Als in den 1960er-Jahren in der Schweizer Landwirtschaft immer mehr Pflanzenschutzmittel eingesetzt wurden, dachte niemand daran, in Bächen, Flüssen, Seen und im Grundwasser nach entsprechenden Rückständen zu suchen. Inzwischen jedoch ist klar, welche Probleme diese Produkte in der Umwelt verursachen: So können sie bereits in kleinsten Konzentrationen Wasserlebewesen schädigen. Daten darüber, wie sich ihre Konzentrationen im Lauf der Zeit verändert haben, sind von grossem Interesse. Dabei stellen Ablagerungen am Boden von Seen ein ausgezeichnetes Umweltarchiv dar. Dank einer neuartigen Analyse von Seesedimenten, die an der Universität Bern entwickelt wurde, lassen sich nun Wissenslücken über die Verbreitung von Pestiziden schliessen.
Die Berner Umweltwissenschaftlerin Aurea Chiaia-Hernández und ihr Team nutzten für ihre Untersuchung Sedimentproben aus dem Moossee. Der kleine See in der Nähe von Bern ist typisch für viele Seen in der Schweiz, die durch die Landwirtschaft stark beeinträchtigt werden. Obwohl unter Naturschutz, werden ihre Ökosysteme durch eine Vielzahl von Pestiziden belastet, die durch Zuflüsse oder direkt ab den Äckern eingeschwemmt werden. In einer soeben in der Fachzeitschrift «Environmental Science & Technology» veröffentlichten Studie weisen Chiaia-Hernández und ihr Team die Belastung durch Pflanzenschutzmittel in den Seesedimenten nach – und zeigen auf, welche ökotoxikologischen Risiken durch diese Stoffe im Lebensraum am Boden von Seen entstehen. Die Forscherin am Geographischen Institut und Oeschger-Zentrum für Klimaforschung der Universität Bern setzte dabei modernste Analysemethoden ein.
Die Forschenden kamen bei der Untersuchung eines 60 Zentimeter langen Sedimentkerns zu folgenden Ergebnissen: Insgesamt konnten 34 verschiedene Pflanzenschutzmittel nachgewiesen werden. Seit den 1960er-Jahren nahm sowohl die Anzahl der Pflanzenschutzmittel wie ihre Konzentration massiv zu. Bei den meisten eingesetzten Mitteln wurden die höchsten Werte in den Sedimentschichten ab Ende der 1990er-Jahre bis etwa 2010 gemessen, bei einem Viertel von ihnen stieg die Konzentration allerdings auch danach weiter an. Das gilt vor allem für Fungizide. Seit 2002 wurde der Einsatz einzelner Produkte verboten – was sich schon wenige Jahre später an ihrer abnehmenden Konzentration in den entsprechenden Schichten nachvollziehen lässt. Doch nach wie vor lassen sich Produkte nachweisen, beispielsweise Herbizide, die seit 10 oder gar 20 Jahren nicht mehr eingesetzt werden dürfen. «Wir finden diese Stoffe auch in den jüngsten Sedimentschichten – das zeigt, wie schwer abbaubar Pflanzenschutzmittel in Gewässern sind, und wie lange sie in der Umwelt verbleiben», erklärt Aurea Chiaia-Hernández.
Die Rückstände wirken sich unter anderem negativ auf das Leben am Boden der Seen aus. Sedimente sind ein wichtiger Bestandteil von Gewässern, sie dienen vielen Wasserorganismen als Lebensraum und Laichplatz und erfüllen essenzielle Funktionen im Nährstoffkreislauf. Doch wie die Untersuchung zum Moossee zeigt, steht es um die Qualität dieses Lebensraums schlecht. «Unsere Studie belegt, dass die Qualität der Sedimente als Lebensraum seit den 1980er Jahren permanent ungenügend ist», sagt Aurea Chiaia-Hernández. Die grössten ökotoxikologischen Risiken gehen von Herbiziden und zunehmend von Insektiziden wie zum Beispiel Chlorpyrifos aus. Dieses Produkt wurde in der Schweiz im Juli 2020 verboten.
Bis anhin war über die Belastung der Seesedimente durch Pflanzenschutzmittel sehr wenig bekannt – vor allem, weil es an Analysemethoden fehlte. Die Berner Studie kommt nun zum Schluss, dass das ökologische Risiko, das Pflanzenschutzmittel am Boden dieses Kleinsees darstellen, noch nie so hoch war wie heute. Die höchsten Werte wurden für die jüngsten Schichten der Seesedimente ermittelt.
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