Herr Spaak, worum geht es beim Projekt SeeWandel?
Der Projektname deutet bereits darauf hin, dass sich der Bodensee im Wandel befindet: Verschiedene Änderungen werden beobachtet, die jedoch nicht nebeneinander auftreten, sondern miteinander wechselwirken. Es geht nun darum, in einem Projekt die einzelnen Prozesse wie auch die Interaktionen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. So werden die Einflüsse von Nährstoffrückgang, Klimawandel, gebietsfremden Arten und anderen Stressfaktoren auf das Ökosystem Bodensee, seine Biodiversität und Funktionsweise sowie auf die menschliche Nutzung am See untersucht. Zentral ist dabei ein möglichst umfassender, ganzheitlicher Blick. Bis anhin wurden zwar schon viele Aspekte einzeln angeschaut, aber es fehlte eine vernetzte Herangehensweise. Dennoch ist klar, dass selbst in einem so umfassenden Projekt wie SeeWandel nicht alle Aspekte behandelt werden können; das ist schlicht nicht möglich. Zudem ist das Projekt natürlich zeitlich beschränkt, weswegen wir, zumindest in einigen Teilbereichen, nur eine Momentaufnahme erhalten werden. Um ein Ökosystem mit seinen Prozessen und Funktionen ganzheitlich zu verstehen, ist jedoch Forschung über längere Zeiträume unerlässlich. Glücklicherweise ist aber der Bodensee einer der am besten untersuchten Modellseen, für den verschiedene Langzeitdatenreihen vorliegen, wovon das SeeWandel-Projekt enorm profitiert.
Darüber hinaus spielt auch der Begriff der Resilienz eine wichtige Rolle. Wir wollen untersuchen, wie der Bodensee auf die Änderungen reagiert und inwieweit sich das Ökosystem wieder zurück zum ursprünglichen oder ob es sich hin zu einem anderen Zustand bewegt. Dabei ist zu beachten, dass nicht von dem einen Referenzzustand gesprochen werden kann, denn dieser kann für die einzelnen Segmente des Ökosystems unterschiedlich aussehen. Vor allem die bereits genannten langjährigen Datenreihen wie auch natürliche Archive in Form von Sedimentkernen dienen als Grundlage für diese Resilienzforschung.
«Die Einflüsse von Nährstoffrückgang, Klimawandel, gebietsfremden Arten und anderen Stressfaktoren auf das Ökosystem Bodensee, seine Biodiversität und Funktionsweise werden untersucht.»
Was sind die HintergrĂĽnde fĂĽr dieses Projekt?
Das Projekt ist im Rahmen der Internationalen Gewässerschutzkommission für den Bodensee (IGKB) entstanden. In der IGKB gab es bereits eine Resilienzgruppe, in der ich mitarbeitete. In dieser Gruppe haben wir uns schon vor einigen Jahren Gedanken gemacht, wie die Ressourcen der IGKB besser genutzt und wie die einzelnen Arbeitsgebiete der Kommission näher zusammengebracht und miteinander verknüpft werden könnten, um den Zustand des Bodensees ganzheitlich zu beschreiben. Daraufhin begannen wir mit der Skizzierung eines Projekts und formulierten erste Teilprojekte. Aufgrund begrenzter Finanz- und Personalmittel zeigte sich jedoch, dass die IGKB solch ein fachlich breit angelegtes Forschungsprogramm zur Resilienz des Bodensees nicht allein realisieren kann. Mithilfe von Interreg, einem Instrument der EU zur Unterstützung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit durch Projektförderung, konnte dann die Entwicklung des SeeWandel-Projekts - ursprünglich unter dem Arbeitstitel «EnBioBo7 – Erhalt und Entwicklung der Biodiversität des Ökosystems Bodensee durch grenzüberschreitende Resilienzforschung und Zusammenarbeit von 7 Instituten» - vorangetrieben werden. Schliesslich wurde das Projekt im November 2017 offiziell genehmigt und ist im Januar 2018 gestartet. Insgesamt steht dem SeeWandel-Projekt mit einer Laufzeit von viereinhalb Jahren ein Budget von 5,7 Millionen Euro zur Verfügung. Projektunterstützer sind neben «Interreg Alpenrhein-Bodensee-Hochrhein/EFRE – Europäischer Fonds für regionale Entwicklung» und der IGKB 15 weitere Organisationen bzw. Institutionen, darunter auf Schweizer Seite das Bundesamt für Umwelt (BAFU), die Eawag, das Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft (AWEL) des Kantons Zürich und die Universität Zürich.
