Abfall und Abwasser sind weltweit eine bisher nur wenig genutzte Ressource. Mit dem Förderprogramm «Bioökonomie – Bioraffinerien zur Gewinnung von Rohstoffen aus Abfall und Abwasser – Bio-Ab-Cycling» will Baden-Württemberg dies ändern. Seit Oktober 2021 fördert das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg mit Landesmitteln und Mitteln aus dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) den Aufbau modularer Bioraffinerien, um zu erproben, wie mittels nachhaltiger Bioökonomie hochwertige Rohstoffe aus Abfall und Abwasser zurückgewonnen werden können.
Eine der geförderten Demonstrationsanlagen ist die Bioraffinerie des Projekts SmartBioH2-BW, die am 3. August 2024 von Andre Baumann, Staatssekretär im Umweltministerium, im Rahmen seiner Sommertour eingeweiht wurde. Auch zahlreiche Politiker aus Rheinfelden, dem Landkreis Lörrach sowie einige Abgeordnete im Landtag nahmen die Gelegenheit zur Besichtigung der Anlage wahr.
«Wir brauchen dringend einen gesellschaftlichen Wandel – weg vom Einsatz fossiler oder knapper Ressourcen hin zur Nutzung biobasierter oder im Kreislauf geführter Stoffe. Das Projekt SmartBioH2-BW zeigt vorbildlich, wie ein solch zukunftsweisender Weg aussehen kann», so Staatssekretär Baumann. «Hier werden Verfahren, die im kleinen Massstab einzeln bereits funktionieren, in Demonstrations- und Pilotanlagen kombiniert und erprobt. Dies ist eine wichtige Zwischenstufe, damit die Verfahren im nächsten Schritt in den Kommunen oder in der Industrie zum Einsatz kommen können. Durch den Einsatz dieser Bioraffinerien schützen wir am Ende nicht nur das Klima und unsere Ressourcen, sondern stärken auch die Resilienz des Wirtschaftsstandorts Baden-Württemberg in Krisensituationen.»
Seit ein paar Wochen steht die Anlage auf dem Gelände von Evonik in Rheinfelden, die als assoziierter Partner im Projekt beteiligt ist. Die Evonik Industries AG ist eines der weltweit grössten Hersteller von Spezialchemikalien. An ihrem Standort in Südbaden produziert Evonik unter anderem Wasserstoffperoxid, das als Desinfektionsmittel – etwa für Joghurtbecher – eingesetzt wird. Hierfür wird, ebenso wie für andere Produktionsprozesse im Werk, Wasserstoff benötigt, den das Unternehmen seit Jahrzehnten direkt vor Ort aus Erdgas produziert.
«Der Standort von Evonik in Rheinfelden hat sich auf die Fahne geschrieben, die grüne Transformation unserer Branche voranzutreiben», so Hermann Becker, Standortleiter von Evonik. «Mit dem gemeinsamen Forschungsprojekt und der zukunftsweisenden Pilotanlage wollen wir zeigen, wie das im Sinne der Kreislaufwirtschaft gehen kann – sauberer Wasserstoff gewonnen aus Spülwasser und Reststoffen ist eine Win-win-win-Situation für die Umwelt, die Chemieindustrie und die Wissenschaft.»
Die Bioraffinerie wurde vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart konzipiert, geplant und aufgebaut. Sie besteht aus zwei gekoppelten Verfahrensmodulen zur biotechnologischen Produktion von Wasserstoff: der fermentativen Dunkelphotosynthese durch Purpurbakterien und einem zweistufigen Prozess mit Mikroalgen.
«Durch die intelligente Kopplung dieser beiden Verfahren zu einem kombinierten Bioraffinerie-Konzept wird es möglich, industrielle feste und flüssige Reststoffströme, die in der Produktion am Standort anfallen und bisher teuer als Abfall und Abwasser entsorgt werden mussten, effizient und ohne Emissionen als Rohstoffe zu nutzen, um daraus den Zukunftsenergieträger Wasserstoff und weitere wertschöpfende biobasierte Produkte herzustellen«, erläutert Ursula Schließmann, stellvertretende Institutsleiterin des Fraunhofer IGB und Koordinatorin des Projekts.
Zunächst galt es hierfür zu untersuchen, wie sich die Reststoffströme des Standorts genau zusammensetzen und ob die Organismen tatsächlich mit ihnen zurechtkommen. Als flüssige Reststoffströme fallen in Rheinfelden Spülwässer an, mit denen die Produktionsanlagen gereinigt werden. Sie enthalten viel Ethanol, einen Alkohol. «Es ist ja denkbar, dass Spülwässer weitere Substanzen enthalten, die toxisch oder hemmend auf die Bakterien und Mikroalgen wirken», erklärt Schließmann. Die Verfahren wurden daher erst am Fraunhofer IGB separat unter Laborbedingungen mit den Abfallströmen der Evonik getestet und dann in einen grösseren Massstab skaliert.
