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Fachartikel
05. Juni 2020

Webinar zu «Chlorothalonil-Metaboliten im Trinkwasser»

«Es braucht eine Vorsorge mit Weitblick»

Ende Mai führte der SVGW ein Webinar zum Thema «Chlorothalonil-Metaboliten im Trinkwasser» durch. Drei Experten von Bund, Kanton und Wasserversorger informierten über den aktuellen Stand der Arbeiten und beantworteten Fragen. Der ursprünglich geplante Fachaustausch wird am 2. Dezember 2020 durchgeführt.
  

Gross war in diesem Frühjahr das Bedürfnis der Trinkwasserbranche nach einem Fachaustausch zum Thema «Chlorothalonil-Metaboliten im Trinkwasser». Doch die Corona-Pandemie zwang den SVGW zu einer Programmanpassung: So fand Ende Mai erst einmal ein Webinar zur Klärung der dringlichsten Fragen statt, der eigentliche Fachaustausch mit umfassenden Inputs und Raum für Diskussion soll Anfang Dezember durchgeführt werden. Zudem Zeitpunkt wird dann auch die angepasste Weisung zu Chlorothalonil des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) vorliegen.

Nach einer Einführung von Paul Sicher, Leiter Kommunikation & Verlag beim SVGW, der das Webinar  moderierte, standen ausführliche Referate dreier Fachleute der Wasserbranche sowie ein Fragen- und Meinungsaustausch auf dem Programm. Paul Sicher rekapitulierte noch einmal die wesentlichsten Punkte in der Geschichte der Chlorothalonil-Metaboliten in der Schweiz: Mitte Juli 2019 habe die «Tagesschau» von SRF Radio und Fernsehen erstmals über die Trinkwasserbelastung durch ein Abbauprodukt des Fungizid-Wirkstoffs Chlorothalonil berichtet. Hintergrund war, dass einzelne Metaboliten als «relevant» eingestuft und der Höchstwert von 0,1 Mikrogramm im Trinkwasser überschritten wurde, weshalb auch einige Grundwasserbrunnen geschlossen werden mussten. «Bereits damals», so ergänzt Paul Sicher, «gab es Anzeichen, dass wir es mit einer relativ weiträumigen Belastung des Grundwassers durch ein Abbauprodukt eines Pestizids zu tun hatten.» Dieser Tagesschau-Beitrag sei daraufhin «der Beginn einer Kaskade an turbulenten Ereignissen in den Medien» gewesen, welche die gesamte Branche gefordert hat. Immerhin hat der SVGW für die Wasserversorger schnell ein Argumentarium zur Thematik zur Verfügung gestellt und laufend aktualisiert.

Auf der Suche nach Lösungen

Im August vergangenen Jahres hat das BLV eine erste Weisung herausgegeben, wie die Wasserversorger mit der Belastung umzugehen hätten: Innert eines Monats seien Sofortmassnahmen umzusetzen. Sei dies nicht möglich, habe man zwei Jahre Zeit, das Problem zu lösen. Mitte September 2019 publizierte der Verband der Kantonschemiker (VKCS) dann eine Studie zur Trinkwasserqualität. «Kernaussage war», so der Leiter Kommunikation & Verlag des SVGW, «dass in der Schweiz rund 170’000 Konsumentinnen und Konsumenten ein Hahnenwasser trinken, das nicht den rechtlichen Anforderungen genügt.»

Wasserversorger und Behörden suchten daraufhin nach Lösungen: Zahlreiche Grundwasserbrunnen wurden vom Netz genommen. Es wurde, wo immer möglich verdünnt und Seewasser dazu gemischt. Zudem versuchte man die Bevölkerung möglichst transparent zu informieren. Mitte Dezember 2019 wurde dann das geforderte generelle Verbot des Fungizid-Wirkstoffs per 1. Januar 2020 erlassen. Zum gleichen Zeitpunkt habe man auch alle Abbauprodukte als relevant eingestuft. «Nun reichten einfache Massnahmen wie Verdünnen nicht mehr aus», erklärte Sicher: «Die Belastung unserer Ressource im Mittelland war grossflächig und noch viel mehr Menschen davon betroffen als ursprünglich gedacht. Die Verunsicherung in der Bevölkerung war und ist dabei gross – dies spüren wir auch heute noch im täglichen Kontakt mit den Wasserversorgern.»