Ein Grund, die vernetzte Zusammenarbeit am Bodensee zu verstärken, war sicher auch das seit rund neun Jahren beobachtete Massenauftreten von Stichlingen. Niemand konnte dieses Phänomen erklären und gleichzeitig war klar, dass ein solches Massenvorkommen von kleinen Fischen die Fischerei enorm beeinflusst. Die Quaggamuschelproblematik dagegen war anfangs noch nicht Teil des Projekts, weil die Muschel zum damaligen Zeitpunkt im Bodensee nur an einer einzigen Stelle gefunden worden war. Während des zweistufigen Verfahrens der Projekteingabe wurden allerdings erste Daten über die Verbreitung der Quaggamuscheln rund um den See bekannt, sodass auch dieses Thema in das SeeWandel-Projekt aufgenommen wurde.
«Ein Grund, die vernetzte Zusammenarbeit am Bodensee zu verstärken, war sicher auch das seit rund neun Jahren beobachtete Massenauftreten von Stichlingen.»
Welche Ziele werden mit dem Projekt verfolgt?
Ziel des Projekts ist es zu verstehen, wie der Bodensee auf sich ändernde Umweltbedingungen reagiert. Insbesondere geht es um die komplexen Interaktionen zwischen Klimawandel, invasiven und gebietsfremden Arten sowie der Re-Oligotrophierung und wie diese das Ökosystem beeinflussen. Wir wollen also verstehen, was im See passiert. Einerseits wollen wir daraus für die Zukunft lernen und andererseits hoffen wir, die für den Bodensee gewonnenen Erkenntnisse auf andere Seen übertragen zu können. Insgesamt planen wir, Managementstrategien aus den Projektergebnissen abzuleiten für den Umgang mit Änderungen in Seeökosystemen.
Wie ist das Projekt organisiert und strukturiert?
Sieben Institute – Limnologisches Institut (Universität Konstanz), Institut für Landschafts- & Pflanzenökologie (Universität Hohenheim), Institut für Seenforschung (LUBW), Fischereiforschungsstelle Langenargen (LAZBW), Eawag, Limnologische Station (Universität Zürich) und Institut für Ökologie (Universität Innsbruck) – aus drei Ländern (Deutschland, Schweiz und Österreich) arbeiten im Projekt zusammen. Diese grenzüberschreitende Kooperation bietet die Möglichkeit, herausragende Forschung an Fragen von fundamentaler Bedeutung für den Bodensee zu betreiben. Die erweiterte Projektleitung besteht aus je einem Vertreter der sieben Institute und überdies aus einer Praxisvertretung. Daneben gibt es eine Begleitgruppe unter dem Vorsitz von Stephan Müller vom BAFU. Zusammen mit dieser Begleitgruppe wird mindestens einmal pro Jahr der Projektfortschritt evaluiert.
Das Projekt umfasst insgesamt 13 Teilprojekte, die aktuelle Probleme im Bodensee mit unterschiedlichsten Forschungsmethoden und unter Berücksichtigung des gesamten Ökosystems angehen. Es werden Primärproduzenten (z. B. Wasserpflanzen, Phytoplankton), Primärkonsumenten (z. B. Zooplankton, Makrozoobenthos) und Sekundärkonsumenten (Fische) untersucht. Ein Grossteil der Forschung konzentriert sich – wie bereits erwähnt – auf die Interaktionen zwischen diesen Gruppen.
