Mit grosser Wahrscheinlichkeit dürften Historiker dereinst unsere Zeit als den Übergang vom industriellen zum digitalen Zeitalter bezeichnen. Nach dem Vorbild der Stromnetze sollen nun auch die thermischen Netze digitalisiert werden. Dadurch soll das Potenzial der thermischen Netze ausgebaut, die Verfügbarkeit verbessert und die Effizienz gesteigert werden. Nicht zu vergessen ist dabei die Kundenseite. Nur wenn dort überall digitale Wärmezähler installiert sind, sind minimale Versorgungstemperaturen im Verteilnetz möglich.
Am diesjährigen Fernwärme-Forum am 25. Januar in Bern stand denn auch die Digitalisierung in der Branche im Zentrum. Intelligente thermische Netze sind ein fortschrittliches Konzept zur effizienten Nutzung von Wärmeenergie in städtischen Gebieten. Sie basieren auf der Integration von erneuerbaren Energien und Abwärme, Wärmerückgewinnung und fortschrittlicher Steuerungs- und Optimierungstechnologie. Diese Netze ermöglichen es, Wärmeenergie aus verschiedenen Quellen wie z. B. Oberflächenwasser, Biomasse, Geothermie oder Solarthermie zu nutzen und sie effizient an Verbraucher zu verteilen. Durch die Verwendung von intelligenten Steuerungs- und Optimierungssystemen können die Netze den Energiebedarf der Verbraucher genau voraussagen und dadurch die Wärmeversorgung entsprechend anpassen. Ein weiterer Vorteil intelligenter thermischer Netze besteht darin, dass sie die Möglichkeit bieten, überschüssige Wärmeenergie zu speichern und bei Bedarf abzurufen. Dadurch kann die Energieeffizienz verbessert und der Einsatz von fossilen Brennstoffen reduziert werden.
«Die Branche boomt! Gemeinsam schaffen wir den raschen Ausbau der thermischen Netze in der Schweiz!», schloss Andreas Hurni seine Begrüssungsrede zum diesjährigen Forum. Der Geschäftsführer Thermische Netze Schweiz TNS gab zuvor einen Überblick zu sämtlichen Veranstaltungen des Verbands im Jahr 2024, darunter Webinare, Seminare, Verkaufstrainings, Planeranlässe etc. und natürlich die Generalversammlung am 17. April, an der das 40jährige Bestehen des Verbands gebührend gefeiert wird. Zu den Dienstleistungen des TNS gehören politisches Lobbying, Auskunft zu technischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Fragen, Referate an Branchenanlässen, anfängliche Unterstützung bei Projekten sowie Begleitung und Mitinitiierung von Forschungsprojekten. «Politisch beschäftigen uns dieses Jahr die Verordnungen zum Klima- und Innovationsgesetz, auch das CO2-Gesetz ist in der Pipeline und aktuell die Stellungnahme zum Geoinformationsgesetz», führte Hurni aus. Gemeinsam mit dem SVGW werde derzeit das Datenmodell «Thermische Netze» vorangetrieben.
Angesichts der rekordhohen Zahl an Teilnehmenden sagte Moderator Beat Kobel einfach «Wow!», bevor er zum Tagesthema überging: Digitalisierung, KI, AI, intelligente Netze etc. Die Probe aufs Exempel machte Kobel, indem er Chat-GPT fragte, was intelligente thermische Netze seien. Die Antwort war verblüffend und entlockte Kobel ein weiteres «Wow!»:
Chat-GPT zu intelligenten thermischen Netzen:
«Fortschrittliche Systeme zur Verteilung von Wärmeenergie in städtischen Gebieten. Sie nutzen innovative Technologien wie Sensoren, Datenanalyse und Automatisierung, um den Energieverbrauch zu optimieren und die Umweltauswirkung zu minimieren. Durch die Integration von erneuerbarer Energie und die Nutzung von Abwärmequellen können diese Netze zur Reduzierung der CO2-Emissionen beitragen und eine nachhaltige Wärmeversorgung ermöglichen. Die Netze bieten auch Flexibilität bei der Einbindung verschiedener Wärmeerzeuger und Verbraucher, was zu einer effizienten Nutzung der Ressourcen führt. Insgesamt tragen intelligente thermische Netze zur Verbesserung der Energieeffizienz und zur Förderung einer umweltfreundlichen Wärmeversorgung bei.»