Langfristig den Höchstwert einhalten

In seinem Referat ging Mark Stauber, Leiter Fachbereich Lebensmittelhygiene beim BLV, auf den aktuellen «Stand der Dinge» bei den Chlororothalonil-Metaboliten ein. Er erläuterte nochmals die Begrifflichkeiten in Bezug auf die Abbauprodukte und ihren aktuellen Status: «Relevant», so der Experte, «bedeutet bei den Metaboliten nicht zwingend, dass sie toxisch sind.» Eine gewisse Gesundheitsgefährdung könne für bestimmte Abbauprodukte aber nicht ausgeschlossen werden: «Chlorothalonil-Metaboliten sind wahrscheinlich krebserregend», erklärte Mark Stauber: «Deshalb muss langfristig gesehen, der Höchstwert von 0,1 Mikrogramm für alle Metaboliten von Chlorothalonil im Trinkwasser eingehalten werden.» Das BLV will deshalb die Situation in den Kantonen, aber auch mögliche oder schon getroffene Massnahmen analysieren. «Ziel», so der Leiter des Fachbereichs Lebensmittelhygiene, «ist die Weisung so anzupassen, dass ein verhältnismässiger Vollzug möglich ist.»

Die Wasserversorger sollten soweit möglich kurzfristige Massnahmen wie das Mischen von Wasser, Schliessen von Fassungen oder der Fremdbezug des kostbaren Nass bei anderen Versorgungen umsetzen. Und als langfristige Lösungen könne man eine zweite, unabhängige Bezugsquelle erschliessen oder als letzte Option auch neue Filtermethoden einsetzen. «Um für die Zukunft vorbereitet zu sein, sind aber vor allem nachhaltige Lösungen gefragt,» erklärte Mark Stauber, «denn auf unsere Trinkwasserversorgungen warten künftig noch vermehrt Herausforderungen dieser Art – die nächste Trockenperiode kommt bestimmt.» Gemäss Aussage von Mark Stauber wird das BLV im September 2020 darüber informieren, ob und wie die Weisung angepasst wird.

Eine gewisse Sicherheit ist von Nöten

Kurt Seiler, Mitglied des Verbandes der Kantonschemiker der Schweiz (VKCS) und in Schaffhausen als Leiter des Interkantonalen Labors tätig, ging daraufhin auf die «Wundertüte für den Vollzug» im Umgang mit den Chlorothalonil-Metaboliten ein: Eine Wundertüte dürfe überraschen, meinte der Kantonschemiker, doch der Vollzug von Massnahmen sollte für alle Beteiligten eine gewisse Transparenz schaffen und Sicherheit geben: «Wundertüten im Vollzug», so Kurt Seiler, «sind da eher ineffizient, belastend und für das Trinkwasser imageschädigend.»

Beim Wirkstoff Chlorothalonil müsse man insgesamt mehr als zwanzig Abbauprodukte im Auge  behalten, was eine «höchst komplexe Sache» sei. Entsprechend viele Vorschriften, Regulierungen und Massnahmen gilt es zu beachten, vor allem wenn die Situation zeitweise eskaliere: «Im Frühling dieses Jahres stellten wir fest, dass nicht nur 170’000 Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz von überschrittenen Höchstwerten betroffen sind, sondern rund eine Million.»

Es gäbe nun aber «keine schnelle Besserung der Situation», zeigte sich der Experte überzeugt. «Die Prozesse im Grundwasser sind oft langsam. Dies hat schon das Beispiel des Herbizidwirkstoffs Atrazin gezeigt. Es braucht deshalb Vorsorge mit einem gewissen Weitblick.» Pflanzenschutzmitteleinträge in die Umwelt seien systematisch zu reduzieren. Zudem müsse in Zukunft ein besserer Schutz des Rohstoffs Grundwasser mit dem Ausscheiden von Zuströmbereichen zwingend gewährleistet sein und – last but not least – müssten die Zulassungen von Pestiziden in der Schweiz der aktuellen Situation angepasst werden.