SeeWandel ist allerdings nicht das einzige grosse Projekt am Bodensee. So wurde bereits vor dem Start von SeeWandel an der Universität Konstanz das Graduiertenkolleg namens «RTG R3 – Responses to biotic and abiotic changes, Resilience and Reversibility of lake ecosystems» eingerichtet. Es ergeben sich viele Schnittpunkte zwischen den beiden Grossprojekten und daraus ableitbare Synergien für die internationalen Themengruppen und Teilprojektarbeiten. Beispielsweise wurden 3 der 13 Teilprojekte im Rahmen des Graduiertenkollegs durchgeführt, zwei davon wurden mittlerweile schon abgeschlossen. Während das Graduiertenkolleg sich stärker auf die Grundlagenforschung konzentriert, stehen bei den meisten SeeWandel-Teilprojekten eher angewandte Forschungsfragen im Mittelpunkt.
Da die Vernetzung eine zentrale Rolle beim SeeWandel-Projekt spielt, sollten die 13 Teilprojekte nicht unabhängig voneinander und nebeneinanderher durchgeführt werden. Daher haben wir die Teilprojekte in vier Themengruppen – Fische, Neozoen & Klimawandel, Pelagial und Litoral – zusammengefasst, wobei ein Teilprojekt in mehreren Themengruppen vertreten sein kann. Die Themengruppen fördern die Diskussionen und den Austausch innerhalb des SeeWandel-Projekts, aber auch mit externen Forschenden. Darüber hinaus fördern sie auch den Austausch und Wissenstransfer von der Forschung in die Praxis. Dafür werden die Themengruppen durch Praxisvertretungen verstärkt, die mit der Bodenseeregion vertraut sind.
Im Projekt werden die Veränderungen im Bodensee von der Vergangenheit bis in die Zukunft angeschaut. Welche tiefgreifenden Veränderungen fanden im Seeökosystem statt?
Im vergangenen Jahrhundert durchlief der Bodensee weitreichende Veränderungen, die insbesondere mit den eingetragenen Nährstoffmengen zusammenhingen: Ungereinigtes Abwasser und intensive Landwirtschaft fĂĽhrten zu einer starken Verschmutzung des Sees in den 1950er- bis 1980er-Jahren. Der Bodensee wurde nährstoffreicher (Eutrophierung). Das hat beispielsweise dazu gefĂĽhrt, dass eine von vier im See vorkommenden Felchenarten verschwunden ist. Obwohl der natĂĽrliche Trophiezustand, dank eingeleiteter Gegenmassnahmen, fast vollständig wiederhergestellt werden konnte (Re-OligotroÂphierung), gibt es irreversible Veränderungen in der Zusammensetzung der Lebensgemeinschaft, z. B. ist die verschwundene Felchenart nicht wieder zurĂĽckgekehrt.
Weitere wichtige Änderungen betreffen das Eindringen von invasiven und gebietsfremden Arten. Das ist per se nichts Neues; immer wieder tauchten neue Arten auf, doch momentan gibt es zwei Arten im Bodensee, die wirklich eine «Plage» sind: Stichling und Quaggamuschel. Seit 2011/2012 wird eine explosionsartige Entwicklung des gebietsfremden Dreistachligen Stichlings beobachtet. Die Fische treten in grossen Schwärmen im See auf. Es gibt Jahre, in denen über 90% der Fischindividuen im Freiwasser Stichlinge sind. Diese stellen eine direkte Nahrungskonkurrenz, vor allem für Felchen, dar.
