Noch immer decken Hausherren und Industrieunternehmen rund 80 Prozent ihres Wärmebedarfs durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe. Grosswärmepumpen in Wärmenetzen könnten nachhaltige Alternativen wie Geothermie, Seethermie, Abwärme und Solarthermie samt Speicher effizient erschliessen und so helfen, die deutschen Klimaziele bis 2045 zu erreichen. Deutschland könnte so seinen gesamten Wärmebedarf für Temperaturen bis 200 °C aus Kohlendioxid-freien Quellen decken und Fernwärme und Industrieprozesse betreiben. Die aktuelle Studie »Rollout von Grosswärmepumpen in Deutschland: Strategien für den Markthochlauf in Wärmenetzen und Industrie« des Fraunhofer IEG im Auftrag von Agora Energiewende analysiert umfassend den aktuellen Marktstatus und Entwicklungspotenziale von Grosswärmepumpen mit besonderem Fokus auf den Hochlauf von Wärmenetzen.
«Unter den nachhaltigen Wärmetechnologien ist die Grosswärmepumpe sicherlich der schlafende Riese,» unterstreicht Fabian Ahrendts vom Fraunhofer IEG und Erstautor der Studie. «Mit dem nächsten Entwicklungsschub erreicht die Technologie Temperaturen bis 200 Grad und damit die Arbeitstemperatur nicht nur der bestehenden Fernwärmenetze, sondern auch vieler Verarbeitungs- und Trocknungsprozesse in den Branchen Papier, Nahrungsmittel, Chemie und Lacke.»
Für die Studie befragte das Fraunhofer IEG viele Hersteller und konnte Entwicklungspotenziale (beispielsweise erreichbare Temperaturen, Wirkungsgrade und Flexibilität) sowie Fragen zum Aufbau weiterer Produktionskapazitäten klären. Zudem erbrachte die Recherche einen groben Marktüberblick: Anfang 2023 waren in Deutschland mindestens 30 Wärmepumpenanlagen mit jeweils einer thermischen Leistung über 500 kW in Betrieb, die zusammen eine Gesamtleistung von ca. 60 MW aufweisen. Überdies waren mindestens 30 weitere Grosswärmepumpenprojekte mit einer Gesamtleistung von rund 600 MW bereits im Bau oder in Planung.
Die Studie zeigt zudem: Das verfügbare Angebot von Umwelt- und Abwärme in Deutschland, das über Wärmepumpen bereitgestellt werden kann, übersteigt bei weitem den Wärmebedarf für Gebäude und industrielle Prozesswärme bis 200 °C. In Summe beläuft sich die potenzielle Wärmeleistung, die Wärmepumpen aus CO₂-freien Quellen auch ohne Nutzung von Umgebungsluft zur Verfügung stellen können, auf rund 1.500 Terawattstunden. Wärmepotenziale bieten demnach die oberflächennahe und tiefe Geothermie, See- und Flusswasser, industrielle Abwärme, Abwasser, Kohlengruben sowie Rechenzentren. Demgegenüber steht ein jährlicher Wärmebedarf für Temperaturen bis 200 °C von insgesamt etwas über 1.000 Terawattstunden. Mit Grosswärmepumpen werden diese Wärmequellen grossflächig für die Fernwärmeversorgung und in der Industrie nutzbar.
Bis 2045 können Grosswärmepumpen über 70 Prozent der Fernwärme in Deutschland bereitstellen und dort Erdgas weitestgehend ersetzen – wie aus den Langfristszenarien im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums hervorgeht. Dafür braucht es einen durchschnittlichen Zubau von jährlich vier Gigawatt neuer Grosswärmepumpenleistung bis 2045. Die Studie nennt drei Voraussetzungen für einen schnellen Hochlauf von Grosswärmepumpen: Es braucht einen klaren Ausbaupfad basierend auf einer verbindlichen kommunalen Wärmeplanung, den Abbau von Preisnachteilen gegenüber fossilen Energieträgern sowie eine strategische Ausweitung des Wärmepumpen-Angebots etwa durch die Standardisierung von Produktionsprozessen.
In den skandinavischen Ländern sind Grosswärmepumpen längst auf dem Vormarsch und versorgten Wohngebiete grossflächig mit klimaneutraler Wärme. In Deutschland sind Grosswärmepumpen noch ein Nischenprodukt. Neben den beiden Vorreitern - Norwegen mit einem Anteil an Grosswärmepumpen an der Fernwärmeversorgung von rund 13 Prozent und Schweden mit einem Anteil von über 8 Prozent - liegen auch Finnland, Dänemark und Frankreich über dem europäischen Durchschnitt von 1,2 Prozent. Bis 2045 sollen in Deutschland mehr als ein Viertel der Wohnungen mit grüner Fernwärme heizen können. Das setzt voraus, dass wir in den Kommunen die Wärmewende vorausschauend planen und dass der regulatorische Rahmen für die Fernwärme ein attraktives und günstiges Angebot für Kundinnen und Kunden sicherstellt.
Darüber hinaus müssen Grosswärmepumpenprojekte für Fernwärmebetreiber gegenüber fossilen Lösungen attraktiver werden. Aktuell bestehen bei der Förderung noch Nachteile von strombetriebenen Grosswärmepumpen gegenüber fossil befeuerten Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. Mit einer Reform des Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetzes und einer Aufstockung des Förderprogramms für Wärmenetze lässt sich diese Schieflage beheben und die Wärmewende beschleunigen. Und das ist dringend nötig, denn die Wärmeerzeugung bis 200 °C für Gebäude und Industrie macht aktuell noch über drei Viertel des deutschen Erdgasverbrauchs aus und ist für über ein Viertel der deutschen Treibhausgasemissionen verantwortlich.
Entscheidend für die Umstellung sei ein klares Zielbild, damit Kunden und Hersteller Planungssicherheit bekommen. Mit einer gesicherten Nachfrage kann das Angebot von Grosswärmepumpen sich weiterentwickeln: Weg von Einzelanfertigungen, hin zu einer industriellen Standardproduktion. Das sei auch zentral für die Wettbewerbsfähigkeit der Branche: Mit einem klug abgestimmten Instrumentenmix kann Deutschland sich als führender Produzent von Grosswärmepumpen aufstellen und die europäischen Herstellerkapazitäten für klimafreundliche Technologien stärken.
Die Studie «Rollout von Grosswärmepumpen in Deutschland: Strategien für den Markthochlauf in Wärmenetzen und Industrie» hat Fraunhofer IEG im Auftrag von Agora Energiewende erstellt. Die 140-seitige Studie analysiert umfassend den aktuellen Marktstatus und Entwicklungspotenziale von Grosswärmepumpen mit besonderem Fokus auf den Hochlauf von Wärmenetzen. Die Publikation steht zum kostenlosen Download unter www.agora-energiewende.de zur Verfügung.
Mit der aktuellen Studie ergänzt das Fraunhofer IEG seine Roadmaps zur Oberflächennahen Geothermie und zur Tiefen Geothermie. Es bildet damit eine weitere neue Technologie des Wärmemarktes mit ihren Chancen und Herausforderungen umfassend ab.
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