischen Gasverteilnetzen, nicht am Transportnetz. Wie sollen diese künftig die benötigte Prozesswärme produzieren, wenn die Gasverteilnetze im städtischen Bereich aufgegeben werden?

Hier liegt die Kompetenz bei den Städten und ihren Wärmestrategien. Ich kann dazu nur sagen, dass es bei der Prozesswärme stark darauf ankommt von welchen Temperaturen man spricht. Während eine Bäckerei ihre Prozesse elektrifizieren kann, wird zum Beispiel eine Giesserei wohl weiterhin auf Moleküle in Form von Wasserstoff, Biogas, synthetischem Methan oder Ähnlichem angewiesen sein.

Es ist geplant, zusätzlich zur Wasserstoff-Strategie eine «Übersicht zu Gas-, Wasserstoff- und CO2-Netzen und deren Abhängigkeiten» zu erstellen. Was soll in dieser aufgezeigt werden?

Bei einer künftigen Planung der Netzinfrastrukturen ist die Energieversorgung im Gesamtkontext zu beachten. Dabei sind auch raumplanerische Aspekte wie Korridore und der Platzbedarf von Fernwärme-, Wasserstoff-, CO2- und Gasnetzen zu berücksichtigen. Es gilt, den künftigen Bedarf der verschiedenen Netze zu erkennen und die Rahmenbedingungen für deren Ausbau zu definieren, sodass eine Fehlplanung und eine Überdimensionierung in den verschiedenen Netzen vermieden werden können. Dies auch in Anbetracht der Tatsache, dass nicht leitungsgebundene Alternativen existieren. Die detaillierte Wasserstoffnetzmodellierung obliegt jedoch, analog zum Strom, nicht dem Bund, sondern ist Sache der Gaswirtschaft.

Eine rein inländische Wasserstoffproduktion ist nicht möglich. Auch entwickelt die Initiative für einen Europäischen Wasserstoff-Backbone die Vision einer europaweiten Wasserstofftransportinfrastruktur. Was braucht es auf regulatorischer und technischer Ebene, um den Transport und Import von nachhaltig produziertem Wasserstoff in die Schweiz zu ermöglichen?

Als Ökonom hüte ich mich davor, dem Spezialisten-Team des SVGW zu raten, was es auf technischer Seite benötigt. Der Bund und die Politik sind nicht für den Bau von Netzen zuständig, sondern sie müssen sicherstellen, dass die Rahmenbedingungen so gesetzt werden, dass sie zur Erreichung der Ziele, in diesem Fall der Energie- und Klimaziele, dienlich sind. Auf der technischen Ebene geht es hierbei vor allem um die sicherheitstechnischen Regelungen in der Rohrleitungsgesetzgebung, wozu das BFE unter anderem auch mit dem SVGW im Austausch steht. Auf wirtschaftlicher Ebene ist vor allem die Investitionssicherheit hervorzuheben.

Welche Neuerungen und Anpassungen sind insgesamt auf gesetzlicher Ebene erforderlich, damit in der Schweiz Wasserstoff sein Potenzial entfalten kann?

Die Beantwortung der Fragen, ob und welche Anpassungen es genau braucht, ist Teil der momentan laufenden Strategieprojekts. Deshalb wäre es verfrüht, hierzu detaillierte Aussagen zu machen. Eine Anpassung, welche aber bereits dieses Jahr erfolgen wird, ist die Revision der Rohrleitungsverordnung, womit Wasserstoff in den Geltungsbereich der Rohrleitungsgesetzgebung aufgenommen wird. Des Weiteren prüfen wir zurzeit mögliche Anreizsysteme für einen Wasserstoff-Markthochlauf und ob eine Wasserstoffnetzregulierung notwendig ist.

Und lassen Sie uns zum Abschluss auf die Wasserstoff-Forschung blicken. Es gibt ein BFE-Forschungsprogramm Wasserstoff. Welche Schwerpunkte werden da gesetzt?

Damit Wasserstoff künftig einen bedeutenden Beitrag an die Schweizer Energieversorgung leisten kann, ist die Forschung zentral, weshalb wir im BFE seit vielen Jahren ein entsprechendes Forschungsprogramm führen. Die Schwerpunkte sind vielfältig, dazu zählen beispielsweise Materialorientierte Grundlagenforschung, (sicherheits-)technische Aspekte, Forschung zu verschiedenen Produktionsverfahren und Speichermöglichkeiten bis hin zu konkreten Pilot- und Demonstrationsprojekten. Dabei wird aber nicht nur Wasserstoff angeschaut, sondern allgemein sind Power-to-X-Technologien und die Sektorenkopplung wichtige Themen. So läuft zum Beispiel aktuell gerade eine Ausschreibung des BFE-Förderprogramms SWEET «SWiss Energy research for the Energy Transition» zum Thema «Sustainable Fuels».

Zur Person

Nach einem Wirtschaftsstudium an der Universität Freiburg und einem Doktorat an der ETH Zürich zu politischen Massnahmen im Schweizer Strassenverkehrssektor ist Markus Bareit seit 2008 als Fachspezialist Energieversorgung und Monitoring in der Abteilung Energiewirtschaft des Bundesamts für Energie (BFE) tätig.

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