Analyse der Risiken und transparente Kommunikation

Auf die «Bedeutung der Selbstkontrolle für die Wasserversorger» im Umgang mit Chlorothalonil und seinen Metaboliten ging am Webinar schliesslich Andreas Peter, Leiter Qualitätsüberwachung bei der Wasserversorgung Zürich, ein: «Selbstkontrolle», so erklärte der Experte, «heisst das Heft selbst in die Hand zu nehmen.» Doch Selbstkontrolle sei weit mehr als bloss das Messen von Nitrat- oder anderen Einträgen wie zum Beispiel von Darmbakterien. Die Evolution im Labor mit der Entwicklung immer besserer Analyseparameter, Messverfahren und Bewertungsgrundlagen laufe in der heutigen Zeit auf Hochtouren. Dies zeige sich auch jeden Tag in der Qualitätsüberwachung des Trinkwassers bei grossen Wasserversorgungen wie der WV Zürich. So könnten aktuell im Qualitätsüberwachungslabor der WVZ rund 1400 Parameter analysiert werden, darunter zahlreiche Spurenstoffe und limnologische Parameter (Phyto- und Zooplankton). Zusätzlich seien 450 Sensoren verteilt über die Wasserwerke, Reservoirs und das Netz im Einsatz, mit denen die verschiedenen Prozesse durch Online-Messungen von Parametern wie Leitfähigkeit, Temperatur überwacht würden.

Als Ausgangspunkt einer fachmännischen Qualitätsüberwachung des Trinkwassers stehe dabei die Risiko- und Gefahrenanalyse: «Selbstkontrolle», so Andreas Peter, «bedeutet in diesem Sinne ein massgeschneidertes Untersuchungsprogramm mit der Kontrolle von Prozessen und Produkten. Der Wasserversorger muss sein System, seine Ressource gut kennen.»

Der SVGW bietet hierfür mit der Richtlinie W12 oder dem IT-Tool «AquaPilot» auch das entsprechende Regelwerk an. «Zapfen sie deshalb das Branchen-Knowhow an», riet Andreas Peter den rund 180 Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Webinars, «denn Selbstkontrolle bedeutet auch transparent zu kommunizieren und sich umfassend zu informieren. Zum Glück haben wir hierfür in der Schweiz ein gutes Netzwerk an Fachleuten aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Das hilft dabei die anstehenden Probleme rasch und effizient anzupacken!»

Weitere Informationen

Das Webinar wurde vom SVGW aufgezeichnet und auch die Präsentation der Fachleute sowie die sich daran anschliessende Frage- und Antwortrunde sind online verfügbar. Die Präsentationen und Antworten auf Fragen werden auf Deutsch und bald einmal auch auf Französisch zur Verfügung gestellt.

Die Fragen wurden beantwortet von:
  • Mark Stauber, BLV: für Fragen 1-12
  • Dr. Kurt Seiler, Kt. SH: für Fragen 13-18
  • Dr. Andreas Peter, Wasserversorgung Zürich: für Fragen 19-22
  • SVGW: für Fragen 23-28
eingegangene Fragen und Antworten

  1. Sie erklärten, dass die Metaboliten kurzfristig für die Gesundheit kein Problem darstellen würden, jedoch langfristig müssen die Werte eingehalten werden. Wir trinken das belastete Wasser schon seit über 40 Jahren, wahrscheinlich noch weitere 20 Jahre, bis die Stoffe allmählich ausgewaschen sind. Was verstehen Sie nun unter «langfristig»? Reicht es, das Problem «auszusitzen» oder was müssen wir als Branche tun, damit ein 2. Chlorothalonil Fall verhindert werden kann?

    Der rechtskonforme Zustand muss wiederhergestellt werden. Die Metaboliten im Trinkwasser stellen ein Qualitätsproblem dar, das gelöst werden muss. Da mittelbar keine gesundheitlichen Schäden zu erwarten sind und meistens keine kurzfristigen Massnahmen wie Mischen greifen, können längerfristige Lösungen berücksichtigt werden.

  2. Wer ist «Verursacher» in diesem Fall? Wer hat demnach die Kosten zu tragen gemäss Bund?

    Zu dieser Fragen laufen derzeit diverse politische Geschäfte. Eine abschliessende Aussage ist daher noch nicht möglich

    2 a) Alle Massnahmen auf der Wirkungsebene verursachen beträchtliche Kosten, welche die Versorger, bzw. deren Kunden (Gebühren) zu tragen haben. Wie wird sichergestellt, dass die Verursacher ("Zustandsstörer") zur Kasse gebeten werden? Wer ist aus Sicht des Bundes der «Verursacher» und sollte die Kosten tragen?

    Siehe Antwort oben. Siehe auch entsprechende parlamentarische Vorstösse.

