Wie bereits 2019, stand in der Schweizer Wasserpolitik 2020 erneut die Pestizidproblematik zuoberst auf der Traktandenliste, vor allem das Ringen im Parlament um eine Art «informellen Gegenvorschlag» zu den zwei 2021 zur Abstimmung gelangenden Volksinitiativen (Trinkwasser- und Pestizidverbots-Initiative). Die Pandemie widerspiegelte sich einzig in zwei Vorstössen: einem zum Corona-Monitoring via Abwasser (Interpellation 20.3172 von Marie-France Roth Pasquier (CVP/FR)) und einem zur Frage, ob die vielen Desinfektionsmittel sich allenfalls negativ auf Umwelt und Gesundheit auswirken könnten (Interpellation 20.4469 von Christophe Clivaz (Grüne/VS)).
Nachfolgend wird ein grober Überblick über die innenpolitischen Debatten zum Thema Wasser 2020 gegeben. Kantonale Entwicklungen werden exemplarisch angesprochen, das Internationale dann, wenn es für die Schweiz Auswirkungen zeigen könnte. Der Artikel erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern reflektiert die Entwicklungen aus Sicht der Autoren, verbunden mit ihrer Arbeit am Wasserforschungsinstitut Eawag, respektive für Wasser-Agenda 21. Er basiert auf öffentlich zugänglichen Quellen aus Medien, Verwaltung und Parlament. Dies ist seit 2017 die vierte Jahreszusammenstellung in Aqua & Gas. Anregungen nehmen die Autoren gerne entgegen.
Am 3. April schickt der Bundesrat die Revision des Energiegesetzes (EnG) in die Vernehmlassung. Die Vorschläge werden von den Vernehmlassungsteilnehmenden mehrheitlich positiv aufgenommen. Nun soll bis Mitte 2021 ein «Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien» erarbeitet werden. Für die Gewässer relevant sind die Pläne zum weiteren Ausbau der Wasserkraft und der Pumpspeicherkapazität. Künftig sollen auch neue Kleinwasserkraftwerke Investitionsbeiträge beantragen und damit auch einen Teil der Planungskosten decken können. Sie erhalten ab 2023 aber keine Einspeisevergütungen mehr. Die Fördermittel für Investitionsbeiträge für neue Grosswasserkraftwerke werden verdoppelt.
Eine parlamentarische Initiative (Pa.Iv. 20.434) der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrates (UREK-N) will eine ökologische Aufwertung bei der Erneuerung von Wasserkraftkonzessionen ins Wasserrechtsgesetz (WRG) einbauen. Die Initiative wird am 19. Mai als Antwort auf die ein Jahr zuvor beschlossene Änderung des Referenzzustandes bei Neukonzessionierungen lanciert.
Am 12. Februar verabschiedet der Bundesrat die Botschaft zur Agrarpolitik 2022+ (AP22+). Darin enthalten ist – als Alternative zur Trinkwasser-Initiative bezeichnet – ein Massnahmenpaket, das dem Schutz des Trinkwassers dienen soll, samt eines Absenkpfades für die landesweiten Überschüsse der Nährstoffe Stickstoff und Phosphor (minus 20% bis 2030).
Am 14. Oktober erhöht der Bundesrat die Hürden für den Export von in der Schweiz verbotenen Pestiziden mit einer Änderung der Chemikalien-Risikoreduktions-Verordnung (ChemRRV) und am 11. November setzt er im Rahmen weiterer Verordnungsänderungen im Landwirtschaftsbereich auch Änderungen in der Pflanzenschutzmittel-Verordnung (PSMV) in Kraft. Fragen, wie eigenständig die Schweiz in Zulassungsverfahren noch handeln kann oder inwiefern EU-Recht nachvollzogen werden soll, sind noch offen. Das gilt für neue oder erneuerte Zulassungen ebenso wie für den Entzug von Zulassungsgenehmigungen. Kritiker aus den Reihen der Umweltverbände monieren vor allem, die Schweiz gewähre bei neuen Erkenntnissen zur Gefährlichkeit einer Substanz zu lange Übergangsfristen bis zu einem Anwendungsverbot.
Am 18. Februar führt das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) für 19 Pestizide, die für Wasserlebewesen besonders problematisch sind, stoffspezifische Grenzwerte ein, welche den pauschalen Wert von 0,1 µg/l ablösen. Für die nicht namentlich erwähnten Pestizide sowie in Gewässern, die der Trinkwassernutzung dienen, gilt weiterhin der pauschale Wert von 0,1 µg/l als Obergrenze. Erstmals werden auch für drei Arzneimittel Grenzwerte festgelegt. Die dementsprechend revidierte Gewässerschutzverordnung tritt am 1. April 2020 in Kraft.
