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Fachartikel
13. August 2024

Siedlungswasserwirtschaft

Innovative Wasserlösungen für nachhaltige Städte

Städte müssen nachhaltiger werden und ihre Wasserressourcen effizienter nutzen. Wasser in lokalen, kleinräumigen Kreisläufen zu managen, ist eine mögliche Lösung. Ein neues Weissbuch von Eawag, Universität Berkeley und BlueTech Research zeigt, wie das mit innovativen Ansätzen gelingen kann. Drei Roadmaps beschreiben Lösungen für einzelne Gebäude, Stadtquartiere und Städte inklusive regionaler Landwirtschaft. Sechs Grossstädte aus der ganzen Welt dienen als Leuchttürme für andere Städte, die an der Integration von innovativen Wasserlösungen interessiert sind.

Der Klimawandel, knapper werdende Wasserressourcen und die rasant wachsende Stadtbevölkerung fordern ein Umdenken in der Siedlungswasserwirtschaft. Grossstädte rund um den Globus wie San Francisco, Kapstadt, Bengaluru oder Barcelona kämpfen mit wiederkehrenden Wasserkrisen. «Wir brauchen neue Wege, um die Widerstandskraft von Städten gegen zunehmende Dürreprobleme zu erhöhen», sagt Christian Binz, Gruppenleiter im Departement Umweltsozialwissenschaften am Wasserforschungsinstitut Eawag. «Eine Lösung ist es, das Wasser lokal zu recyceln. Das schafft während Dürreperioden eine zusätzliche verlässliche Wasserquelle, zum Beispiel in Metropolen in Indien, Afrika und zunehmend auch Nordamerika. Aber auch das Recyceln von im Abwasser enthaltenen Ressourcen wie Energie und Nährstoffen wird immer wichtiger.»

Leuchtturmstädte zeigen den Weg hin zu zirkulären Wasser- und Sanitärlösungen

Seit über 20 Jahren entwickelt die Eawag in mehreren Forschungsprogrammen zukunftsfähige Lösungen, um Wasser und die in ihm enthaltenen Ressourcen in kleinräumigen Kreisläufen zu bewirtschaften. In interdisziplinären Teams erforscht das Wasserforschungsinstitut zudem, wie sich die neuen Technologien in die Praxis überführen lassen. Dazu untersuchten Forschende weltweit Grossstädte, die in den letzten Jahren erfolgreich zirkuläre Wege in der Siedlungswasserwirtschaft eingeschlagen haben, darunter San Francisco, Bengaluru, Hamburg, Paris, Genf und Helsingborg.

«Wir haben gemerkt, dass viele spannende Lösungen für die zirkuläre Wasser- und Abwasserbehandlung rund um den Globus bereits in Betrieb sind», sagt Christian Binz. «Die Akteure sind jedoch noch kaum vernetzt.» Im Sommer 2023 lud die Eawag deswegen gemeinsam mit der Universität Berkeley, Kalifornien, und dem Beratungsunternehmen BlueTech Research führende Expertinnen und Experten aus Städten, Firmen, internationalen Wasserorganisationen sowie Investoren wie die Weltbank zu einem Workshop nach Dübendorf ein.

Im Weissbuch zusammengefasste Ergebnisse zeigen drei unterschiedliche Wege auf

Die Ergebnisse hat die Eawag in einem Weissbuch «Mainstreaming Decentralized Urban Water Management Solutions for Sustainable Cities» zusammengefasst. Herzstück im Bericht sind neben der Beschreibung der Leuchtturmstädte drei Roadmaps. Sie zeigen drei unterschiedliche Wege zur breiten Umsetzung von zirkulären Wasserlösungen auf: (1) die Wiederverwendung von Brauchwasser auf Gebäudeebene, (2) die Ressourcenrückgewinnung auf Quartierebene und (3) das dezentrale Nährstoffrecycling. «Wir wollen mit dem Workshop und dem Weissbuch ein internationales Netzwerk aufbauen, über das sich Ideen und Wissen zu zirkulären Wasserlösungen weltweit verbreiten können», sagt Christian Binz, der Hauptorganisator des Workshops. «Die Leuchtturmstädte sollen Stadtplanende inspirieren, neue Ansätze bei der Entwicklung lokaler Infrastrukturen zu beschreiten. Ziel ist, dass nicht jede Stadt von Null anfangen muss, wenn sie innovative Wassersysteme planen, bauen und betreiben will.»

Finanzierung

  • Eawag
  • Universität Kalifornien, Berkeley
  • Beratungsunternehmen Blue Tech Research


(Quelle: Eawag)

White paper on Mainstreaming Decentralized Urban Water Management Solutions for Sustainable Cities.