  3. Ist auf Seite EU die Bewertung der Muttersubstanz bzw. der Metaboliten abgeschlossen oder reichen die Firmen derzeit zusätzliche Daten ein? Falls letzteres der Fall ist, ist mit einer Änderung der Relevanzeinstufung zu rechnen?

    Es werden keine neuen Daten produziert. Im Rahmen des laufenden Beschwerdeverfahrens in der Schweiz kann es jedoch zu Interpretations- und Entscheidungsänderungen kommen, welche das aktuelle Resultat der Relevanzprüfung beeinflussen könnten. Bis zum Abschluss des laufenden Verfahrens gelten die vom BLW publizierte Relevanzeinstufung und die Weisung des BLV.

  4. Die KPMG hat im Auftrag des Bundes kürzlich die Zulassung von Pestiziden in der Schweiz analysiert - aus Sicht BLV: Welche konkreten Massnahmen müssen im Rahmen der Zulassung, an der Schnittstelle zum Vollzug und im Vollzug selber ergriffen werden, damit solche Probleme künftig vermieden werden können?

    Der Austausch / Informationsfluss zwischen Bund und Kantonen ist bereits im heutigen PSM Zulassungsverfahren durch existierende und neu über den Aktionsplan PSM aufgebaute Gefässe umfassend gewährleistet. Diese Infrastruktur gilt es besser zu nutzen, um frühzeitig Probleme zu erkennen und das Vorgehen zu diskutieren.

  5. Chlorothalonil-Metaboliten sind bei Weitem nicht die einzigen Fremdstoffe im Grund- und Trinkwasser. Haben wir in der Schweiz eine Ahnung, um welche Stoffe es sich handelt und in welchen Konzentrationen sie vorkommen? Was wissen wir über deren kumulative oder synergistische Interaktionen? Gibt es einen «kumulativen» Grenzwert? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, wie wird sichergestellt, dass er eingehalten wird? Zahlreiche, unerwünschte Stoffe sind bereits heute geregelt. Es handelt sich dabei nicht nur um Rückstände von Pflanzenschutzmitteln, sondern auch um natürliche Stoffe wie Arsen oder Uran.

    Derzeit läuft die Überprüfung von früher zugelassenen Pestiziden. Da die Arbeiten zeitintensiv und aufwändig sind, könne noch keine abschliessenden Aussagen zu konkreten Stoffen gemacht werden. Es ist aber zu erwarten, dass noch andere Wirkstoffe oder Metaboliten als problematisch definiert werden. Neue relevante Metaboliten werden publiziert unter dieser Website.

    Das heutige Zulassungsverfahren ist wesentlich strikter als das frühere und sollte verhindern können, dass Problemen wie beim Chlorothalonil nochmals auftreten. Nach aktuellem Kenntnisstand geht man von keiner Gesundheitsgefährdung durch Mehrfachrückstände in so tiefen Konzentrationen aus.

  6. Wissen Sie von toxikologischen Studien zu den beiden Metaboliten R417888 und R417811 an Tieren (wenn möglich Säugetieren und orale Gabe), welche gegebenenfalls den tiefen Grenzwert von 0.1ug/l toxikologisch rechtfertigen? Falls nein, sind solche Studien in der Schweiz oder im Ausland in Planung?

    Die Muttersubstanz Chlorothalonil wurde im BLV Gutachten vom 3. Dezember 2019 sowie von der EFSA als «wahrscheinlich krebserregend» bewertet. Gemäss Leitfaden der EU gelten somit alle Metaboliten automatisch als relevant. Weitere Studien zu den Metaboliten sind daher nicht geplant.

    6a) In der Relevanzprüfung vom 3. Dezember 2019 kam das BLV auf Grund toxikologischer Untersuchungen zum Schluss, dass die Metaboliten R471888 und R417811 nicht relevant sind. Wird dies die Anpassung der BLV Weisung berücksichtigt werden?

    Siehe Antwort oben

  7. Inwiefern werden die Verhältnismässigkeit und Nachhaltigkeit von Massnahmen in die Überlegungen und Weisungen des BLV berücksichtigt? Oder ist eine strikte Einhaltung des Höchstwertes um jeden Preis zu erwarten?

    Siehe Frage 1: Da mittelbar keine gesundheitlichen Schäden zu erwarten sind und meistens keine kurzfristigen Massnahmen wie Mischen greifen, können längerfristige nachhaltige Massnahmen getroffen werden. Damit wird dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz Rechnung getragen. 