Schliesslich ist als dritter zentraler Faktor der Klimawandel zu nennen. Das Wasser wird wärmer, weswegen sich der Bodensee weniger gut durchmischt. Dies hat wiederum verschiedene Konsequenzen, auch für die Artenzusammensetzung. Beispielsweise gab es 2016 im Bodensee eine Blüte der Burgunderblutalge (eigentlich ein Cyanobakterium). Daher beschäftigt sich ein Teilprojekt mit den Gründen für das Wachstum dieser Cyanobakterien im Bodensee und auch im Zürichsee. Die Burgunderblutalge besiedelt nämlich schon seit über 100 Jahren den Zürichsee und entwickelte sich dort innerhalb der letzten fünf Jahrzehnte zum dominanten Organismus im planktischen Nahrungsnetz, wofür zu einem grossen Teil die Erwärmung des Sees und die daraus folgende verringerte Durchmischungstiefe verantwortlich ist (siehe Artikel «Burgunderblutalge im Zürichsee»).
«Ein weiterer zentraler Faktor ist der Klimawandel. Das Wasser wird wärmer, weswegen sich der Bodensee weniger gut durchmischt, was wiederum Auswirkungen auf die Artenzusammensetzung hat.»
Und welche wichtigen Veränderungen sind momentan zu beobachten und für die nähere Zukunft zu erwarten?
Am meisten Sorgen macht mir aktuell die Ausbreitung der Quaggamuschel im See. In Nordamerika konnte im mehr als 100-mal grösseren Lake Michigan beobachtet werden, dass sich diese Muschelart innerhalb von 10 bis 15 Jahren über den ganzen See verbreitet hat, und zwar über die ganze Fläche sowie bis zu den tiefsten Stellen. Gleichzeitig sank die Phosphorkonzentration von 9 bis 10 µg/l vor der Muschelausbreitung (ähnliche Konzentrationen finden wir heute im Bodensee) auf 4 bis 5 µg/l ab. Zudem beklagte die Fischerei im Lake Michigan signifikante Einbussen. Ich befürchte, dass es im Bodensee zu ähnlichen Änderungen kommen könnte. Zum besseren Verständnis der ablaufenden Prozesse möchte ich die Methoden, die in Nordamerika etabliert wurden, um die Ausbreitung der Quaggamuschel in grösseren Seetiefen zu verfolgen, anwenden und untersuchen, ob sie sich auf den Bodensee sowie auf andere betroffene Schweizer Seen (Genfer See, Neuenburger See) übertragen lassen.
Ein wichtiger Begriff im Rahmen des SeeWandel-Projekts ist Resilienz. Was ist hierunter zu verstehen? Welchen Forschungsfragen zur Resilienz wird nachgegangen?
Unter Resilienz wird die Widerstandsfähigkeit eines Ökosystems verstanden, wobei zwei Aspekte unterschieden werden. Einerseits wird betrachtet, wie gross eine Störung sein muss, damit es zu Änderungen im Ökosystem kommt. Andererseits wird untersucht, ob und wie schnell das gestörte Ökosystem wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückkehrt. Es geht im SeeWandel-Projekt darum, sowohl herauszufinden, in welchem Zustand sich das Ökosystem früher ungefähr befand, als auch abzuschätzen, inwiefern sich dieser Zustand wieder herstellen lässt und bezüglich welcher Aspekte dies unmöglich ist. In Hinblick auf die Wasserqualität lässt sich der ursprüngliche Zustand sicher wieder erreichen, während dies hinsichtlich der ursprünglichen Artenzusammensetzung unmöglich ist.
Im Teilprojekt «Resilienz der litoralen Lebensgemeinschaften des Bodensees» werden Langzeitdaten analysiert, um so die Auswirkungen von Re-Oligotrophierung, Neozoen-Invasion und globaler Erwärmung auf die Fisch- und Makrozoobenthos-Lebensgemeinschaften der Uferregionen des Bodensees zu bestimmen. Ein weiteres Teilprojekt adressiert ebenfalls Resilienzfragen. Sein Titel lautet: Resilienz des Bodensees aus paläolimnologischer Sicht. In diesem Projekt wird aus Sedimentproben u. a. die Kieselalgenzusammensetzung im See rekonstruiert, um somit zu ĂĽberprĂĽfen, ob der derzeitige (durch die Re-OligotroÂphierungsmassnahmen erreichte) Zustand der Planktongemeinschaft wieder demjenigen der 1950er-Jahre (d. h. demjenigen der Jahre mit vergleichbaren Gesamtphosphorkonzentrationen) entspricht. Ziel ist, die Resilienz und Reversibilität der planktischen Lebensgemeinschaft zu beschreiben.
