Das Palazzo del Congressi in Lugano machte allein schon von seiner Lage her auf das Thema Wasser aufmerksam: Idyllisch im Zentrum der Stadt, am Ufer des Sees gelegen, war es auch in diesem Jahr der ideale Tagungsort für den «Schweizer Wasserkongress», den SVGW und VSA seit 2015 gemeinsam durchführen.
«Bei Acqua360», so erklärte Raffaele Domeniconi, Leiter SVGW und VSA im Tessin, «möchten wir uns in diesem Jahr auf das Thema Sicherheit in all seinen Facetten konzentrieren. Deshalb haben wir nationale und internationale Referenten verpflichtet, die Sicherheitsaspekte bei der Wasserversorgung und beim Gewässerschutz, aber auch beim Schutz der Bevölkerung vor Gefahren erörtern.»
Die Tagung, so war weiter zu erfahren, solle sich dabei an Personen aus Politik, Wirtschaft, Industrie und Technik richten, aber ganz generell auch an alle, die sich für die Bewirtschaftung der Gewässer der Schweiz interessieren. «Die Veranstaltung», so Domeniconi, «soll deshalb allen Akteuren der Branche die Möglichkeit bieten sich auszutauschen, zu diskutieren und neue Ideen zur Wasserwirtschaft zu entwickeln.»
Den Auftakt der Referierenden machte – nach einem Grusswort von Regierungsrat Claudio Zali – in diesem Jahr Marc Elsberg. Der bekannte Bestseller-Autor wurde Ende der 1960er Jahre in Wien geboren und wuchs in Niederösterreich auf. Dort besuchte er das Gymnasium, schloss mit der Matura ab und begann anschliessend in Wien an der Universität für angewandte Kunst Industriedesign zu studieren. Elsberg arbeitete als Strategieberater und Kreativdirektor in der Werbebranche, unter anderen für Agenturen in Wien und Hamburg. Parallel begann er Kolumnen für Tageszeitungen zu schreiben.
Sein literarisches Debüt hatte der heutige Erfolgsautor im Jahr 2000, damals noch unter seinem bürgerlichen Namen Marcus Rafelsberger, mit dem satirischen Roman «Saubermann», der von einer herabgewirtschafteten Waschmittelmarke handelt, später folgten einige Kriminalromane. Grössere Bekanntheit erreichte Marc Elsberg mit dem Thriller «Blackout – morgen ist es zu spät», deren Inhalt er zum Teil auch am Wasserkongress vorstellte, indem er das Szenario eines flächendeckenden Zusammenbruchs der Stromversorgung und dessen Folgen entwirft. Das Buch war nach seinem Erscheinen sehr positiv rezensiert worden, unter anderem bezeichnete das «Handelsblatt» es als «packend erzählten Thriller» und «Bild der Wissenschaft» beurteilte die Handlung als «gut recherchiert und realitätsnah geschildert».
Weitere Bestseller des Schriftstellers beschäftigten sich in der Folge mit Themen wie «Big Data und Datenschutz» («Zero – Sie wissen was du tust»), mit wirtschaftlichen Konzepten, Erkenntnissen und Theorien («Gier – wie weit würdest du gehen?») oder der mit der Genetik («Helix – Sie werden uns ersetzen»).
«Und dann kam der Knall: Schweizerhalle 1986» unter diesem Titel referierte in Lugano daraufhin Michael Schärer, Leiter der Sektion Gewässerschutz beim Bundesamt für Umwelt (BAFU) über Ereignisbewältigung und Vorsorge im Gewässerschutz.
Wir erinnern uns: Vor ziemlich genau dreissig Jahren, am 1. November 1986 war es, als man in Schweizerhalle, in nächster Nähe zur Agglomeration Basel, kurz nach Mitternacht in einer Lagerhalle des Chemiekonzerns Sandoz, der zehn Jahre später mit Ciba zu Novartis fusionierte, einen Glimmbrand entdeckte. Die Feuerwehren rückten aus, überall ertönten Sirenen und Gestank und Rauch machten sich breit – bis in das Stadtzentrum von Basel hinein. Die Bevölkerung wurde aufgefordert, die Fenster zu schliessen und nicht ins Freie zu gehen. Schülerinnen und Schüler wurden aber trotz allem zum Unterricht geschickt und kurz darauf wieder nach Hause beordert. «Es herrschte sowas wie Weltuntergangsstimmung», bringt es Michael Schärer auf den Punkt.
