Die Biodiversität der Schweizer Gewässer ist einzigartig: 67 heimische Fische und vier Rundmäuler (fischartige Wirbeltiere) führt das Meldesystem Info Fauna auf – das ist ein Sechstel der europäischen Fischarten. Dabei sind die 35 Felchenarten der Alpenrandseen, die zum Teil erst in den letzten Jahren entdeckt oder als eigenständige Art bestätigt und beschrieben wurden, noch nicht einmal berücksichtigt.
Doch dieser Reichtum ist bedroht: 34 Arten meldet das Bundesamt für Umwelt BAFU in seiner aktuellen «Roten Liste der Fische und Rundmäuler» als gefährdet. Dazu gehören drei Viertel der Fische, die für ihre Fortpflanzung auf lockeren Kies angewiesen sind – und ausnahmslos alle Langdistanzwanderer. Weitere Fischarten sind nach den Kriterien der Weltnaturschutzunion (IUCN) als «potentiell gefährdet» eingestuft. Von den Felchen, die erstmals auf Artebene nach den Richtlinien der Weltnaturschutzunion IUCN eingestuft wurden, ist ein Drittel der 1950 dokumentierten Arten bereits ausgestorben.
Insgesamt hat sich die Situation in der Schweiz seit der letzten Erfassung 2007 noch einmal verschlechtert – und schneller noch als in den Nachbarländern. Neun Arten stehen inzwischen dermassen unter Druck, dass sie einen höheren Gefährdungsstatus erhielten als 2007. Nicht gefährdet ist dagegen ein Viertel der untersuchten Arten – zum Beispiel der Alet (Squalius cephalus) oder das Rotauge (Rutilus rutilus), die weniger spezifische Anforderungen an ihren Lebensraum stellen. Und bei drei Arten wurden zunehmende Bestände festgestellt, dazu gehört etwa der wärmeliebende Wels (Silurus glanis).
Mit den systematischen Bestandesaufnahmen des «Projet Lac» und des «Progetto fiumi» haben die Forschenden der Eawag und der Universität Bern unter der Leitung von Prof. Ole Seehausen einen wesentlichen Beitrag zur Kenntnis der Verbreitung und Häufigkeit insbesondere der bis vor kurzem wenig oder nicht bekannten Arten geleistet.
Ole Seehausen: Das Bewusstsein für die Komplexität der Biodiversität und der sich daraus ergebenden Möglichkeiten und Erfordernisse im Naturschutz wächst. Und damit auch die Bereitschaft, Zeit und Geld in die Erfassung und Dokumentation von Artenvielfalt und -verbreitung zu investieren. Nur so lassen sich letztlich Ursachen für den Rückgang erkennen, um dann geeignete Massnahmen ergreifen zu können.
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Der Lebensraum der Fische ist unter Druck: Flussbegradigungen, Uferbefestigung, veränderter Geschiebehaushalt, Schwall/Sunk, Überdüngung und Sauerstoffmangel tragen dazu bei. Weitere Faktoren sind Wander-, beziehungsweise Bewegungshindernisse, die Klimaerwärmung sowie die Verschleppung von Arten, die mit einer Verdrängung anderer Arten und einer Homogenisierung der Artenzusammensetzung einhergehen kann.
Weniger Arten bedeutet oftmals weniger effiziente Ă–kosystemfunktionen und/oder weniger Resilienz der Ă–kosystemfunktionen bei Schwankungen.
Das kommt ganz auf die Stellung der Art im Nahrungsnetz an. Wenn die Art in grosser Häufigkeit auftritt, und vor allem, wenn sie die dominante oder gar einzige Art ist, die eine gewisse Ressource in einem Lebensraum nutzt, dann kann ihr Rückgang sich sehr schnell bemerkbar machen. Nutzen dagegen mehrere Arten die gleiche Ressource, kann der Rückgang einer Art unter Umständen durch die Zunahme einer anderen Art kompensiert werden. Voraussetzung ist, dass die andere Art nicht auch unter den verändernden Faktoren leidet. Man spricht da von einem Portfolioeffekt, was sich aus der Wirtschaft ableitet: Wenn Geldanlagen breiter gestreut werden, dann wird sich der Zusammenbruch eines Teilmarktes nicht gleich so negativ auf den Gesamtwert der Anlagen auswirken. Aber je mehr Arten verschwinden, desto kleiner wird die Resilienz eines Systems. Und wenn zu viele Arten verschwunden sind, treten plötzliche Veränderungen auf, die das gesamte Ökosystem betreffen können.
Wir sprechen dann insgesamt von 100 (statt 71) als einheimisch geltenden Arten. Von 81 (statt 66) konnte eine Gefährdungskategorie festgelegt werden. Leider kommen wir dann auf 18 in der Schweiz bereits ausgestorbene Arten: neun erstmals aufgeführte Felchenarten und neun der schon 2007 eingestuften Fisch- und Rundmaularten. Noch schlimmer: Weil die Felchenarten endemisch sind, also nur in einem oder wenigen benachbarten Seen vorkommen, sind diese neun ausgestorbenen Arten global verlorengegangen und nicht nur in der Schweiz. Das trifft auch auf eine der anderen ausgestorbenen Arten zu – den Jaunet (Salvelinus neocomensis), der ausschliesslich im Neuenburgersee vorkam. Mit den Felchen kommen wir zudem insgesamt auf 40 gefährdete und 12 potentiell gefährdete Arten sowie 19 mit unzureichender Datengrundlage. Die Schweiz hat weltweit eine der höchsten Aussterberaten von Süsswasserfischen.
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