8 der 13 Teilprojekte des SeeWandel-Projekts beschäftigen sich mit dem Pelagial, also der Freiwasserzone des Bodensees. Welche Forschungsfragen stehen dabei im Zentrum?
Es geht hierbei um die Beziehungen im Nahrungsnetz. Es wird untersucht, wie das Phytoplankton (z. B. Kieselalgen und Burgunderblutalgen) das Zooplankton (vor allem Wasserflöhe) beeinflusst und wie Letzteres wiederum die Fischpopulation beeinflusst. Weiter versuchen wir, die Stichlingsthematik besser zu verstehen und auch ein umfassenderes Bild von den Interaktionen zwischen Stichlingen, Felchen und deren Nahrungsgrundlage zu erhalten.
In der Wasserflohpopulation des Bodensees lassen sich z. B. interessante Änderungen beobachten: Seit der Stichling massenhaft auftritt, ist die dominante Wasserflohart Daphnia cucullata. Diese ist kleiner als die beiden Daphnien-Arten, die vorher hauptsächlich im Bodensee zu finden waren. Zudem kommt Daphnia cucullata eigentlich in eutrophen See vor. Unsere Hypothese ist, dass die Massenvermehrung der kleineren Wasserflohart eine Folge des Predationsdrucks durch die Stichlinge ist.
In den restlichen fünf Teilprojekten geht es um das Litoral, d. h. um die Uferzone des Sees. Was interessiert die Forschenden hier besonders? Welche neuen Erkenntnisse wurden in diesen Teilprojekten bisher gewonnen?
In der Themengruppe Litoral werden ebenfalls Fragen zu den Interaktionen im Nahrungsnetz behandelt. DarĂĽber hinaus geht es auch um die Wechselwirkungen zwischen Pelagial und Litoral sowie um die NahrungsflĂĽsse im See. Ein Teilprojekt dreht sich hierbei um den Wettbewerb zwischen Filtrierern im Bodensee. Neben der bereits erwähnten Quaggamuschel kommt im Bodensee schon deutlich länger die ebenfalls invasive ZeÂbramuschel vor. Derzeit scheint es, dass die Quaggamuschel die Zebramuschel fast vollständig verdrängt hat. Wie im Lake Michigan bereits beobachtet, könnten die hohe Dichte der Quaggamuscheln sowie die hohen Filtrationsraten zu einer starken Reduktion des Phytoplanktons, mit Auswirkungen auf das gesamte Nahrungsnetz (z. B. verminderte FutterverfĂĽgbarkeit fĂĽr andere Organismen, inkl. Fische) fĂĽhren. Weniger Phytoplankton bedeutet klareres Wasser, wodurch Makrophyten verstärkt in grösseren Tiefen wachsen können.
In einem weiteren Teilprojekt, welches der Themengruppe Litoral zugeordnet ist, wird die Ökologie und Diversität von Stichlingen im Bodensee untersucht. Die Stichlinge treten in unterschiedlichen Phänotypen auf. So gibt es einen Phänotyp, der mehr ans Leben im Litoral, und einen weiteren, der eher ans Leben im Freiwasser angepasst ist. Zudem bauen Stichlinge ein Nest, um ihre Eier abzulegen. Wegen des massenhaften Stichlingsauftretens fragen wir uns beispielsweise, wo all die Stichlingsnester zu finden sind.