«Unsere Analysen haben gezeigt, dass das Spülwasser neben Ethanol auch weitere Alkohole sowie Reste der synthetisierten Produkte enthält. Diese beeinträchtigen aber weder das Wachstum der Purpurbakterien noch das der Mikroalgen», so Schließmann.
Im Juli 2024 wurden die beiden Bioverfahrensmodule zum Werk nach Rheinfelden transportiert und in Betrieb genommen. Nachdem die Verfahrenseinheiten nun miteinander gekoppelt sind, kann der Demonstrationsbetrieb unter realen Bedingungen starten.
In der ersten Stufe der Bioraffinerie kommt das Purpurbakterium Rhodospirillum rubrum zum Einsatz, das mittels der Dunkelphotosynthese, einer neuen Art der Fermentation, auch ohne Licht aus verschiedenen Kohlenstoffsubstraten Wasserstoff erzeugen kann. In Rheinfelden dient den Purpurbakterien Ethanol aus dem SpĂĽlwasser als Kohlenstoffsubstrat und Energiequelle.
Für ein ausreichendes Wachstum und die Synthese von Wasserstoff musste die Zusammensetzung des Fermentationsmediums angepasst werden, wie sich bereits im Labor in Stuttgart gezeigt hatte. Dann produziert das Bakterium nicht nur den begehrten Wasserstoff, sondern auch weitere nutzbare Produkte wie Carotinoide, fettlösliche Pigmente beispielsweise für die Kosmetik, oder den Biokunststoff Polyhydroxyalkanoat (PHA) – sowie Kohlenstoffdioxid (CO2) als Nebenprodukt. «Da die wasserstoffproduzierenden Enzyme der Purpurbakterien sehr sauerstoffempfindlich sind, ist die präzise Kontrolle des Sauerstoffgehalts bei der Fermentation eine Herausforderung im Betrieb», ergänzt Susanne Zibek, Leiterin der Bioprozessentwicklung am Fraunhofer IGB.
Um die Emission von CO2 in die Atmosphäre zu vermeiden, wird CO2 in einem weiteren Schritt der zu diesem Zweck angekoppelten Mikroalgenanlage zugeführt. Denn die photosynthetisch wachsenden Mikroalgen benötigen für den Aufbau von Biomasse oder Speicherprodukten – genau wie grüne Pflanzen – CO2 und dazu nur Licht und Nährstoffe.
In der SmartBioH2-Demonstrationsanlage werden Mikroalgen der Art Chlorella sorokiniana in einem mittels LED beleuchteten kompakten Photobioreaktor kultiviert. Der Reaktor zeichnet sich durch einen hohen Automatisierungsgrad aus und bietet viel Volumen auf nur wenig Fläche. Das Verfahren wird so betrieben, dass die Mikroalgen aus dem anfallenden CO2 Stärke als nutzbares Produkt herstellen. Die benötigten Nährstoffe stammen dabei aus einem zweiten in Rheinfelden, diesmal in fester Form anfallenden Reststoffstrom: Ammoniumchlorid.
Auch Mikroalgen sind unter bestimmten Bedingungen in der Lage, Wasserstoff zu bilden. Sie spalten hierzu Wasser mithilfe von Lichtenergie in Wasserstoff und Sauerstoff. «Um den Prozess technisch nutzen zu können, muss der entstehende Sauerstoff auch hier kontinuierlich aus dem System entfernt werden, da er die Wasserstoffproduktion der Algenzellen hemmt», erläutert Ulrike Schmid-Staiger, Leiterin der Algenbiotechnologie am IGB. «Ein gänzlich neuer Photobioreaktortyp, der hierzu entwickelt wurde, wird in wenigen Wochen in die Bioraffinerie integriert, um die Gesamtausbeute an Biowasserstoff weiter zu erhöhen», so die Expertin.
Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung beteiligt sich an dem Projekt mit der Erstellung eines Prozessmodells, das die wichtigsten Inputs und Outputs des gesamten Bioraffineriekonzepts vorhersagen kann. Das Modell bildet auch die Grundlage für die ökologische und ökonomische Bewertung der Bioraffinerie. «So können Verbesserungspotenziale identifiziert und die Entwicklung der eingesetzten Technologien gesteuert werden», sagt Edgar Gamero Fajardo vom Fraunhofer IPA.
«Auf Basis der praktischen Erfahrungen können wir anschliessend ermitteln, ob sich eine Anlage im industriellen Massstab auch wirtschaftlich rentieren würde. Wichtig ist dabei, dass wir einen hohen Grad an Automatisierung vorgesehen haben, um die Ausbeute der Anlage zu verbessern», so Schließmann. Aber auch die eingesparten Entsorgungs- und Transportkosten tragen zur Gesamtbilanz bei.
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