Anfang November titelte die New York Times, dass die USA ihr Grundwasser verbrauchen, als gäbe es kein Morgen. Die Journalist:innen des renommierten Mediums hatten eine Recherche über den Zustand der Grundwasserreserven in den Vereinigten Staaten veröffentlicht. Sie kamen zum Schluss, dass die US-​Amerikaner:innen zu viel Grundwasser aus dem Boden pumpen.
Doch die USA sind kein Einzelfall. «Auch der Rest der Welt verschleudert das Grundwasser, als gäbe es kein Morgen mehr», sagt Hansjörg Seybold, Senior Scientist am Departement Umweltsystemwissenschaften der ETH Zürich. Er ist Mitautor einer Studie, die soeben in der Fachzeitschrift «Nature» erschienen ist.
Zusammen mit Forschenden der University of California Santa Barbara stĂĽtzt er den besorgniserregenden Befund der Medienschaffenden. Nicht nur in Nordamerika wird viel zu viel Grundwasser hochgepumpt, sondern auch auf anderen Erdteilen, die der Mensch besiedelt.
In einer beispiellosen Fleissarbeit haben die Forschenden Daten von ĂĽber 170 000 Grundwassermessstellen und 1700 Grundwassersystemen der letzten 40 Jahre zusammengetragen und ausgewertet.
Diese Messdaten zeigen: In den vergangenen Jahrzehnten hat der Mensch die Grundwasserentnahme weltweit massiv ausgebaut. Die Pegelstände der meisten grundwasserführenden Gesteinsschichten, sogenannte Aquifere, sind seit 1980 fast überall auf der Welt drastisch gesunken.
Seit 2000 hat sich die Abnahme der Grundwasservorräte sogar weiter beschleunigt. Besonders betroffen sind diejenigen in den Trockengebieten dieser Welt, wie in Kalifornien, den High Plains, Spanien, dem Iran oder in Australien.
«Dass die Grundwasserpegel weltweit stark gesunken sind, hat uns nicht überrascht, aber das sich Tempo, in den letzten zwei Jahrzehnten noch beschleunigt hat, hat uns schockiert», sagt Seybold.
Der Grund für das beschleunigte Absinken der Grundwasserspiegel in Trockengebieten ist laut Seybold unter anderem, dass die Menschen diese Gegenden intensiv landwirtschaftlich nutzen und dafür (zu) viel Grundwasser zur Bewässerung der Kulturen an die Oberfläche pumpen, wie etwa im Central Valley in Kalifornien.
Zudem wächst die Weltbevölkerung. Es muss mehr Nahrung produziert werden, wie etwa in den Trockengebieten des Iran. In diesem Land sind die Grundwasserreserven mit am stärksten gesunken.
Aber auch der Klimawandel verschärft die Krise beim Grundwasser: In einigen Gebieten ist es in den vergangenen Jahrzehnten trockener und heisser geworden, landwirtschaftliche Kulturen müssen deshalb stärker bewässert werden. Fällt klimabedingt weniger Niederschlag, erholen sich die Grundwasservorkommen langsamer oder gar nicht.
Auch Starkniederschläge, wie sie im Zug des Klimawandels mancherorts häufiger auftreten, helfen nicht. Kommt das Wasser schwallartig, kann es der Boden oft nicht aufnehmen. Das Wasser fliesst dann oberflächlich ab, ohne dass es ins Grundwasser versickert. Dies gilt insbesondere an Orten mit starker Bodenversiegelung wie in Grossstädten.
«Die Studie hat jedoch auch gute Nachrichten» sagt Co-​Autorin Debra Perrone. «In einigen Gebieten haben sich die Aquifere dann erholt, wenn die Politik Massnahmen ergriffen hat oder wo alternative Wasserquellen entweder zur direkten Nutzung oder zur Regeneration der Grundwasserreserven verwendet werden können.»
