Sie habe beim Lesen der Kernaussagen des Weltbiodiversitätsberichts immer wieder Pausen machen müssen, weil die Befunde so deprimierend waren, erklärte sagte Eva Spehn vom Forum Biodiversität der Akademie der Naturwissenschaften gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Selbst in den optimistischsten Zukunftsszenarien, die der Weltbiodiversitätsrat IPBES in seinem Bericht zum Zustand der weltweiten Artenvielfalt darstellt, geht es erstmal weiter mit der Naturverarmung.
«Selbst wenn wir das Ruder herumreissen: Das ist wie ein Tanker, der einen langen Bremsweg hat», sagte Eva Spehn, die Mitglied der Schweizer Delegation bei den Verhandlungen zum Bericht in Paris war. Eines macht der Bericht mehr als klar: Es ist höchste Zeit, mit dem Bremsprozess zu beginnen.
Die Diagnose über den Zustand der Natur, die über 400 Fachleute in dem Bericht zusammengetragen haben, ist erschreckend: Rund eine Million von insgesamt schätzungsweise acht Millionen Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht. Binnen Jahrzehnten könnten viele davon genau so unwiederbringlich ausgelöscht sein wie der Dodo, der seine Krawatte ziere, sagte der ehemaligen IPBES-Vorsitzende Robert Watson an einer Medienkonferenz in Paris.
Das Artensterben beschleunige sich und der Niedergang der Natur habe ein solches Ausmass erreicht, dass schwerwiegende Folgen für den Mensch wahrscheinlich seien, hiess es seitens des IPBES. Drei Viertel der Landfläche und rund zwei Drittel der Meeresfläche der Erde sind demnach signifikant durch den Menschen verändert.
Im Bericht kommt klar zum Ausdruck, dass der Mensch die Verantwortung trägt für den Niedergang der Natur. Als Hauptprobleme nennen die Autorinnen und Autoren des Berichts - in absteigender Abfolge - zu starke Land- und Meeresnutzung, übermässige direkte Nutzung von Pflanzen und Tieren, Klimawandel, Verschmutzung und invasive Arten.
«Die Gesundheit der Ökosysteme, auf die wir und alle anderen Spezies angewiesen sind, verschlechtert sich schneller denn je», warnte der ehemalige IPBES-Vorsitzende Robert Watson. «Wir unterhöhlen das Fundament unserer Volkswirtschaften, Existenzgrundlagen, Ernährungssicherheit, Gesundheit und Lebensqualität weltweit.»
Nur bei vier von 20 der «Aichi-Biodiversitätsziele», die sich die Konferenz der Biodiversitätskonvention (CBD) bis 2020 gesteckt hatte, seien zumindest in Teilbereichen Fortschritte zu verzeichnen. Die meisten dürften verfehlt werden, schrieb der IPBES. Dieser negative Trend der Artenvielfalt und Ökosysteme untergrabe zudem den Fortschritt bei 35 von 44 der Nachhaltigen
Entwicklungsziele der Uno, beispielsweise in den Bereichen Armuts- und Hungerbekämpfung, Gesundheit und Wasserversorgung.
Trotz der deprimierenden Aussagen des Berichts: Die Schlacht sei noch nicht verloren, betonte Anne Laurigauderie, Exekutivsekretärin des IPBES an der Medienkonferenz in Paris. Der Niedergang der Natur lässt sich demnach bremsen, wenn die Menschheit einen grundlegenden Wandel auf allen Ebenen vollzieht, hin zu einer nachhaltigen Nutzung der Natur.
«Die Zukunftsszenarien des Berichts zeigen deutlich, dass ‘Weitermachen wie bisher’ keine Option ist», so Markus Fischer von der Uni Bern, der an dem Bericht beteiligt war. Es gelte nun unter
anderem, neue Zukunftsstrategien zu entwickeln, Verbrauch und Verschwendung zu reduzieren sowie Schutzgebiete auszuweiten, besser zu vernetzen und besser zu managen. Der Zeitpunkt für den Bericht sei günstig, denn 2020 werde die CBD in China über ihre neuen
Biodiversitätsziele verhandeln.
Für die Schweiz liegen die Hauptprobleme bei den Bereichen Nahrungsmittelproduktion, Wohnen und Mobilität, erklärte Franziska Humair vom Bundesamt für Umwelt (Bafu). Insbesondere im Rahmen des Aktionsplans Biodiversität des Bundes arbeite das Bafu mit mehreren Massnahmen daran, die Artenvielfalt im Inland zu fördern.
Zum einen mit direkten Massnahmen im Feld, um die Lebensqualität der Arten in den Schutzgebieten zu verbessern sowie um die Schutzgebiete und weitere, für die Biodiversität wertvolle Flächen besser miteinander zu verbinden. Damit werden Bewegung und Austausch der Arten möglich und die Ökosysteme können so funktionieren, dass auch der Mensch davon profitiert.
Das Bafu arbeite ausserdem intensiv mit den Kantonen und verschiedensten Sektoren zusammen, um Biodiversität in Siedlungen, in der Landwirtschaft sowie im Strassen- und Schienenbereich zufördern. Als Beispiel nennt Franziska Humair Projekte, bei denen die Böschungen an Bahngleisen und Strassen so gepflegt werden, dass neue Lebensräume entstehen.
Nicht zuletzt läge es aber nicht allein an der Politik zu handeln, betont die Expertin für Biodiversität. Die Schweizer Bürgerinnen und Bürger müssten auch ihre eigenen Entscheidungen zu ihrem Konsumverhalten, zu ihrem Wohnen und ihrer Mobilität überdenken.
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