Zwei Standesinitiativen der Kantone Jura (18.308) und Genf (18.319) für ein Verbot von glyphosathaltigen Produkten, respektive für einen geordneten Ausstieg aus der Verwendung von Glyphosat, lehnt der Ständerat am 10. März ab. Voraussichtlich folgt eine weitere Standesinitiative zum selben Thema aus Zürich, wo der Kantonsrat Ende August den Regierungsrat beauftragt hat, eine solche einzureichen.
Am 1. Juli setzt der Bundesrat Anpassungen im Lebensmittelrecht in Kraft. Betroffen sind u. a. Materialien, die mit Trinkwasser in Kontakt kommen (Metalllegierungen, Lacke oder Rohrbeschichtungen). Die Verordnung enthält auch quantitative Anforderungen für Rückstände, die im Wasser nachweisbar sind. Am 19. August verabschiedet der Bundesrat die Verordnung über die Sicherstellung der Trinkwasserversorgung in schweren Mangellagen. Der Vollzug dieser Verordnung liegt weiterhin bei den Kantonen.
Zwei Pa.Iv. versuchen, eine Art informellen Gegenvorschlag zu den beiden Volks-Initiativen (Trinkwasser- und Pestizidverbotsinitiative) zu erwirken, indem sie Elemente aus dem Trinkwasserpaket der AP22+ herauslösen und vorzeitig verabschieden wollen: Der Vorstoss (19.475) der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates (WAK-S) (Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren) verlangt einen Absenkpfad mit Zielwerten für das Risiko beim Einsatz von Pestiziden. Konkret sollen die Risiken durch Pflanzenschutzmittel bis 2027 gegenüber der Periode 2012–2015 um 50% reduziert werden. Ist absehbar, dass das nicht gelingt, muss der Bundesrat handeln. Die Pa.Iv. 19.430 von Beat Jans (SP/BS) fordert einen konsequenten Schutz des Grund-, Trink-, Fluss- und Seewassers vor nachweislich schädlichen Pestiziden, wenn diese in Gewässern die Ökologie schädigen. Am 10. Dezember berät der Nationalrat die inzwischen um einen Nährstoffteil ergänzte Pa.Iv. der WAK-S. Gegen die Mehrheit der WAK-N wird ein strengerer Schutz nicht auf «relevante» Abbauprodukte von problematischen Pestiziden beschränkt. Zudem nimmt der Rat einen Einzelantrag von Matthias Samuel Jauslin (FDP/AG) an. Der entsprechende Artikel schreibt den Kantonen vor, bis 2035 für den Trinkwasserschutz Zuströmbereiche von Grundwasserfassungen von öffentlichem Interesse zu bezeichnen. Konkrete Reduktionsziele für Stickstoff und Phosphor nennt die Vorlage nicht. Diese Nährstoffe müssen bis 2030 im Vergleich zum Mittel von 2014 bis 2016 «angemessen reduziert» werden. Zusätzlich nimmt die grosse Kammer eine Offenlegungspflicht für Dünger und Futtermittel an. Die Änderungen betreffen drei Bundeserlasse: das Chemikalien-, das Landwirtschafts- und das Gewässerschutzgesetz.1 Die AP22+ wird vom Ständerat am 14. Dezember auf Eis gelegt, bis der Bundesrat einen Bericht zum Postulat aus der WAK-S (20.3931) zur zukünftigen Ausrichtung der Agrarpolitik mit «Nachbesserungen» geliefert hat. Verlangt werden unter anderem Massnahmen zur Aufrechterhaltung des bisherigen Selbstversorgungsgrades und eine Reduktion des administrativen Aufwands für die Landwirtinnen und Landwirte, aber auch die Schliessung der Nährstoffkreisläufe und eine nachhaltige Produktion.2
Zu Pflanzenschutzmitteln und dem Nährstoffüberangebot werden zahlreiche weitere Vorstösse behandelt. Denn der Bundesrat räumt in seinen Stellungnahmen ein, dass zu beiden Themen noch sehr viel Handlungsbedarf bestehe, so z. B. in seiner Antwort vom 26. Februar zur Interpellation 19.4480 von Kathrin Bertschy (SP/SO) über den Stickstoff-Absenkpfad. Darin hält die Regierung fest, dass die bisher erfolgte Reduktion nicht annähernd ausreiche, um die Schutzziele zu erreichen.