Roadmap 1: Brauchwasser auf Gebäudeebene wiederverwenden


Ein Weg zu einer zirkulären Wasserwirtschaft besteht darin, einzelne Gebäude mit eigenen Kleinkläranlagen auszustatten, das Wasser direkt vor Ort zu behandeln und lokal wiederzuverwenden. Wichtige Schritte dieser Roadmap sind es, die bereits vorhandenen Technologien zu standardisieren, ihre Kosten für Herstellung, Betrieb und Wartung zu senken, sie grossflächig auf den Markt zu bringen und Gebäudeeigentümer von ihren Vorteilen zu überzeugen. Zwei Grossstädte, die diesen Weg gehen, sind San Francisco und Bengaluru.

  

Aufbereitungsanlage fĂĽr Schwarzwasser im neuen Hafenviertel Mission Rock in San Francisco (Foto: San Francisco Public Utilities Commission)


Dezentrale Wasserwiederverwendungsanlage in einem Krankenhaus in Bengaluru (Foto: Johan Miörner)


San Franciscos «Onsite Water Reuse System Program» wurde 2012 eingeführt, um die Stadt resilienter gegen wiederkehrende Dürreperioden zu machen. Die städtische Vorschrift wurde mehrmals verschärft, zuletzt im Jahr 2021, als die Wiederverwendung von Wasser vor Ort in Gewerbe-, Mehrfamilien- und gemischt genutzten Gebäuden mit einer Fläche von über 9200 m2 obligatorisch wurde. Um das Vertrauen in Onsite-Recycling-Systeme zu stärken, bietet die Stadt den Akteuren sowohl auf lokaler Ebene als auch im Rahmen einer Partnerschaft der National Blue Ribbon Commission mit 15 anderen Bundesstaaten technische Unterstützung an.


Aufbereitetes Brauchwasser wird zur Toilettenspülung, zum Wäschewaschen, oder zur Bewässerung wiederverwendet. Derzeit sind 43 Anlagen in Betrieb und weitere 66 Anlagen im Genehmigungsverfahren. Die Stadt hat bewiesen, dass lokale Wasserrecyclingsysteme professionell verwaltet, gut reguliert und sicher betrieben werden können. «Allein im Jahr 2023 wird San Francisco schätzungsweise 170 Millionen Liter Trinkwasser einsparen, was dem jährlichen Wasserverbrauch von etwa 3000 Einwohnern entspricht, und im Jahr 2040 wird die jährliche Wassereinsparung dem Verbrauch von etwa 30 000 Einwohnern entsprechen", sagt Paula Kehoe, San Franciscos Direktorin für Wasserressourcen. Kehoe fügt hinzu: «Gut durchgeführte Programme zur lokalen Wiederverwendung von Wasser helfen uns, unsere knappen Wasserressourcen nachhaltig zu managen, insbesondere in Dürrejahren.»


Noch dramatischer ist die Wassersituation in Bengaluru: Wasser ist schon heute extrem knapp, eine Häufung von Dürrperioden verschärft die Lage jedoch weiter, zugleich ziehen pro Jahr etwa 500 000 Menschen in die Stadt. Ganzen Gebäudekomplexen geht aktuell das Wasser aus. Es ist jedoch unmöglich, in vernünftiger Zeit weiterverzweigte Leitungs- und Kanalsysteme für die Trinkwasserversorgung oder Abwasserentsorgung zu planen, geschweige denn zu bauen. «Wir müssen das Abwasser direkt vor Ort aufbereiten und in kleinen Kreisläufen wiederverwenden. Und zwar nicht nur als Brauchwasser, sondern in Zukunft möglicherweise auch als Trinkwasser», sagt Shreya Nath, Projektleiterin bei der NGO WELL Labs in Bengaluru. «Das ist hier in Dürreperioden zunehmend die einzige Möglichkeit, um die Bevölkerung verlässlich mit Wasser zu versorgen».


In Bengaluru müssen deswegen alle neuen Wohngebäude ab einer gewissen Grösse Systeme für die Abwasserbehandlung und -wiederverwendung installieren. Aktuell sind über 3000 Systeme im Betrieb und recyceln rund 20 Prozent des städtischen Abwassers. In der Stadt ist auch ein Markt für dezentral aufbereitetes Abwasser entstanden. Innovative Firmen bieten Lösungen an, welche es Wohnblocks erlauben, ihr aufbereitetes Abwasser an Kunden wie Wäschereien, Baustellen oder Industrien in der Nachbarschaft zu verkaufen.