Über 1350 Tonnen Chemikalien waren in einer Halle gelagert, die bald einmal in Vollbrand stand und bei der die Feuerwehr nur noch die umliegenden Gebäude vor den lodernden Flammen schützen konnte. Der Brand war gegen Morgen gelöscht, doch der nächste Knall folgte sogleich: das Löschwasser spülte rund 30 Tonnen giftige Pestizide in den Rhein, der bald einmal rot gefärbt war. Der Chemikalien-Cocktail töte unzählige Fische auf einer Flusslänge von rund 400 Kilometern, darunter fast sämtliche Aale: «Es war eine grosse Katastrophe für das Ökosystem des Rhein», meinte Michael Schärer: «Und der Schock sass tief. Die Katastrophe wirkte wie ein Weckruf für die Öffentlichkeit, Politik und Gesellschaft, aber auch für die Wirtschaft, Wissenschaft und die Behörden.» Die Gesetzgebungen im Bereich Störfall, Umwelt und Gewässerschutz wurden angepasst, um solche Ereignisse künftig zu vermeiden oder zumindest besser bewältigen zu können – national und international.»
Der nächste Referent, Stefan Brem, leitet in Bern seit dem Jahr 2007 den Fachbereich Risikogrundlagen und Forschungskoordination und ist im Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS) verantwortlich für das Risikomanagement. Sein Team setzt im Sinne des Resilienz-Managements die nationale Strategie zum Schutz kritischer Infrastrukturen vor Cyber-Risiken um. Und unter seiner Leitung wird bis zum Sommer nächsten Jahres nicht nur die nationale Risikoanalyse überprüft und aktualisiert, sondern sie wird auch um weitere Gefährdungen ergänzt.
Am Kongress erläuterte Stefan Brem unter dem Titel «Wasser als kritische Infrastruktur», welche Erkenntnisse und Massnahmen man aus den Risikoanalysen zur Wasserversorgung und -Entsorgung zieht. Er stellte dabei relevante Prozesse der Wasserversorgung und Abwasseraufbereitung dar, erläuterte aber auch, wie verwundbar diese kritischen Teilsektoren sind und welche Gefährdungen darauf einwirken können. Diese Risikobetrachtung setzte er dann in einen weiteren Kontext der aktuell laufenden Überarbeitung der nationalen Risikoanalyse «Katastrophen und Notlagen Schweiz».
Stefan Brems Fazit: «Grundsätzlich bewältigen wir in der Schweiz Schadenereignisse mit lokalen oder regionalen Auswirkungen relativ gut – dies hat die Vergangenheit gezeigt. Angesichts der rasant zunehmenden Vernetzung und der enormen Infrastrukturdichte steigt jedoch unsere Verletzlichkeit.» Im Ergebnis, so der Experte, stelle sich deshalb die Frage: «Wie gut sind wir künftig in der Schweiz auf grosse, nationale Ereignisse mit komplexen Auswirkungen vorbereitet?»
Carlo Scapozza vom BAFU und Samuel Ferrari vom Amt für Wasserläufe des Kantons Tessin erklärten daraufhin das Thema «Risikomanagement bei Hochwasser» am Beispiel des Erdrutsches in der Gemeinde Blenio im Val Selva: «Hochwasser und andere Naturgefahren wird es in der Schweiz immer geben», war sich Scapozza sicher, «doch durch eine optimale Anpassung an diese Bedrohungen können wir die Schäden mit gezielten Massnahmen verhindern oder zumindest begrenzen.»