Eines der positiven Beispiele ist der Genfer Grundwasserleiter. Dieser versorgt rund 700 000 Menschen des Kantons Genfs und des benachbarten französischen Departements Haut-​Savoie mit Trinkwasser. Zwischen 1960 und 1970 sank dessen Pegel drastisch, weil sowohl in der Schweiz als auch in Frankreich unkoordiniert Wasser abgepumpt wurde. Einige Brunnen versiegten und mussten geschlossen werden.
Um die gemeinsamen Wasservorräte zu erhalten, einigten sich Politik und Behörden beider Länder auf eine künstliche Zufuhr von Wasser aus dem Flüsschen Arve. Damit sollte erst der Grundwasserpegel stabilisiert, später angehoben werden. Das ist gelungen. «Den ursprünglichen Stand hat dieser Aquifer zwar nicht mehr erreicht, aber trotzdem zeigt dieses Beispiel: es muss nicht sein, dass Grundwasserspiegel nur sinken», betont Seybold.
Auch in anderen Ländern mussten die Behörden handeln: In Spanien wurde eine grosse Pipeline gebaut, die Wasser aus den Pyrenäen nach Zentralspanien führt und dort den Los Arenales Aquifer speist. In Arizona wird Wasser aus dem Colorado River in andere Gewässer umgeleitet, damit sich die Grundwassereservoire wieder auffüllen – was allerdings dazu führt, dass das Delta des Colorado Rivers zeitweise trockenfällt.
«Solche Beispiele sind ein Lichtblick», sagt UCSB-​Forscher und Erstautor Scott Jasechko. Dennoch fordern er und seine Kollegen dringend mehr Massnahmen gegen die Erschöpfung der Grundwasservorräte. «Sind die Grundwasserleiter in Halbwüsten und Wüsten fast erschöpft, kann es Jahrhunderte dauern, bis sie sich erholen, weil es schlicht nicht genug Niederschläge gibt, um diese Aquifere schnell wieder aufzufüllen», sagt Jasechko.
An den Küsten droht eine weitere Gefahr. Sinkt der Grundwasserstand unter ein gewisses Mass, kann Meerwasser in den Aquifer eindringen. Dieses versalzt die Brunnen und macht das hochgepumpte Wasser sowohl als Trinkwasser als auch zur Bewässerung von Feldern unbrauchbar. Bäume, deren Wurzeln in den Grundwasserstrom reichen, sterben ab. An der Ostküste der USA sind deshalb schon heute ausgedehnte Geisterwälder (engl. «ghost forests») zu finden, in denen kein Baum mehr lebt.
«Wir können deshalb das Problem nicht auf die lange Bank schieben», betont Seybold. «Die Welt muss dringend handeln.»
(Quelle: ETH ZĂĽrich)
In KĂĽrze
Literaturhinweis
Jasechko S, Seybold HJ, Perrone, D. et al. Rapid groundwater declines in many aquifers globally but cases of recovery, Nature, 2024. doi: externe Seite10.1038/s41586-​023-06879-8call_made
De los Cobos, G. The Genevese transboundary aquifer (Switzerland-​France): The secret of 40 years of successful management. Journal of Hydrology: Regional Studies, 2018, doi: externe Seite10.1016/j.ejrh.2018.02.003call_made
Grundwasserleiter oder Aquifer?
Ein Grundwasserleiter ist ein Körper aus porösem Gestein oder Sediment, Sand und Kies, der mit Grundwasser gesättigt ist. Dieses gelangt in einen Grundwasserleiter, wenn Niederschläge (oder Flusswasser) im Boden oder im Kiesbett versickern. Das Wasser kann sich dann durch den Grundwasserleiter bewegen und durch Quellen und Brunnen wieder austreten. Der im englischen Sprachraum übliche Ausdruck «aquifer» wird mittlerweile in der deutschen Sprache synonym für Grundwasserleiter verwendet, bezeichnet aber streng genommen nicht dasselbe.
Grundwasserleiter aus Sediment, Kies und Sand (hellbraun: undurchlässige Schichten aus Ton oder Mergel) (Grafik: BAFU)
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