Roadmap 2: Ressourcen auf Quartierebene in Kreisläufen managen


Ein zweiter innovativer Weg für das urbane Wassermanagement ist der Aufbau einer Kreislaufwirtschaft auf der Ebene von Stadtquartieren. Die wichtigste Komponente bei diesem Ansatz ist die Trennung von Abfallströmen, zum Beispiel Regenwasser, Urin, Grauwasser und Schwarzwasser, direkt an der Quelle und deren gezielte Aufbereitung im Quartier. So können nebst Brauchwasser auch Elektrizität, Dünger und Wärme produziert werden. Die Verbreitung dieses Ansatzes hängt im Gegensatz zum vorangehenden nicht von Gebäudebesitzenden ab, sondern von städtischen Versorgungsunternehmen, Veränderungen in der städtischen Politik, sowie der Entwicklung von neuen Strategien bei Immobilien-Entwicklern. Für Hamburg und Helsingborg war die Vision von «Netto Null» Treibhausgasemissionen die zentrale Motivation, diesen Weg einzuschlagen.

 

Links: Vergärungsanlage von HAMBURG WATER Cycle, in der in Vakuumleitungen transportierte Fäkalien zur Erzeugung von Biogas genutzt werden. (Foto: Krafft Angerer / HAMBURG WASSER)
Rechts: Getrennte Behandlung verschiedener Abfallströme in der RecoLab-Anlage in Helsingborg (Foto: Sara Perfekt / NSVA)


Die Jenfelder Au in Hamburg, ein Quartier mit 640 Wohnungen und 1500 Bewohnerinnen und Bewohnern, ist das grösste Wohngebiet in Europa, welches seit 2017 mit diesem Ansatz sein Abwasser managt. Das Quartier H+ in Helsingborg mit 900 Menschen in 340 Wohnungen sowie 32 000 m2 Büroflächen besteht seit 2020 und recycelt ebenfalls Wasser, Nährstoffe und Energie aus Abwasser. Helsingborg sammelt zudem Essensreste, um Biogas zu produzieren, welcher als Treibstoff für den öffentlichen Verkehr genutzt wird. «Wenn man nachhaltige Städte bauen will, muss man ganze Stadtbezirke und ihre Stoffflüsse ganzheitlich überdenken», sagt Hamse Kjerstadius, Projektleiter beim kommunalen Abwasserentsorger NSVA. «Wenn man die Kreisläufe von Nährstoffen, Energie, Wärme und Wasser integrativ schliessen will, muss das Silodenken in den Versorgungs- und Stadtplanungsabteilungen auf kreative Weise überbrückt werden.»

Roadmap 3: Nährstoffe rezyklieren auf Ebene Stadt mit regionaler Landwirtschaft


Noch einen Schritt weiter geht die dritte Roadmap, welche auf die im Abwasser enthaltenen Nährstoffe fokussiert. Dieser Weg denkt über die Stadtgrenzen hinaus und integriert die Landwirtschaft in und um die Städte. Ziel ist es, 80 Prozent der wichtigsten Nährstoffe – Stickstoff, Phosphor und Kalium – aus städtischen Abwasserströmen zurückzugewinnen und zum Beispiel als Dünger oder Bio-Humus zu nutzen. Das setzt einerseits voraus, dass Abwasserströme in den Haushalten an der Quelle getrennt werden, zum Beispiel durch die Nutzung von NoMix-Toiletten. Andererseits müssen Endnutzende in den Städten und der lokalen Landwirtschaft mit ins Boot geholt werden.

 

Links: Komposttoilette bei der Coopérative Équilibre in Genf (Foto: Coopérative Équilibre)
Rechts: Prototyp eines Trockenurinals in Paris. (Foto: Ville de Paris / Paris & Métropole Aménagement.)


Dieser Weg ist aufgrund des hohen Koordinationsaufwands noch in einem früheren Entwicklungsstand, hat aber auch grosses Zukunftspotential. Zwei Städte, die diesen Weg bereits verfolgen, sind Genf und Paris. In Genf zeigt die Coopérative Équilibre seit mehr als einem Jahrzehnt, dass ein kleinräumiges Nährstoffmanagement machbar ist. In drei Wohnprojekten hat die Genossenschaft Kompost-Toilettensysteme eingerichtet, die heute von Haus-Kooperativen betrieben werden. Urin und Fäkalien der Wohnprojekte mit 400 bis zu über 1300 Personen werden zu Dünger, Kompost und Giesswasser recycelt und in den umliegenden Gärten genutzt.


Im Gegensatz zum Bottom-up-Projekt in Genf führt in Paris die Stadtverwaltung ein innovatives Stadtentwicklungsprojekt im Viertel Saint-Vincent-de-Paul durch. Seit 2018 entsteht dort ein Öko-Viertel mit rund 600 Wohnungen, Geschäften und anderen Einrichtungen mit zirkulären Infrastruktursystemen. Mit Trenntoiletten wird Urin separat gesammelt und in lokalen Anlagen zu Dünger weiterverarbeitet, der vom städtischen Umweltdepartement in den Grünflächen der Stadt eingesetzt werden wird. Der Bau soll bald abgeschlossen werden, um letztendlich mehr als 4000 Menschen an das lokale Urinseparierungssystem anzuschliessen.

 

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