«Zwar ist mit dieser schönen Formulierung alles auf den Punkt gebracht, aber was heisst das konkret?», fragte Kobel. Aufschluss darüber gaben die hochkarätigen Referenten im Laufe des Forums.
Den Anfang machte Matthias Galus, Leiter der Sektion Geoinformation und Digital Innovation des Bundesamtes für Energie BFE. Er stellte nicht nur die Wärmestrategie des Bundes vor und dessen Aktivitäten in diesem Bereich, sondern machte erst eine Tour d’Horizon vom Treiber der Digitalisierung, dem wachsenden Datentsunami, über die Digitalisierung 1.0 in Stromnetzen bis hin zum Aufbau des Datahub Schweiz (Digitaliserung 2.0). Anhand des Energiedashboards des BFE, das auch als App zur Verfügung steht, zeigte er das Potenzial für Wärmedaten auf. Die Digitalisierung der Wärmenetze ist unausweichlich, kam er zum Schluss. Sie hebe die Potenziale von Effizienz, Planung und Betrieb. Wichtige Grundlagen dazu seien Smart Meter und digitale Daten, Datenaustausch und -zugang (Open Data). Seine letzte Take-home-Message: «Die Synergien der Digitalisierung zur Strom- und Gasversorgung sind gross.»
Gerne werden Stromnetze als Vorbild für die Digitalisierung der thermischen Netze herbeigezogen. Frank Espig vom deutschen Partnerverband AGFW ist kritisch: «Fernwärme ist nicht mit Strom gleichzusetzen.» So seien Fernwärmenetze im Gegensatz zu Stromnetzen i. d. R. in sich geschlossene Systeme. Zudem werden keine neuen Messwerte zur Tarifierung gebildet, sondern die Messwerte werden 1:1 übermittelt. Es handle sich hierbei um eine reine Messwertwiederholung.
And last but not least: ohne Wärmewende keine Energiewende. Espig stellte am Ende seines Referats laufende und abgeschlossene Forschungsprojekte vor, die als Wissensportale zu nutzen sind: iHAST, Nemo, N5GEH-DIGIHAST, HybridBOT-FW, DigiHeat, ILSE, SmartHeat und FW-Digital.
Die Referate von Christian Johansson, NODA Intelligent Systems AB, und Martin Dietler, Leiter Wärmeprojekte Primeo Energie, ergänzten das Theoretische mit Praktischem. Sie lieferten technische Inputs zu digitalen Zwillingen, Lastprognosen und Einsatz von künstlicher Intelligenz anhand von Umsetzungsbeispielen in Schweden und der Schweiz.
Professor Matthias Sulzer von der Empa leitete auch dieses Jahr die Podiumsdiskussion. Er versuchte mit den Referenten des Vormittags sowie mit TNS-Vorstandsmitglied Ulrich Trümpi hinter die Buzzwords KI, Digitalisierung, Smart Meter etc. zu kommen. Konkret ging es um drei Fragen: Wo stehen wir überhaupt heute? Was bringt uns die Zukunft? Was sind die Herausforderungen?
Die erste Frage, wo die Fernwärme im Vergleich zu anderen Branchen stehe, richtete Sulzer an Matthias Galus. Zu Tech-Firmen wie Tesla und Apple sei der Gap natürlich gross, aber dies liege auch daran, dass diese nicht infrastrukturgebunden sind. Deshalb sei ein Vergleich eher schwierig. Christian Johansson meint dazu, dass man in Schweden grundsätzlich offen ist für alles Neue. Diese Einstellung mache den Gap kleiner. Zudem sei der Austausch unter den Branchen gross. Jeder lerne vom anderen. Und da die Schweden von Natur aus eher faul seien, ergänzte Johansson augenzwinkernd, überlasse man die Arbeit noch so gerne den Maschinen.