Der Schutz vor Naturgefahren erfolge dabei heute nach den Grundsätzen des «integralen Risikomanagements»: «Dies ist die Gesamtheit aller Massnahmen und Methoden, mit denen die angestrebte Sicherheit erreicht werden soll», erklärte der Experte. «Es umfasst die periodische Erfassung und Bewertung von Risken hinsichtlich ihrer Akzeptanz. Und daraus werden dann der Handlungsbedarf und die Prioritäten abgeleitet.» Mit geeigneten Massnahmen würde zudem die Entwicklung der Risken gesteuert: «Künftige Risiken kann man meiden, bestehende Risiken auf ein akzeptables Mass minimieren und akzeptable Risiken solidarisch mittragen.»
Das Beispiel des Erdrutsches von Ghirone im Val Selva im Tessin, bei dem rund 30 000 Kubikmeter Geröll den Hang hinunterstürzten und zwei Siedlungen begraben wurden, zeige dabei, dass die «Kombination einer breiten Palette an Massnahmen», das Risiko vermindern helfe. «Im Fall des Val Selva», so führte Samuel Ferrari aus, «wurden als Prozesse für den Erdrutsch Steinschlag und Murgang angenommen. Aus diesem Grunde wurden bei der Konzeptionierung und Dimensionierung der Aufräumarbeiten und ihrer Effizienz auch beide Prozesse berücksichtigt.»
Ein besonderes Problem der Aufräumarbeiten habe jedoch das Risikomanagement der Baustelle selbst betroffen, das für Planer und Bauarbeiter eine grosse Herausforderung dargestellt habe, denn die Räumung der Erdmassen sei bereits ein Jahr nach dem Ereignis erfolgt, als die Situation «noch besonders instabil» und das Risiko von Wiederholungen «noch relativ hoch» waren, erklärte Ferrari abschliessend.
Ebenfalls mit ganz konkreten Beispielen von Risiken setzte sich Yves Quirin vom Amt für Natur und Umwelt (ANU) Graubünden auseinander: Er erläuterte die «Notfallversorgung mit Trinkwasser» am Beispiel «seines» Kantons: das kantonale Konzept Graubündens, so Yves Quirin, unterteile die Wasserversorgungen in drei Grössenkategorien von gross über mittelgross bis klein. Unterschiedlich sei dadurch die Art der Dokumentation der Versorgungen: Kleine Wasserversorgungen müssten sich nicht auf Notlagen vorbereiten. Sie würden im Ereignisfall vom Kanton fremdversorgt. Mittelgrosse Wasserversorgungen müssten eine «vereinfachte Dokumentation» erstellen, in der «eventuell» Massnahmen zur Sicherstellung der Versorgung in Notlagen festgehalten würden. Und grosse Versorgungen müssten schliesslich eine standardisierte Dokumentation nach den Vorgaben des ANU erarbeiten, die sich in eine Bestandesaufnahme, eine Beurteilung der Sicherheit und eine Wasserbilanzierung gliedere.
«Ein eigentliches Bundesgesetz zur Wasserversorgung gibt es nicht», erklärte Yves Quirin am Ende seines Referates: «In erster Linie ist es die Aufgabe der Gemeinden die Bevölkerung mit Trinkwasser zu versorgen. Die dafür notwendigen Anforderungen werden in den unterschiedlichsten Gesetzen definiert. Betreffend Wasserversorgung in Notlagen sind diese bereits Anfang der 1990-er Jahre in einer Verordnung festgehalten worden. Im Jahr 2013 hat die Regierung Graubündens dann das ANU mit der Erarbeitung eines kantonalen Konzeptes beauftragt.»
Dem Thema «Sicherheit und Schutz bei der Wasserversorgung und der Bewirtschaftung der Wasserressourcen» widmete sich daraufhin Professor Alessandro Leto, Direktor der Wasserakademie für eine nachhaltige und verantwortungsbewusste Entwicklung mit Sitz in Lugano. Leto kann zahlreiche wissenschaftliche Publikationen vorweisen und gilt auf internationaler Ebene als massgeblicher Experte auf dem Gebiet der Nachhaltigkeitsstudien. Als Journalist hat er mehrere Dokumentarfilme über Wasser gedreht und das Multimedia-Projekt «Water today» ins Leben gerufen. Im Jahr 2016 war er schliesslich Mitbegründer der Wasserakademie, deren Direktor er heute ist.