Schliesslich dreht sich ein Teilprojekt um submerse Makrophyten in der Uferzone des Bodensees. Die aktuellen Makrophytenbestände werden auf Artniveau erfasst sowie deren räumliche Struktureigenschaften in ausgewählten Testgebieten ermittelt. Neben klassischen Feldmethoden kommen dabei auch neueste hochauflösende Hyperspektralkameras und Laserscanner zum Einsatz. Auf dieser Grundlage soll eine automatisierte Fernerkundungsmethode zur Klassifizierung und Kartierung von submersen Makrophyten entwickelt werden. Ein weiterer Schwerpunkt des Projekts ist die raumzeitliche Analyse der Artenzusammensetzung und Vegetationsstruktur. Hierfür werden die aktuell erhobenen Daten auf Luftbilddaten der vergangenen Jahrzehnte (1967, 1978, 1993) übertragen und verglichen. Zu diesen Zeitpunkten befand sich der Bodensee in unterschiedlichen Trophiezuständen, was sich wiederum auf die Artenzusammensetzung, die Verbreitung und die dreidimensionalen Struktureigenschaften der Makrophyten auswirkte.
«Die grosse Dichte der Quaggamuscheln sowie die hohen Filtrationsraten könnten zu einer starken Reduktion des Phytoplanktons, mit Auswirkungen auf das gesamte Nahrungsnetz führen.»
Wie wird der Transfer der Resultate aus dem SeeWandel-Projekt in die Praxis sichergestellt?
Es bestehen bereits auf den verschiedenen Projektebenen (Forschende und Projektleitung) vielfältige Kontakte mit der Praxis und der Öffentlichkeit. Mit Fischereivereinen, mit den Trinkwasserversorgern, mit den Kantonen und Behörden usw. stehen wir in regem Austausch. Auch soll im Sommerhalbjahr 2021 in Überlingen eine Landesgartenschau stattfinden, bei der wir das SeeWandel-Projekt während zehn Tagen der breiten Öffentlichkeit vorstellen wollen.
Überdies haben wir zusammen mit der Begleitgruppe Kommunikationswege für den Wissenstransfer in die Praxis definiert. Entsprechend werden wir in den kommenden zweieinhalb Jahren, sobald die ersten Ergebnisse vorliegen, Faktenblätter zu verschiedenen Themen erarbeiten. Zurzeit sind wir daran, ein Faktenblatt zur Burgunderblutalge im Bodensee zu schreiben. Später sollen weitere Faktenblätter zur Quaggamuschel, zu den Felchen usw. hinzukommen. Zudem werden wir zuhanden der Behörden umfangreichere Berichte, sogenannte Vertiefungsberichte, verfassen.
Werden sich die im Bodensee gewonnenen Erkenntnisse auch auf andere Seen im Voralpenraum ĂĽbertragen lassen?
Jeder See ist einzigartig. Daher lässt sich das für den Bodensee zusammengetragene Wissen nicht einfach telquel auf andere Seen übertragen. Dennoch lassen sich aber, zumindest für Teilaspekte, aus den im Bodensee gewonnenen Erkenntnissen Schlussfolgerungen für andere Seen ziehen. Deswegen nehmen bei den Themengruppentreffen auch immer wieder Vertretungen aus Nicht-Bodensee-Anrainerkantonen teil.
Als gutes Beispiel für den Transfer auf andere Seen lässt sich die Quagga-Thematik anführen. Unter anderem durch das SeeWandel-Projekt bekam die Muschel-Problematik eine breitere Aufmerksamkeit. Auch zum Thema Stichlinge forscht die Eawag nicht nur im Bodensee, sondern ebenso in anderen Schweizer Seen. Die Eawag-Forscher gehen der Frage nach, ob es dort –wie im Bodensee beobachtet – zu einer starken Ausbreitung der Stichlinge kommen kann.
Vielfältige Informationen zum Projekt «SeeWandel: Leben im Bodensee – gestern, heute und morgen» – von den Hintergründen über eine Beschreibung der Teilprojekte, der Projektstruktur und der Forschungsgemeinschaft bis hin zu Publikationen und einem Newsletter – sind auf der SeeWandel-Website zu finden.
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