Neben dem Herbizid Glyphosat (s. «Bundesrat und Bundesverwaltung») beschäftigen die bereits in sehr tiefen Konzentrationen toxischen Pyrethroide und Organophosphate das Parlament, so unter anderem in den Fragestunden der Sommersession oder den Anfragen von Aline Trede (Grüne/BE) zu Pyrethroiden und Organophosphaten in den Gewässern (20.5341) und Beat Jans (SP/BS) zur Zulassung von Pyrethroiden und Organophosphaten (20.5200). Dabei wird wiederholt auf neue Forschungsresultate der Eawag und des Oekotoxzentrums verwiesen, wonach die Risiken einiger weniger dieser Stoffe diejenigen sämtlicher anderer Pflanzenschutzmittel übertreffen können (s. K. Kiefer et al., Aqua & Gas 11/19).
Ăśber ein Dutzend Vorstösse betreffen Ausnahmen zur Verwendung von NeoÂnicotinoiden im ZuckerrĂĽbenanbau (Saatgutbeizung). Der Bundesrat beantragt am 11. November die Motion (20.4168) von Jakob Stark (SVP/TG) abzulehnen. Der Ständerat verweist die Motion zur vertiefteren Beratung an seine WAK.
Die Interpellation 20.4175 von Kilian Baumann (Grüne/BE) mit der Frage, wie der Eintrag von Schad- und Fremdstoffen in Oberflächengewässer durch Drainagen verringert werden kann, wird vom Nationalrat am 18. Dezember erledigt. Der Bundesrat weist in seiner Stellungnahme auf einen möglichen Verzicht bei anstehenden Erneuerungen von Drainagen und vor allem auf Massnahmen im Rahmen der AP22+ hin.
Mehrere Vorstösse versuchen, über finanzielle Anreize zu einer ökologischeren Landwirtschaft zu gelangen, so die Interpellation 20.3304 von Jürg Grossen (GLP/BE), welche Direktzahlungen stärker auf pflanzliche anstatt tierische Produkte ausrichten möchte, oder die Interpellation 20.4223 von Aline Trede (Grüne/BE) zur Kostenwahrheit in der Landwirtschaft.
Im Zusammenhang mit den Pflanzenschutzmitteln werden mehrere Vorstösse zu deren Zulassung eingereicht, auch aufgrund des schon Ende 2019 präsentierten Berichts über Mängel im Zulassungsverfahren. Am 18. Dezember verschiebt der Nationalrat allerdings die Diskussion von vier Interpellationen: 19.4531 von Tiana Moser (GLP/ZH) über das weitere Vorgehen nach der Evaluation des Zulassungsprozesses der Pflanzenschutzmittel; 20.4222 von Aline Trede (Grüne/BE) über toxische Pflanzenschutzmittel für Bienen, Gewässerlebewesen und Menschen; 20.4018 von Valentine Python (Grüne/VD) zur Frage «Wann werden die tatsächlichen Risiken von toxischen synthetischen Molekülen für die Gesundheit und die Biodiversität berücksichtigt?»; 20.4183 von Ursula Schneider Schüttel (SP/FR) mit dem Titel «Ökonomie und Vorsorgeprinzip: Überprüfungsrate von alten Pflanzenschutzmitteln». Der Bundesrat stellt in Aussicht, dass die Kriterien für die Zulassung von Produkten für nichtberufliche Anwender verschärft werden und dass jährlich rund 20 Wirkstoffe überprüft werden könnten.3
Die Trinkwasserversorger sind 2020 stark mit den zu hohen Konzentrationen von Chlorothalonilmetaboliten in zahlreichen Grundwässern befasst. Die Politik versucht zum einen, die Vorsorge zu stärken, etwa durch Finanzen für die Ausscheidung von Zuströmbereichen (Motion 20.3625 von Roberto Zanetti (SP/SO): «Wirksamer Trinkwasserschutz durch Bestimmung der Zuströmbereiche»). Zum  anderen befasst man sich bereits mit der Frage, was wäre, wenn gefördertes Wasser künftig aufbereitet werden müsste (Motion 20.3494 von Nadine Masshardt (SP/BE): «Unterstützung für sauberes Trinkwasser», die u. a. einen Fonds für Aufbereitung verlangt). Siehe dazu auch Motion 20.3022 Felix Wettstein (Grüne/SO): «Finanzielle Beteiligung des Bundes an den notwendigen Sanierungsmassnahmen zur einwandfreien Trinkwasserqualität» sowie Interpellation 19.4249 Kurt Fluri (FDP/SO): «Haben wir in Ackerbaugebieten bald ein Versorgungsproblem beim Trinkwasser?»
