Plattform für Wasser, Gas und Wärme
Fachartikel
15. Juli 2019

Umwelt

Gewässer brauchen Wasser

Gewässer prägen vielerorts das Landschaftsbild und sind wichtig für die Biodiversität. In der Vergangenheit wurden die Gewässer in der Schweiz zunehmend verbaut und begradigt. Zudem wurden zahlreiche Wasserkraftwerke erstellt, welche das Wasser aus den Bächen und Flüssen zur Stromproduktion nutzen – oftmals bis auf den letzten Tropfen.

Mit einem Anteil von rund 57% der inländischen Stromproduktion ist die Wasserkraft die bedeutendste Stromquelle der Schweiz. Die Nutzung der Wasserkraft setzte gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein und deren Ausbau hatte seinen Höhepunkt zwischen 1945 und 1970. Heute produzieren schweizweit über 1300 Wasserkraftanlagen Strom. In unserem Land ist das Wasserkraftpotential beinahe ausgeschöpft - 95 % der zur Stromproduktion geeigneten Flüsse und Bäche werden bereits dazu genutzt.  

Die Wasserkraft hinterlässt ihre Spuren

Energie aus Wasserkraft hat ökologische Vorteile. Sie ist erneuerbar und klimafreundlich. Aber sie hat auch negative Auswirkungen auf die Gewässer: Wasserfassungen und Staumauern stellen Hindernisse für Fische und andere Lebewesen dar und halten Gesteinsmaterial, sogenanntes Geschiebe, zurück. Speicherkraftwerke verursachen zudem künstliche Abflussschwankungen, bei denen Gewässerlebewesen auf trockenfallenden Kiesbänken stranden.

Oberhalb der Wasserentnahmen werden die Fliessgewässer gestaut, das Landschaftsbild verändert sich dadurch und Arten, die auf fliessende Gewässer angewiesen sind, finden hier keine geeigneten Lebensräume mehr. Zwischen der Wasserentnahme und der Wasserrückgabe verbleibt zudem oft nur ein Bruchteil des natürlichen Abflusses. Solche Gewässerabschnitte werden als Restwasserstrecken bezeichnet.  

Insgesamt wird in der Schweiz an rund 1400 unterschiedlichen Standorten Wasser für den Betrieb der Kraftwerke aus Fliessgewässern entnommen. Die einzelnen Restwasserstrecken sind teilweise mehrere Kilometer lang.  

In der Zeit, als die Mehrheit der Wasserkraftwerke erbaut und in Betrieb genommen wurden, waren in unserer Gesellschaft Themen wie Umwelt- und Gewässerschutz noch kaum von Bedeutung. Eine gesetzliche Grundlage, um die Gewässer vor einer zu intensiven Nutzung zu schützen, war daher auch nicht vorhanden. So wurde oft sämtliches zur Verfügung stehendes Wasser zur Stromproduktion genutzt. Diese intensive Nutzung hat dazu geführt, dass die Gewässerlebensräume vielerorts zerstückelt und zerstört wurden.

Ohne Wasser kein Leben

Bäche und Flüsse können ihre vielfältigen Funktionen nur erfüllen, wenn sie ausreichend Wasser führen. Kein Wasser bedeutet in erster Linie kein Lebensraum für aquatische Tiere und Pflanzen. Zudem bilden Bachabschnitte mit zu wenig oder gar keinem Wasser für Fische und andere Organismen eine Barriere. Die Vernetzung von unterschiedlichen Habitaten und Populationen ist nicht mehr gewährleistet.

Wanderfische wie zum Beispiel die Seeforelle unternehmen lange Reisen, um alljährlich zu ihren Laichgründen aufzusteigen. Diese Wanderung ist für die Fische äusserst kräftezehrend und wird durch menschliche Einflüsse zusätzlich erschwert. Bachabschnitte mit zu wenig Wasser können die Wanderung beeinträchtigen oder verunmöglichen.

Wasserentnahmen reduzieren ebenfalls die natürliche Abflussdynamik eines Gewässers. Gerade für die ökologisch besonders wertvollen Auenlebensräume ist eine solche Dynamik sehr wichtig. Ohne eine ausreichende Abflussdynamik gehen diese Lebensräume zugrunde.

Auch im Hinblick auf den Klimawandel ist es von grosser Bedeutung, dass in den Restwasserstrecken genügend Wasser vorhanden ist. Da in den Sommermonaten künftig weniger Niederschlag fällt, werden Gewässer häufiger mit den minimalen Restwasserabflüssen auskommen müssen. Je weniger Wasser fliesst, desto schneller erwärmt sich dieses auch. Fische und Wasserlebewesen geraten dadurch unter zusätzlichen Druck.  

