Die Fassadenbaustoffe Putze und Mörtel weisen komplexe Rezepturen auf. Die Hauptbestandteile mineralischer Rezepturen sind in der Regel Sand und Bindemittel wie Zement, Gips oder Kalk. Pastöse Putze sind nach Stand der Technik oft mit Bioziden angereichert, um das Wachstum von Pilzen und Algen an der Fassade zu reduzieren. Das ist kein Problem, solange die Sonne scheint. Doch wenn es regnet und der Wind das Regenwasser gegen die Hauswand drückt, kann es zu einem Problem werden. Denn Rezepturbestandteile aus den Fassadenputzen werden durch den Regen ausgewaschen und gelangen mit dem abfließenden Regenwasser in die Kanalisation, in den Boden und im schlimmsten Fall auch ins Grundwasser. Forschende des Fraunhofer IBP haben ein mathematisches Modell entwickelt, das exakte Prognosen erlaubt, welche Stoffe aus Fassadenputz bei Regen ausgewaschen werden.
Dr. Pablo Alberto Vega Garcia, Experte für Ökologische Chemie und Mikrobiologie in der Abteilung Umwelt, Hygiene und Sensorik am Fraunhofer IBP, sagt: »Die Umweltrisiken, die durch Regenwasserabfluss von Putzen und Mörteln entstehen, haben in den letzten Jahren verstärktes Interesse geweckt. Mineralischer Putz enthält anorganische Schwermetalle wie Chrom, Vanadium und Blei, pastöse Putze enthalten Biozide. Unser thermodynamisches Modell gibt Auskunft über die Stoffkonzentration im abfließenden Regenwasser. Da die Wetterdaten der Region und die Rezeptur des jeweiligen Baustoffs in die Berechnung einfließen, ist das Modell sehr detailreich und aussagekräftig.« Bauherren oder Architekturbüros haben damit erstmals die Möglichkeit, die Umweltverträglichkeit der infrage kommenden Fassadenbaustoffe schon bei der Planung zu bewerten. Die Hersteller von Putz und Mörtel können das Modell für die Entwicklung besonders umweltfreundlicher Produkte einsetzen.
Das Fraunhofer IBP hat bei dem Projekt mit verschiedenen Partnern zusammengearbeitet, darunter die Technische Universität München, die RWTH Aachen, der Verband für Dämmsysteme, Putz und Mörtel (VDPM) sowie Industriepartner und Hersteller von Fassadenbaustoffen.
Mehr als zehn Jahre lang erforschten die Expertinnen und Experten des Fraunhofer IBP am Standort Holzkirchen die chemischen, physikalischen und kinetischen Prozesse beim Auslaugen von Schadstoffen im Freilandversuch. Dazu setzten sie Proben mit unterschiedlichen Putz- und Mörtelrezepturen über jeweils 18 Monate der Witterung aus. Nach jedem Regenereignis wurde das abgeflossene Wasser im Labor auf relevante Stoffe untersucht und deren Konzentration bestimmt. Hinzu kamen die meteorologischen Daten wie Regenmenge und -dauer, Windstärke und -richtung sowie Temperatur. Auch die Sonneneinstrahlung wurde berücksichtigt. Zusätzlich wurden Laborversuche zur Auslaugung unter definierten Bedingungen durchgeführt. So entstand eine umfangreiche Datenbank mit Datensätzen zur Konzentration der ausgelaugten Stoffe, den Wetterbedingungen sowie den Inhaltsstoffen der getesteten Proben. Die Angaben zu den Inhaltsstoffen wurden von den Herstellern geliefert.
«Mit diesen Daten haben wir ein dreistufiges thermodynamisches Modell entwickelt», erläutert Vega Garcia. «Im ersten Level messen wir, wieviel Regenwasser von der Fassade abläuft. Da bei Starkregen nur ein Teil des Wassers als Film von der Fassade abfließt, ein anderer Teil des Wassers von der Wand abprallt und ein weiterer von der Fassade absorbiert wird, ist diese Unterscheidung wichtig, um genaue Ergebnisse zu bekommen. Wetterdaten und Materialeigenschaften werden hier ebenfalls berücksichtigt. In Stufe 2 werden für jede Probe die Konzentrationen von Schwermetallen im abgeflossenen Wasser gemessen und quantifiziert. Dabei haben sich aufgrund ihrer hohen Konzentrationen Vanadium, Chrom und Blei als relevante Stoffe herausgestellt. Darauf folgt schließlich in Level 3 eine Sickerwasser-Prognose zur Abschätzung der Konzentration an einem definierten Ort der Beurteilung.» Für jeden Fassadenputz eines Herstellers lässt sich so bereits bei der Planung eine Modellierung erstellen und damit auch die Umwelteigenschaften des jeweiligen Produkts bewerten. Das Modell der Fraunhofer-Forschenden orientiert sich bei der Bewertung der Umweltkonformität an den Grenzwerten der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA). Solange die ermittelte Schadstoffkonzentration unter der sogenannten Geringfügigkeitsschwelle liegt, ist die im Sickerwasser vorhandene Stoffkonzentration unbedenklich.
Mithilfe des dreistufigen Modells aus dem Fraunhofer IBP können Hersteller von Fassadenbaustoffen bei der Entwicklung neuer Produkte die Rezeptur so anpassen, dass die zu erwartende Stofffreisetzung durch ablaufendes Regenwasser für eine bestimmte Region und deren typische Witterung unter der Geringfügigkeitsschwelle bleiben. «Von großer Bedeutung ist das beispielsweise für Fassaden in städtischen Gebieten oder auch in Regionen mit häufigen Starkregenereignissen», sagt Vega Garcia. Auch Behörden könnten das Modell nutzen, etwa um bestimmte Anwendungsbereiche für Fassadenbaustoffe zu definieren.
Als nächste Schritte wollen die Fraunhofer-Forschenden das Modell für die Berechnung der aus Bioziden unter Umwelteinflüssen entstehenden Transformationsprodukte verfeinern und auch auf weitere Baustoffe übertragen. So ist beispielsweise über Flachdächer mit Bitumenbahnen schon länger bekannt, dass daraus Radizide, die die Dachabdichtung vor Durchwurzelung schützen sollen, ausgewaschen werden und mit dem Ablaufwasser in die Umwelt gelangen können.
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