  8. Gibt es Bestrebungen einer Höchstwert Anpassung an EU Normen?

    Das BLV folgt in seiner Relevanzprüfung dem EU- Leitfaden. Es gelten die gleichen Höchstwerte für die relevanten Metaboliten wie in der EU. Die Beurteilung der Relevanz sind die Länder verantwortlich. Diesbezüglich gibt es keine harmonisierten Vorgaben in der EU.

  9. Gilt der Grenzwert von 0.1 Mikrogramm/Liter immer nur einzeln für alle Metaboliten oder gibt es auch einen Grenzwert für die Summe aller Metaboliten? Wie geht das BLV mit PSM-Cocktails um? Was weiss man diesbezüglich in Bezug auf die Gesundheitsgefährdung? Welche Vorsorgemassnahmen trifft das BLV, um Cocktaileffekte zu vermindern?

    Nach aktuellem Kenntnisstand geht man von keiner Gesundheitsgefährdung durch Mehrfachrückstände in so tiefen Konzentrationen aus. Für relevante Metaboliten und Pflanzenschutzmittelwirkstoffe gilt ein Summenhöchstwert von 0.5 Mikrogramm/Liter.

  10. Wie haben die Behörden mit der aktuell gültigen Weisung des BLV (mit Umsetzungsfrist von 2 Jahren) umzugehen, im Wissen, dass im Herbst 2020 eine neue Weisung mit einem «verhältnismässigeren Vollzug» publiziert wird?

    Es kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, dass die Weisung angepasst wird. Dies hängt von der Auswertung der Umfrage zur aktuellen Rückstands-situation in den Kantonen ab. Daher gilt die vom BLV publizierte Weisung. Massnahmen sollen bereits heute geplant und gegebenenfalls umgesetzt werden.

    10 a) Haben die kantonalen Laboratorien immer noch zu verfügen, dass das Trinkwasser spätestens in zwei Jahren ab der Beanstandung die rechtlichen Anforderungen erfüllen muss?

    Siehe Antwort oben

  11. Aus meiner Sicht besteht ein gesetzlicher Konstruktionsfehler, indem dem Wert von 0.1 Mikrogramm/Liter eigentlich die Bedeutung eines Vorsorgewerts (früher des Toleranzwertes) zukommt, tatsächlich aber gleichzeitig als verbindliche qualitative Anforderungen für die Wasserversorgung gilt. Dies passt nicht zusammen und erschwert den Vollzug resp. die Beurteilung der Notwendigkeit von Massnahmen. Folgerichtig wäre ein abgestuftes System von Vorsorgewert und Höchstwert. Gibt es Bestrebungen diesbezüglich?

    Nein, wir folgen bei der Regulierung von Wirkstoffen und relevanten Metaboliten im Trinkwasser den lebensmittelrechtlichen Qualitäts-anforderungen der EU.

    Der Wert von 0.1 Mikrogramm/Liter wurde als Höchstwert festgelegt, da die meisten analytischen Methoden diese Konzentrationen in diesem Bereich noch bestimmen können und jegliche Verunreinigung im Trinkwasser vermieden werden soll.

  12. Stellt man die geforderten Lösungen für die Wasserversorger ins Verhältnis zu anderen Lebensmittel? Bsp. Erdbeeren oder Stangensellerie? Teilweise liegen die Höchstwerte hier um mehrere Tausendmale höher. Wie sind diese Unterschiede einzuordnen?

    Pflanzenschutzmittel werden in Kulturen absichtlich eingesetzt und Rückstände auf Äpfel, Birnen etc sind daher zu erwarten. Rückstände im Trinkwasser sind Verunreinigungen, welche vermieden werden müssen. Zudem besteht beim Trinkwasser keine Wahlmöglichkeit für die Haushalte und es handelt sich um ein sensibles Lebensmittel mit hohem Vertrauensbonus – die Konsumenten fordern möglichst naturnahes Lebensmittel Trinkwasser. Von daher sind unterschiedliche Grenzwerte gerechtfertigt.

  13. Welchen Schwankungen sind die Messwerte der Chlorothalonil-Metaboliten unterworfen - wie geht der Vollzug damit um, wenn einmal ein leicht erhöhter Chlorothalonil-Wert gemessen wurde, sagen wir 0.12 Mikrogramm/Liter, in nachfolgenden Proben nicht mehr. Und wie wird die Messgenauigkeit von 30% berücksichtigt? Und wie häufig muss denn eine Wasserversorgung das Grund/Trinkwasser auf Chlorothalonil-Metaboliten untersuchen. Reicht einmal im Jahr, einmal im Monat?