Wassermengen seit 1975 in der Verfassung verankert

Die Bedeutung ausreichender Restwassermengen wurde in der Schweiz bereits in den 1970er Jahren erkannt. 1975 wurde in der Bundesverfassung verankert, dass der Bund für angemessene Restwassermengen zu sorgen habe. Zudem machte 1984 die Volksinitiative «zur Rettung unserer Gewässer» politischen Druck. 1991 schrieb das Parlament die Pflicht zu genügend Restwasser im Gewässerschutzgesetz fest. Dieses stellte den indirekten Gegenvorschlag zur Initiative dar und wurde bei der Volksabstimmung im Mai 1992 mit 66% Ja-Stimmen angenommen.  

Die im Gesetz formulierten Vorschriften stellen einen Kompromiss dar zwischen der Wasserkraftnutzung und den Interessen der Umwelt. Die Kantone entscheiden in ihrem Ermessensspielraum. So dürfen neue Kraftwerke im Durchschnitt etwa 88 bis 94% des Wassers zur Stromproduktion nutzen.

Für die Bedürfnisse der Natur bleiben durchschnittlich also nur 6 bis 12% des Wassers. Für Anlagen, welche vor 1992 bewilligt wurden, gelten bis zum Ablauf der Nutzungsbewilligung mildere Anforderungen in Bezug auf das Restwasser.  

Der Druck auf die Gewässer wird in Zukunft weiter zunehmen. Die schweizerische Energiepolitik zielt im Rahmen der Energiewende u.a. darauf ab, die Stromproduktion aus Wasserkraft bis 2050 um etwa 6% zu erhöhen. Die geltenden Gewässerschutzvorschriften müssen jedoch vollumfänglich eingehalten werden. Schliesslich stellen die gesetzlich geforderten Restwassermengen das Minimum dessen dar, was der Lebensraum Gewässer braucht, um das Überleben von Tieren- und Pflanzen zu sichern, sowie seine weiteren ökologischen Funktionen wahrnehmen zu können.  

Die Gewässer von morgen

Die Biodiversität in der Schweiz ist stark unter Druck. Dafür sind zu einem grossen Teil die ökologischen Defizite der Gewässer verantwortlich. Ungefähr 18 % derjenigen Arten, die unmittelbar auf Gewässer angewiesen sind, sind vom Aussterben bedroht, 4 % sind bereits ausgestorben. Ökosysteme an der Schnittstelle von Wasser und Land sind für die Artenvielfalt besonders wichtig - ihr Verlust wirkt sich deshalb besonders negativ auf die Biodiversität aus.

Damit die Wasserkraft in Zukunft nicht nur erneuerbar und klimafreundlich, sondern auch umweltverträglich ist, müssen die negativen Auswirkungen auf die Gewässerlebensräume reduziert werden. Angemessene Restwassermengen, wie sie das Gesetz vorschreibt, sowie Massnahmen zur Verminderung von künstlichen Abflussschwankungen und zur Wiederherstellung der Fischwanderung sowie eines natürlichen Geschiebehaushaltes sind eine Voraussetzung dafür.

 

Sanierung von bestehenden Wasserkraftanlagen

Die gesetzlichen Vorschriften für die Festlegung von angemessenen Restwassermengen sind seit 1992 in Kraft. Werden Kraftwerksanlagen neu erstellt oder wird deren Nutzungsbewilligung erneuert, werden vom Kanton Restwassermengen gemäss diesen Vorschriften festgelegt. Für Wasserkraftwerke welche vor 1992 bewilligt wurden, gelten bis zum Ablauf der Nutzungsbewilligung – welche in der Regel 80 Jahre dauert – reduzierte Anforderungen. Diese Anlagen müssen nur so viel Restwasser abgeben, wie für das Kraftwerk wirtschaftlich tragbar ist.

Falls die Behörde bei bestehenden Anlagen höhere Restwassermengen fordert (z.B. wenn eine Aue von nationaler Bedeutung betroffen ist) wird der Kraftwerkbetreiber dafür entschädigt. Die Restwassersanierung von bestehenden Anlagen hätte ursprünglich bis 2007 und nach Verlängerung der Frist um fünf Jahre bis 2012 abgeschlossen werden müssen.

Die letzte Umfrage des BAFU bei den Kantonen ergab, dass Ende 2018 87% der rund 1'000 Fassungen von Wasserkraftwerken saniert waren.

Kommentar erfassen

Kommentare (0)

e-Paper

«AQUA & GAS» gibt es auch als E-Paper. Abonnenten, SVGW- und/oder VSA-Mitglieder haben Zugang zu allen Ausgaben von A&G.

Den «Wasserspiegel» gibt es auch als E-Paper. Im SVGW-Shop sind sämtliche bisher erschienenen Ausgaben frei zugänglich.

Die «gazette» gibt es auch als E-Paper. Sämtliche bisher erschienen Ausgaben sind frei zugänglich.