«Diverse, global auftretende Phänomene, einschliesslich Terrorismus und Cyber-Risiken», so erklärte Leto am Kongress, «erfordern die Umsetzung neuer Normen, damit der Schutz und die Überwachung der Wasserleitungsnetze punkto Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit gewährleistet ist!» Wasserleitungen seien häufig «strategische Infrastrukturen» und in Bezug auf ihre Wichtigkeit heutzutage oft vergleichbar mit den früheren Energiesystemen. Viel diskutierte Themenaspekte, so Leto, seien deshalb in diesem Zusammenhang der Zugang, die Bewirtschaftung und die Verfügbarkeit der Wasserressourcen – dies sowohl in geopolitischem als auch im makroökonomischem Sinne. «Safety & Security», so der Professor, «sind heute keine reinen Analyseelemente mehr, die auf ferne Gefahren hinweisen, sondern sie sind in den ‘Water Policies’ vieler europäischer Länder zu zentralen Aspekten geworden, gerade auch betreffend Schutz vor möglichen externen Angriffen.»
Ganz explizit mit der «Cyber Security in der Wasserwirtschaft» beschäftigte sich anhand von Fallbeispielen aus der Praxis der Leiter der IT Services bei Rittmeyer: «Heutzutage werden zunehmend Angriffe auf Netzwerke in Energie, Versorgungs- und Entsorgungssystemen beobachtet», führte Patrick Erni aus: «Die klassischen Ziele wie auch die Absichten haben sich dabei geändert. Es geht heute nicht um den Diebstahl von Daten, sondern um Störungen der Prozesse und unmittelbar darum, Instabilität zu erzeugen.» Einige Angriffe oder Programme, die Schaden anrichten sollen, seien zum Beispiel speziell für Attacken gegen bestimmte kritische Infrastrukturen entwickelt worden. Mangelnde Verfügbarkeit von Daten, deren Verfälschung oder gar deren gänzlicher Verlust könnten so für die Infrastrukturen «fatale Folgen» haben.
Doch welche Anforderungen werden heute und in Zukunft an die IT-Sicherheit gestellt? Und welche möglichen Schwachstellen gibt es und wie sehen die Gefahren aus, die daraus entstehen? «Eine neue Anlage», so meine Erni, «ist in der Regel auf dem neuesten Stand der Technik und mit den aktuellsten Schutzmöglichkeiten ausgerüstet.» Aber dennoch brauche es eine sorgfältige Wartung, genaue Kontrollen und vielfältige Analysen der oft heiklen Sicherheitsanforderungen, weil sich die Bedrohungen stetig weiterentwickelten und die Massnahmen gegen sie teilweise wirkungslos würden.
«Die Bedrohungen sind heutzutage real», betonte der IT- Experte zum Ende seines Referates: «Deshalb müssen wir uns mit ihnen auseinandersetzen, um uns möglichst lange gegen Attacken wehren können und darauf vorbereitet zu sein, wenn trotz allem etwas passiert. Hierfür braucht es keinen Riesenaufwand, denn schon mit kleinen, aber steten Schritten lässt sich ein guter IT-Schutz dieser Infrastrukturen erreichen!»
Zum Abschluss des Kongresses gab es zudem eine «Runde am runden Tisch»»: Unter der Moderation von Sharon Bernardi, Journalistin bei RSI, erörterten – neben dem vorherigen Referenten Stefan Brem vom BABS – unter anderem Professor Claudio Valsangiacomo, Mitglied des Schweizer Kops für humanitäre Hilfe, und Mauro Suà, Direktor bei der Azienda Multiservizi Bellinzona (AMB) und bis vor kurzem Präsident der Wasser-Hauptkommission beim SVGW, das Thema «Es war einmal – Szenario einer Katastrophe».
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