    Grundsätzlich sollte der Wasserversorger im Rahmen der geforderten Selbstkontrolle analysieren, wo und wie häufig Probenahmen nötig sind. Jeder Grundwasserkörper verhält sich anders – die Wasserversorgung muss ihre Wasserressourcen kennen, um einen geeigneten Probenahmeplan zu erstellen. Eine generelle Aussage zur sinnvollen Anzahl Proben ist daher nicht möglich.

    Eine Wasserversorgung muss sicher sein, dass der wahre Wert mit hoher Wahrscheinlichkeit unter dem Höchstwert liegt. Für die Beurteilung addiert sie also die Messunsicherheit normalerweise zum gemessenen Wert. Eine Vollzugsstelle beanstandet nur, wenn sie davon ausgeht, dass der wahre Wert mit hoher Wahrscheinlichkeit über dem Höchstwert liegt. Die Messunsicherheit wird also vom gemessenen Wert vor der Beurteilung subtrahiert. 

  14. Verhältnismässiger Vollzug – was könnte dies umfassen aus Sicht der Kantonschemiker angesichts der Daten, die derzeit vorliegen?

    Der Einsatz von Chlorothalonil ist seit dem 1.1.2020 verboten und so werden die Belastung zurückgehen. Alle Massnahmen, die ohne bauliche Massnahmen und damit ohne grosse Investitionen realisierbar sind und zu einer Verbesserung der Situation führen, sind wohl in den meisten Fällen verhältnismässig (Mischen, Ausweichen auf unbelastetes Standbein etc.). Bauliche Massnahmen können sinnvoll sein, wenn sie einen zusätzlichen Nutzen stiften (z.B. höhere, zukünftige Versorgungssicherheit). Auch das Ausscheiden von Zuströmbereichen ist eine Investition in die Zukunft und im Sinne der Vorsorge begrüssenswert. Wichtig ist aber eine Einbettung in ein Gesamtkonzept (Wasserversorgungsplanung).

  15. Ist es ein verheissungsvoller Ansatz, an vielen Orten Aufbereitungsanlagen zu installieren oder unterminieren wir nicht damit den vorsorglichen Schutz?

    Der vorsorgliche Schutz der Trinkwasserressourcen muss in jedem Fall Vorrang haben. Gemäss dem heutigen Kenntnisstand sind Aufbereitungen, mit dem ausschliesslichen Ziel, Abbauprodukte von Chlorothalonil zu entfernen, nicht sinnvoll (zu kosten- und energieintensiv, zu umweltbelastend).

  16. Die KPMG hat im Auftrag des Bundes kürzlich die Zulassung von Pestiziden in der Schweiz analysiert - aus Sicht eines Kantonschemikers: Welche konkreten Massnahmen müssen im Rahmen der Zulassung, an der Schnittstelle zum Vollzug und im Vollzug selber ergriffen werden, damit solche Probleme künftig vermieden werden können?

    Die Kantone haben ihre Anliegen an die Zulassungsstelle im Rahmen von diversen Stellungnahmen formuliert. Sie sind auch in den KPMG - Bericht eingeflossen. Die von der KPMG vorgeschlagenen Massnahmen sind sinnvoll und ihre Umsetzung würde die Arbeit im Vollzug erleichtern.

  17. Die Problematik rund um Chlorothalonil-Metaboliten und anderen Fremdstoffen im Grund- und Trinkwasser zeigt auf, dass nur die Vermeidung von problematischen Substanzen im Zuströmbereich zielführend ist, so, wie dies der Bundesrat in seinen beiden Eventualanträgen zu den Mo Moser 19.4314 bzw. Fluri 20.3052 festhält. Wie beurteilen Sie dies aus Sicht eines Kantonschemikers?

    Ein generelles Verbot von problematischen Stoffen ist aus Sicht des Gewässer- und Trinkwasserschutzes stets am zielführendsten und einfachsten. Die Landwirtschaft dürfte aber noch lange auf PSM angewiesen sein. Zuströmbereiche lassen differenzierte Regelungen zu. Gewisse Wirkstoffe müssten nicht generell, sondern nur in den Zuströmbereichen verboten werden. Die Eventualvorschläge des Bundesrates sind begrüssenswert und sehr pragmatisch. 