Am 26. Februar nimmt der Bundesrat Stellung zu verschiedenen Geschäften mit Wasserbezug. So lehnt er einerseits die Motion von Jean Pierre Grin (SVP/VD) ab. Die Motion 19.4507 verlangt die Regulierung des Kormoranbestandes zum Schutze der Berufsfischerei und der Fischvielfalt. Andererseits beantragt er die Ablehnung der Motion 19.4561 von Hansjörg Knecht (SVP/AG), die verlangt, dass weniger eingedolte Bäche offen gelegt werden sollen, weil dies für die Landwirtschaft zu Nachteilen führe. Schlussendlich nimmt der Bundesrat auch Stellung zur Interpellation 19.4536 von Ursula Schneider Schüttel (SP/FR), die Fragen zur Finanzierung von Gewässerrevitalisierungen stellt. Mit einer Interpellation 20.3733 erkundigt sich Martina Munz (SP/SH) am 18. Juni zum Bummelvollzug bei der Gewässerrenaturierung durch Personalmangel. In seiner Stellungnahme vom 2. September verweist der Bundesrat auf drei neue Stellen beim BAFU, aber auch auf die Aufgaben der Kantone. Mit einer Motion 19.4374 wollte Jakob Stark (SVP/TG) den Gewässerraum zugunsten der landwirtschaftlichen Nutzung verkleinern. Nach Starks Einzug in den Ständerat wird die Motion von Werner Hösli (SVP/GL) übernommen und am 20. November vom Bundesrat zur Ablehnung empfohlen.
Am 23. September reicht NR Claudia Friedl (SP/SG) eine Interpellation (20.4079) ein zur invasiven Quagga-Muschel, die Ökosysteme und Trinkwasserfassungen bedroht. In seiner Antwort verweist der Bundesrat am 25. November auf seine Empfehlung zuhanden der Kantone zum Umgang mit der Quagga-Muschel (s. «Kantone»).
Am 6. Mai reicht Beat Rieder (CVP/VS) eine Motion (20.3407) ein, um Investitionssicherheit für die Stromproduktion aus einheimischer Wasserkraft zu gewährleisten, der Bundesrat empfiehlt Ablehnung der Motion. Die von Hannes Germann (SVP/SH) eingereichte Motion (19.4637) zu angemessenen Restwasserbemessungen und Pumpspeicherkraftwerken wird am 3. Juni zurückgezogen, nachdem der Bundesrat ablehnend Stellung bezogen hatte. Germann hatte sich einen konsequenteren Vollzug erhofft. Ebenfalls die Restwasserthematik betrifft die am 24. September von Kurt Fluri (FDP/SO) eingereichte Motion 20.4154. Sie möchte das Solarstrompotenzial in Streitfällen bei der Restwasserbemessung von Wasserkraftwerken besser berücksichtigen. Der Bundesrat beantragt am 25. November, die Motion abzulehnen. Die Frage der Plastikweitergabe bei Wasserkraftwerken wurde in der am 25. September eingereichten Motion von Gabriela Suter (SP/AG) thematisiert. Der Bundesrat erklärt sich am 25. November bereit, die Frage zu prüfen.
Am 13. Oktober nimmt der Nationalrat eine Motion (20.4261) der WAK-N an. Sie verlangt eine Reduktion der Stickstoffeinträge aus den Abwasserreinigungsanlagen. Bereits einen guten Monat später beantragt der Bundesrat die Annahme der Motion. Am gleichen Datum nimmt die WAK-N eine weitere Motion zu den Abwasserreinigungsanlagen an. Diese verlangt, dass Massnahmen zur Elimination von Mikroverunreinigungen für alle (rund 740) Abwasserreinigungsanlagen realisiert werden. Der Bundesrat lehnt das Begehren mit dem Verweis auf die laufende Strategie Micropoll und die hohen Kosten (40 statt 9 Fr./Person) ab.