Trümpi meinte, dass man auch hierzulande pragmatisch unterwegs sei, als Betreiber sowieso. Diese seien eh hoch digitalisiert. Auch lasse er sein Unternehmen gern positiv beeinflussen von neuen Mitarbeitern, die aus anderen Firmen dazustossen. Auch so funktioniert Wissenstransfer.
Fachkräfte zu finden, sei eine der grosssen Herausforderungen, sagte Galus, zumal die Automobil-, Energie- und Tech-Branche um die klugen Köpfe auf dem Arbeitsmarkt buhlen.
Die Wünsche für die Zukunft hätten nicht unterschiedlicher sein können: Während Galus alle Versorgungsgebiete auf einer Schweizer Karte verortet haben möchte, wünschte sich Espig schlicht «weniger Bürokratie», und Johanssons Wunsch nach tieferen Versorgungstemperaturen deckte gleich drei Aspekte ab: technisch, ökonomisch und ökologisch.
Der Nachmittag begann mit einem Referat über Temperaturabsenkungen im grössten Fernwärmenetz der Schweiz. Andreas Peter von IWB sprach über die Herausforderungen in der Netzhydraulik und berichtete über die Ergebnisse aus den Absenkungsversuchen. Professor Martin Patel von der Universität Genf stellte neue Lösungen für die Netzplanung, laufende Forschungsaktivitäten und saisonale thermische Speicher vor.
Im Zusammenhang mit der Digitalisierung in Infrastrukturanlagen ist auch dem Thema Datenschutz und Cyberrisiken Beachtung zu schenken. Der am Projekt «Minimalstandards Fernwärme- und Fernkälteversorgung» beteiligte Vertreter des Bundesamtes für wirtschaftliche Landesversorgung, Hans-Peter Käser, gab hier wichtige Einblicke.
Zwischen diesen Referaten gab es ein intensives Intermezzo, in dem in kurzer Abfolge sechs Start-up-Unternehmen im Bereich thermische Netze ihr Angebot in wenigen Minuten präsentierten:
«Wir alle brauchen Wärme», stellte Bundesrat Albert Rösti zu Beginn seines Referates fest. Vielfach hätten Bundesräte das Privileg, zu Beginn einer Tagung kurz eine Einführung zu machen, in der man nicht in die Tiefe gehen müsse, meinte Rösti verschmitzt, da die Spezialisten danach ans Rednerpult treten würden. Umso grösser nun die Herausforderung für ihn.
Dass die Fernwärme an Bedeutung gewonnen habe, zeige sich an dem vollen Saal, der bis zuhinterst gefüllt sei, fand Rösti. Als Vorsteher des Departments Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK berichtete er über den Stand der Umsetzung der Energiepolitik. Er stellte die nächsten Schritte beim CO2- und Klimaschutzgesetz vor. Weiter ging er auf die raumplanerischen Rahmenbedingungen ein. Das dreijährige Programm zur Beschleunigung des Ausbaus thermischer Netze wurde noch vor seinem Amtsantritt beschlossen. Nun etwa in der Mitte zog er dazu eine kleine Zwischenbilanz.
Referate und Podiumsdiskussion waren nur ein Teil des Forums. Bei Kaffee und Kuchen in den Pausen, beim Mittagessen und in der Ausstellung tauschten sich die Teilnehmenden rege aus. Das Forum klang mit einem ausgedehnten Apéro und Live-Musik zu Ehren des 40. Geburtstags des Verbandes aus.
Das Datum des nächsten Fernwärme-Forums ist bereits bekannt: 23. Januar 2025. Ank
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