  18. Ist mit dem Schliessen von GW-Brunnen nicht eine Verschärfung der Trinkwasserversorgung während Trockenperioden zu erwarten!? Wäre eine Überschreitung des Höchstwertes für ein zweites Standbein tolerierbar?

    Das "Schliessen" von Brunnen kann in der Tat zu Engpässen in der Versorgung führen. Es ist gut zu überlegen, ob eine Schliessung wirklich nötig ist und ob die festgestellte Verunreinigung eine Schliessung überhaupt rechtfertigt. Denkbar ist allenfalls auch ein temporärer Unterbruch der Nutzung bis die Qualität wieder einwandfrei ist.

  19. Gibt es Unterstützungsangebote für die Entscheidfindung und Planung von Massnahmen zur Lösung der Chlorothalonil-Problems?

    Nachhaltige Lösungen werden am besten im Rahmen der Generellen Wasserversorgungsplanung entwickelt. Die meisten Kantone haben zudem überregionale Planungen erstellt, an denen sich die GWP orientieren sollten. Die Kantone sind an guten, überregionalen Lösungsfindungen interessiert und helfen zweifelsohne bei der Lösungsfindung.

  20. Von den WV wird mehr Transparenz gefordert – die Konsumenten wollen sauberes, ja reines Trinkwasser. Wie sollen die WV über Qualitätsaspekte in Zukunft kommunizieren, gerade wenn unser Trinkwasser belastet ist – wie schaffen wir als Wasserversorger und Branche Transparenz und Vertrauen zu schaffen? Wie kann da allenfalls auch der SVGW unterstützen?

    Wichtig: Nichts verheimlichen. Regelmässige Information aus erster Hand schafft Vertrauen. Der SVGW hat gute Vorlagen dazu (FAQ).

    In der Kommunikation an die Konsumenten dürfen und sollen aber auch positive Nachrichten übermittelt werden. Die Wasserversorger darf zeigen, was sie alles unternimmt, damit die Qualität am Wasserhahn stimmt. Dies kann z.B. mit einem Tag des Wassers und Werkführungen kombiniert werden.

  21. Inwiefern können die beschriebenen Herausforderungen durch eine rigorose Selbstkontrolle in den Griff bekommen werden bzw. inwiefern braucht es seitens der Wasserversorger andere Massnahmen, um in diesem (aktuell) höchst politischen Umfeld eine nachhaltige Versorgung mit natürlichem Trinkwasser anbieten zu können?

    Wir müssen aufpassen, dass wir aus dem Lebensmittelrecht abgeleitete Aufgaben der Wasserversorger nicht mit Aspekten des Gewässerschutzes vermischen. Die Selbstkontrolle ist die zentrale Überwachungsaufgabe der Wasserversorger. Die Selbstkontrolle soll die Konformität des Lebensmittels Trinkwasser bestätigen oder aber Probleme mit der Trinkwasserqualität sichtbar machen. Gelöst werden können diese Probleme aber nicht durch noch mehr Kontrollen, sondern nur durch Massnahmen beim Verursacher (vorsorglicher Gewässerschutz). Dazu brauchen die Wasserversorger behördliche Unterstützung.

  22. Was können wir als Branche besser machen in der Thematik «Fremdstoffe im Trinkwasser»?

    Wir sollten uns von der stellenweise noch vorhandenen Vor-stellung der Wasserversorgung als Inselbetrieb lösen und uns in Richtung eines professionellen Netzwerks weiterentwickeln. Dabei denke ich nicht in erster Linie an physische Zusammen-schlüsse, sondern an den Knowhow-Transfer untereinander. Es muss uns als Branche noch besser gelingen, die vielen kleinen Versorger abzuholen und fit zu machen für die Zukunft.

    Daneben sollten wir in der Branche eine klare Vorstellung entwickeln, wie wir unsere Interessen auf Behörden- und Politebene einbringen wollen. Da gehen die Meinungen derzeit noch zu weit auseinander.

  23. Im Vergleich zu vielen Wasserversorgungen hat die Wasser-versorgung Zürich (WVZ) enorme Kapazitäten und Ressourcen, um die Selbstkontrolle auf hohem Niveau zu fahren. Das ist gut, davon können viele lernen. Aber wie können auch mittlere und kleinere Versorger an die nötigen Informationen gelangen, um die Risiken im Zuströmbereich zu erkennen und richtig einschätzen zu können? Ist das gleiche Niveau für alle nötig oder wie sind sinnvolle Abstufungen machbar ?