Der Ständerat lehnt am 15. September die Motion 20.3429 von Maya Graf (Grüne/BL) ab. Sie verlangt ein integrales Wassermanagement für die Schweiz. Der Bundesrat verweist dabei auf seinen in Arbeit stehenden Grundlagenbericht zum seit 2018 pendenten Postulat von Beat Rieder (CVP/VS) «Wasserversorgungssicherheit und Wassermanagement. Grundlagenbericht» (18.3610).
Am 4. November eröffnet der Bundesrat die Vernehmlassung zur Strategie «Nachhaltige Entwicklung 2030». Gewässer und Biodiversität sind Teile davon. Unter anderem fordert die Regierung einen transparenten Umgang mit Zielkonflikten, zum Beispiel zwischen Gewässerrevitalisierung und Gewässernutzung.4
In einer umfassenden Antwort zum Postulat 17.4059 von Adèle Thorens Goumaz (Grüne/VD) zeigt der Bundesrat am 4. Dezember auf, wie er den Einsatz von Glyphosat reduzieren will.
Mehrere für den Umgang mit Wasser und Gewässern relevante Publikationen aus der Bundesverwaltung sind zumindest in Teilen die Folge von Diskussionen in der Politik oder enthalten juristisch relevante Abschnitte, auch wenn sie keinen gesetzgeberischen Charakter haben:
Verschiedene Leitentscheide behandeln das Verhältnis von Gewässer- und Umweltschutzrecht gegenüber (privaten) Nutzungen. Mehrheitlich fallen die Entscheide des Bundesgerichts dabei zugunsten des Gewässer- und Umweltschutzrechts aus.
So verfügt es, dass der Wiederaufbau eines Gebäudes, das im Gewässerraum der Saaser Vispa (VS) liegt, aufgrund der heutigen Gesetzeslage nicht mehr bewilligt würde. Somit kann das ohne Bewilligung erstellte Gebäude auch in einem nachträglichen Verfahren nicht bewilligt werden (Urteil BGE 146 II 304 vom 6. April 2020).
Auch heisst das Bundesgericht die Beschwerde von Natur- und Tierschutzorganisationen gut im Zusammenhang mit dem geplanten Wanderweg in der Talsohle der Rheinschlucht (Ruinaulta) auf dem Gebiet der Gemeinde Trin (GR). Es hebt den Zonen- und Generellen Erschliessungsplan Ruinaulta der Gemeinde Trin wegen Unvereinbarkeit des geplanten Wanderweges mit dem Auenperimeter des Bundes auf (Urteil BGE 146 II 347 vom 24. März 2020).
Im Bereich des Biotopschutzes stellt das Bundesgericht die Unvereinbarkeit einer Recycling-Umschlag- und Sammelstation in Kloten (ZH) mit den Schutzzielen eines Amphibienlaichgebiets von nationaler Bedeutung fest. Zuvor war das ZĂĽrcher Baurekursgericht bereits zum Schluss gekommen, dass das Amphibienlaichgebiet von nationaler Bedeutung im Bereich des ehemaligen Kieswerks ungenĂĽgend berĂĽcksichtigt worden ist und die Baubewilligung nicht zu erteilen sei (Urteil BGE 146 II 376 vom 16. April 2020).
Schlussendlich heisst das Bundesgericht die Beschwerde von zwei Naturschutzorganisationen im Zusammenhang mit der geplanten Erhöhung der Staumauern des Grimsel-Wasserkraftwerks gut. Das Projekt bedarf einer Festsetzung im kantonalen Richtplan, damit die verschiedenen Nutz- und Schutzinteressen abgestimmt werden können. Auch eine Koordination mit dem geplanten Kraftwerk Trift ist erforderlich (Urteil 1C_356/2019 vom 4. November 2020).
In Montreux (VD) unterstützt das Bundesgericht eine Beschwerde gegen bauliche Hochwasserschutzmassnahmen (Wehr mit Rückhaltezone), weil dadurch die Geschiebedynamik gefährdet werden könnte. Es verlangt von der Vorinstanz eine Abklärung, inwiefern das geplante Stauwehr die Geschiebedynamik beeinträchtigt, und eine darauf basierende Interessenabwägung (Urteil 1C_693/2017 vom 26. Februar 2020).