    Jede Wasserversorgung ist per Gesetz verpflichtet die Selbstkontrolle durchzuführen. Es ist aber offensichtlich, dass grössere Versorgungen dafür mehr Ressourcen, Knowhow und Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Der SVGW ist daran Hilfsmittel zu entwickeln (u.a. die W12), die auch kleineren Werken ermöglichen wird, die Selbstkontrolle auch bzgl. Fremdstoffen vertiefter umzusetzen. Die WVZ engagiert sich umfassend im Milizsystems des SVGW, um auch anderen Versorgungen entsprechende Hilfestellungen zur Verfügung stellen zu können.

  24. Gemäss TBDV sind die Betreiber einer Trinkwasserversorgungs-anlage unter Berücksichtigung der Anforderungen des Gewässerschutzgesetzes vom 24. Januar 1991 angehalten im Rahmen der gesamtbetrieblichen Gefahrenanalyse periodisch eine Analyse der Gefahren für Wasserressourcen durchzuführen. Faktisch ist das so, dass viele Wasserversorger, insb. die kleinen Wasserversorger, selten oder gar nicht die Grundwasserqualität im Vorfeld der Fassungen (man könnte auch den Zuströmbereich ansprechen) untersuchen. Aus Sicht der kantonalen Laboratorien und der Wasserversorgungen: Was muss gemacht werden, damit sich etwas ändert?

    Siehe Antwort oben.

    Zusätzlich ist hier das Zusammenspiel zwischen WV und den kantonalen Behörden (Umwelt und Lebensmittelkontrolle) zu verbessern. Messprogramme und die gegenseitige Information sind aufeinander abzustimmen. Es macht wenig Sinn, wenn ein Standort beispielsweise im Rahmen des Naqua-Programms von den kantonalen Fachstellen beprobt wird, diese Daten der lokalen WV aber vorenthalten werden. Das Umgekehrte gilt ebenso: Monitoring-Daten der Wasserversorgungen sind eine wertvolle Ergänzung für die meist weniger umfangreichen Datensätze der kantonalen Behörde.

  25. Falls Mischen und Vernetzen als technische Massnahmen nicht möglich sind, welche anderen Massnahmen sind denkbar? Gibt es dafür einen Entscheidungshilfe?

    Massnahmen sollten jeweils fallspezifisch evaluiert werden. Wenn möglich sind zudem längerfristige Lösungen anzustreben, die auch die Herausforderungen aus dem Klimawandel berücksichtigen sollten. Ein Entscheidungstool besteht unseres Wissens nicht.

  26. Die Ausscheidung von Zuströmbereichen wird viel Zeit und Ressourcen (personell, finanziell) beanspruchen, die oft nicht vorhanden sind. Wer soll das finanzieren? Beitrag durch den Wasserversorger? Beitrag seitens Bund?

    Dies trifft zu. Keine Lösung ist «gratis» zu haben. Derzeit laufen einige politisch Geschäfte, die diesen Aspekt aufgenommen haben.

  27. Wird das NAQUA Programm weitergeführt, um die Abbauthematik zu analysieren?

    Das NAQUA-Programm (Nationale Grundwasserbeobachtung) wird in jedem Fall weitergeführt. Das Programm der gemessenen Parameter wird im Jahreszyklus generell den Erfordernissen angepasst. In Bezug auf die PSM-Metaboliten ist ein gezielter Auswahlprozess gemeinsam mit den Kantonen im Aufbau.

  28. In Gebieten sind viele Fassungen durch zu hohe Gehalte an Chlorothalonil Metaboliten betroffen sind, andere hingegen nicht. Zum Teil haben diese Fassungen mit sauberem Wasser aber keine rechtsgültige Schutzzone. Sollte in dieser Situation diese Fassungen nicht weiter-betrieben werden dürfen?

    Dies Situation muss mit den zuständigen kantonalen Behörden für Grundwasserschutz diskutiert werden.

    Derzeit erarbeitet der SVGW eine Empfehlung zur Behandlung von Nutzungskonflikten in Schutzzonen, in der solche Fälle ebenfalls diskutiert werden sollen (Arbeitstitel: W1019).

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