Nach der Ablehnung an der Urne stellt der Zürcher Regierungsrat Ende Februar eine Neuauflage des Zürcher Wassergesetzes vor. Das neue Gesetz enthält höhere Schutzziele beim Hochwasserschutz, schränkt bundesrechtlich vorgeschriebene Gewässerrevitalisierungen nicht mehr ein und verbietet die (Teil-)Privatisierung von Wasserversorgungen. Zu letzterem Thema wird auch im Kanton Solothurn auf parlamentarischer Ebene diskutiert, ob ausschliesslich öffentlich-rechtliche Trägerschaften für Wasserversorgungen infrage kommen sollten. Ebenfalls im Kanton Zürich wird der Gegenvorschlag zur Natur-Initiative im Kantonsrat angenommen. Künftig werden 40 bis 60 Millionen Franken jährlich in den Fonds für Natur- und Heimatschutz fliessen, davon soll auch der Gewässerschutz profitieren.
Im Kanton Luzern gehen per Anfang 2020 Aufgaben beim Wasserbau und Gewässerschutz an den Kanton über. Das totalrevidierte Wasserbaugesetz (WBG) regelt die Aufgabenteilung und Finanzierung zwischen Kantonen und Gemeinden. Im Kanton Nidwalden tritt Ende November das neue Gewässergesetz in Kraft, das als einheitliches Gesetz mehrere bisherige Gesetzgebungen ablöst. Der Regierungsrat des Kantons Tessin heisst den Beschluss zur Verabschiedung des neuen Wasserwirtschaftsgesetzes gut. Dieses strebt einen ähnlich integrativen Ansatz an, um die vormalig fragmentierte Wassergesetzgebung in einem Gesetz zu vereinen.
Die national diskutierte PestizidproÂblematik findet sich auch auf kantonaler Ebene in verschiedenen Formen wieder: So kommt es in mehreren kantonalen Parlamenten (beispielsweise Genf, Waadt, Wallis, ZĂĽrich) zu Vorstössen und Fragen zu Chlorothalonil im Trinkwasser. Im Kanton Thurgau wird in einer Anfrage explizit die Frage der finanziellen Haftung gestellt, auch im Hinblick auf kĂĽnftige Verunreinigungen durch Pflanzenschutzmittel. Auch kantonale Verwaltungen reagieren mit Berichten und verschiedenen Massnahmen auf die Chlorothalonil-Problematik. Ein Bericht des Kantons ZĂĽrich zu Grund- und Trinkwasser weist darauf hin, dass die Wasserversorgungen von 62 Gemeinden des Kantons Verbesserungsmassnahmen umsetzen, ebenso in Luzern und im Wallis, wo Untersuchungen ergeben, dass Anforderungswerte vielerorts ĂĽberschritten werden. Der Kanton Bern, wo der Grenzwert in rund zehn Prozent der Messstellen ĂĽberschritten wird, macht Messresultate öffentlich zugänglich. In Solothurn beschliesst der Regierungsrat, dass vorĂĽbergehend die doppelte Menge an Wasser aus dem Pumpwerk Aarmatt entnommen werden darf, um Höchstwerte von Chlorothalonil im Trinkwasser einhalten zu können. Die Seeländer Wasserversorgung bestellt eine Osmoseanlage zur Eliminierung von Chlorothalonil und prĂĽft eine Haftungsklage.
Eine Verschmutzung des Blausees findet schweizweit grosse Beachtung in den Medien. Im Berner Grossen Rat wird eine parlamentarische Untersuchungskommission gefordert, aber schlussendlich nicht eingesetzt. Als problematisch wird insbesondere erachtet, dass sowohl kantonale wie Bundesämter die illegale Deponierung von verschmutztem Aushubmaterial in der Nähe des Blausees bewilligt hätten.
Der Bundesgerichtsentscheid zu ehehaften Wasserrechten (s. «Ausblick») wird in verschiedenen Kantonen politisch aufgegriffen. Die Baudirektion der Direktion des Innern im Kanton Zug gibt ein Gutachten zu ehehaften Wasserrechten in Auftrag, welches die Vollzugsfragen beleuchtet und zum Schluss kommt, dass umweltrechtliche Vorgaben umfassend und bei allen Wasserkraftwerken gleich anzuwenden sein werden. Genau diese Aussicht auf die erforderliche Umsetzung von Massnahmen im Rahmen des Gewässerschutzgesetzes führt im Kanton Bern wie im Kanton St. Gallen zu parlamentarischen Vorstössen, welche aufgrund des Entscheides den Beitrag der Wasserkraft zur Energiestrategie 2050 gefährdet sehen. Diese Auffassung wird von der Exekutive in beiden Kantonen nicht geteilt aufgrund des gesamthaft geringen Anteils der betroffenen Kraftwerke an der Stromproduktion.
In Schaffhausen strebt der Regierungsrat zukünftig, mit dem Kanton Zürich abgestimmt, eine eigene Nutzung der Wasserkraft am Rheinfall an. Die derzeitige Wasserrechtskonzession läuft Ende 2030 aus und der Kanton ist bestrebt, den Heimfall auszuüben. Eine Motion im Grossen Rat des Kantons Bern fordert, dass aufgrund der zu erwartenden zusätzlichen Energieproduktion das geplante Kraftwerk Trift gebaut werden sollte. Im Gegenzug sollten aber alle zusätzlichen Wasserkraftkonzessionen in einer Anzahl von Motionärinnen und Motionären als ökologisch wertvoll identifizierten Wasserläufen verweigert werden, da das Ausbauziel der Berner Wasserstrategie bereits ohne sie mehr als erfüllt werden könne. Das Konzenssionsgesuch für das Kraftwerk Trift wird allerdings in der Wintersession 2020 von der Traktandenliste genommen (s. Bundesgerichtsentscheid zur Mauererhöhung am Grimselstausee).
Des Weiteren entscheidet das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, dass belastetes Sediment aus einem revitalisierten Seitenarm des Klingnauer Stausees nicht einfach weggespĂĽlt (bzw. ĂĽber eine Rohrleitung im Rhein deponiert), sondern entsorgt werden muss.
Invasive Arten im Wasser sind in vielen Kantonen ein Thema. Dabei beansprucht insbesondere die Quagga-Muschel einen prominenten Platz auf der Agenda und beschäftigt sowohl kantonale Parlamente (in Luzern und Zug) wie auch Verwaltungen (beispielsweise im Aargau, in Zürich, Fribourg und Bern). Getroffene und parlamentarisch geforderte Massnahmen zielen zumeist auf Informations- und Sensibilisierungskampagnen, zum Beispiel für Bootsbesitzer, ab. Im Kanton Basel Stadt führt das Amt für Umwelt und Energie ein Pilotprojekt in Zusammenarbeit mit der Universität Basel zur Untersuchung der Bedeutung von Kleinbooten für die unbeabsichtigte Verschleppung von Schwarzmeergrundeln und anderen Neobiota durch.
Zu den grenzüberschreitenden Gewässern wird im Februar in Amsterdam im Rahmen der Rhein-Ministerkonferenz gemeinsam mit den anderen Rheinanliegerstaaten das neue Programm «Rhein 2040» verhandelt, mit einem Hauptfokus auf die immer deutlicher werdenden Auswirkungen des Klimawandels für die künftige Entwicklung des Rheins. Die Schweizer Delegation setzt sich unter anderem für die Rückkehr des Lachses ein. Am Bodensee sprechen sich Fischereiverbände und Experten mit einer Petition gegen Netzgehege im See aus und stellen sich damit gegen die Pläne für eine kommerzielle Aquakultur für Felchen im Bodensee. Der jährliche wissenschaftliche Report der Internationalen Kommission zum Schutz des Genfersees (CIPEL) setzt sich hauptsächlich mit Mikroverunreinigungen und Mikroplastik sowie invasiven Arten wie der auch in den Kantonen thematisierten Quagga-Muschel auseinander.
Auf der Ebene der Europäischen Union (EU) beschliesst die Europäische Kommission, die Zulassung für das Instektizid Thiacloprid per Ende April 2020 zu beenden. In der Schweiz sind Produkte mit diesem Wirkstoff vorläufig noch zugelassen – sie sollen erst mit der weiteren Umsetzung des Aktionsplans Pflanzenschutzmittel wegfallen. Auch erlässt der EU-Umweltausschuss neue Vorschriften zur Förderung der Wasserwiederverwendung in der Landwirtschaft – vor allem soll gereinigtes Abwasser zur Bewässerung eingesetzt werden können. Nach einem «Fitnesscheck» in den Jahren zuvor beschliesst die EU-Kommission 2020, dass die EU-Wasserrahmenrichtlinie nicht geändert wird. Die Kommission betont jedoch, dass gewichtige Probleme wie beispielsweise bei Verbauungen und Wasserkraft oder bei fehlenden finanziellen Anreizen zur Umsetzung schnell angegangen werden müssen. Die überarbeitete Trinkwasser-Rahmenrichtlinie der EU wurde Ende 2020 vom EU-Parlament angenommen. Sie enthält unter anderem höhere Qualitätsstandards für Trinkwasser, gemeinsame Analyseansätze für Mikroplastik oder Massnahmen zur Förderung von Hahnenwasser und damit zur Reduktion der Benutzung von Plastikflaschen im Trinkwasserbereich.
Die künftige Agrarpolitik wurde zwar vom Parlament sistiert, aber das Ringen um eine möglichst umwelt- und gewässerfreundliche Produktion wird fortgesetzt. Im Blickpunkt steht neben den Pflanzenschutzmitteln und den Nährstoffen verstärkt das Netz an Subventionen, die heute teilweise Zielkonflikte verschärfen. Zu diesen gehört etwa der (bessere) Schutz von Zuströmbereichen gegenüber dem Wunsch, keine produktiven landwirtschaftlichen Flächen zu extensivieren oder aufzugeben. Eine im August publizierte Studie der Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) zu biodiversitätsschädigenden Subventionen findet national grosses Medieninteresse und löst auch politische Vorstösse aus.
Die neue Verteilung von Zuständigkeiten und neue Abläufe in der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln6 müssen sich in der Praxis bewähren. Die Politik wird weiter beobachten, ob die gesetzten Risikoreduktionsziele erreicht werden.
Am 13. Juni 2021 kommen zwei wasserrelevante Volksinitiativen zur Abstimmung: «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung – Keine Subventionen für den Pestizid- und den prophylaktischen Antibiotika-Einsatz» und «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide».
Das Bundesverwaltungsgericht muss entscheiden, ob der Entscheid des Bundesamtes fĂĽr Landwirtschaft (BLV) korrekt ist, mit dem Verbot von Chlorothalonil auch alle seine Metaboliten als relevant zu bezeichnen. Der Entscheid zur Klage des Herstellers Syngenta7 dĂĽrfte wegweisend sein fĂĽr den weiteren Umgang mit Abbauprodukten von problematischen Substanzen.
Gewässerraumausscheidung und Revitalisierungen sind seit der Revision des Gewässerschutzgesetzes 2011 Dauerthemen auf dem politischen Parkett. Kantonale Regelungen (etwa Ausnahmen für kleinere und mittlere Gewässer im Kanton Schwyz), die den Spielraum des Bundesrechts strapazieren, werden die Gerichte beschäftigen. Auf nationaler Ebene fordern die Landwirtschaft und die Bergkantone erneut Sonderregeln.
Die Praxis mit der neuen Definition des Referenzzustandes, bzw. der Bemessung von Aufwertungs- und Ersatzmassnahmen bei Neukonzessionen, ist noch nicht etabliert. Hier kommt es allenfalls auch zu Gerichtsfällen. Dasselbe gilt mit der neuen Situation bezüglich Ablösung ehehafter Rechte bei Wasserkraftanlagen. Wasser-Agenda 21 hat dazu einen webbasierten Katalog mit häufig gestellten Fragen (FAQ) zusammengestellt.
1 Die Pa.Iv. Jans wird im Februar 2021 abgelehnt. Elemente davon werden in die Pa.Iv. 19.475 eingebaut. Nach einer Einigungskonferenz stimmen schliesslich am 18.3.2021 National- und Ständerat der veränderten Pa.Iv. 19.475 zu. Das Ausscheiden von Zuströmbereichen ist darin wieder gestrichen – dazu soll erst eine Vernehmlassung durchgeführt werden. Die Offenlegungspflicht von Nähstofflieferungen ist auf Dünger und Kraftfutter beschränkt.
2 Am 16. März 2021 folgt der Nationalrat diesem Entscheid des Ständerats. Damit wird das Volk am
13. Juni 2021 ĂĽber die Trinkwasser- und die Pestizidverbots-Initiative abstimmen, ohne zu wissen, ob und wie verbindlich die Anliegen dieser zwei Begehren in der kĂĽnftigen Agrarpolitik des Bundes verankert werden.
3 Am 17.2.2021 präsentiert der BR seine Massnahmen zur Optimierung des Zulassungsverfahrens mit neu verteilten Zuständigkeiten zwischen BLV, BAFU und BLW.
4 Die Vernehmlassung ist am 18.2.2021 abgeschlossen worden.
5 Am 18.2.2021 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht, dass diese Weisung ĂĽberarbeitet werden muss.
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Die Autoren bedanken sich bei Jeanine Janz und Reto Schmid. Jeanine Janz hat zu wasserpolitischen Ereignissen in den Kantonen recherchiert, Reto Schmid von der Vereinigung fĂĽr Umweltrecht hat RĂĽckmeldungen gegeben zu den Bundesgerichtsentscheiden.
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