Sie waren Ende Oktober an den Dialogmessen «gat» und «wat» in Berlin. Worum ging es da?
Für mich war es ein optimaler Einstieg in meine neue Funktion beim SVGW, weil ich so gleich aus erster Hand viel Neues über die internationalen Herausforderungen der Branche erfahren konnte. Die Kongresse «gat» und «wat» sind die zentralen Forumsanlässe des deutschen Gas- und Wasserfaches, gewissermassen die Informationsdrehscheiben zu aktuellen ordnungspolitischen Themen.
Und welches waren diese Themen? Oder anders gefragt: Was sind die aktuellen Ziele dieser Branchen?
Es ging vor allem um klimapolitische Ziele, den digitalen Transformationsdruck und die sich verändernden Rahmenbedingungen für die Gas- und Wasserbranche in Europa.
Die Schweiz liegt ja bekanntlich im Herzen von Europa und hier steht fĂĽr 2050 die Energiestrategie an. Wie sehen Sie da die aktuelle Situation?
Die Schweiz verfügt heute über eine sichere und kostengünstige Energieversorgung. Wirtschaftliche und technologische Entwicklungen sowie politische Entscheide im In- und Ausland führen derzeit aber zu grundlegenden Veränderungen der Energiemärkte. Um die Schweiz darauf vorzubereiten, hat der Bundesrat die Energiestrategie 2050 entwickelt. Mit dieser Strategie soll die Schweiz die neue Ausgangslage vorteilhaft nutzen und ihren hohen Versorgungsstandard erhalten. Gleichzeitig trägt die Strategie dazu bei, die energiebedingte Umweltbelastung der Schweiz zu reduzieren.
Wesentliche Bestandteile der Energiestrategie 2050 sind der Ausstieg aus der Kernenergie und der Ausbau der erneuerbaren Energien?
Genau! FĂĽr den Bau von neuen Kernkraftwerken werden keine Rahmenbewilligungen mehr ausgestellt. Und die bestehenden Kernkraftwerke dĂĽrfen nur noch fĂĽr eine gewisse Zeit betrieben werden.
Und bei den erneuerbaren Energien?
Dort möchte man – ohne Wasserkraft – bis zum Jahr 2035 rund 3-mal so viel erneuerbare Energien produzieren wie noch 2018. Dafür hat der Bund als Erstes den Netzzuschlag, welchen Konsumenten auf ihren Strompreis bezahlen, per Januar 2018 um 0,8 Rappen pro Kilowattstunde erhöht. So hat er mehr Geld zur Verfügung, mit dem er die Produktion von Strom aus Sonne, Wind, Biomasse, Geothermie oder Wasser unterstützen kann.
Eine wichtige Funktion kommt bei der Energiewende aber sicherlich auch dem Gas zu?
Definitiv! Die Energiestrategie 2050 verfolgt nicht nur das Ziel, aus der Kernenergie auszusteigen, sondern will auch eine massive Dekarbonisierung der fossilen Energien erreichen. GrĂĽne Gase, erzeugt durch Elektrolyse oder Methanisierung, werden da im Rahmen des Ausbaus der erneuerbaren Energien zusammen mit Biogas einen wichtigen Beitrag leisten.
Dann wird die Bedeutung von Gas in den kommenden Jahrzehnten steigen?
Bestimmt! In Europa wird mit einem wachsenden Bedarf an Gas gerechnet, um die Energienachfrage zu stillen. Erdgas gilt im Vergleich zu anderen fossilen Energieträgern als eine saubere Energie, die über ein grosses Potenzial verfügt: Mit Gas kann man heizen, Wasser wärmen, kochen, kühlen, Strom produzieren – und nicht zuletzt auch Autofahren. Ferner ist der Transport verlustarm, da im Gegensatz zu Strom, Moleküle transportiert werden.
Was ist der Unterschied zwischen Erd- und Biogas?
Beides ist chemisch gesehen grösstenteils Methan aus einer Stoffgruppe der Kohlenwasserstoffe. Im Wesentlichen unterscheiden sie sich in ihrer Entstehung: Erdgas ist in Millionen von Jahren aus biogenen, also organischen Stoffen unter der Erdoberfläche entstanden und gilt als fossile, endliche Energie. Biogas hingegen wird in der Schweiz aus biogenen Abfällen und Reststoffen über mehrere Tage hinweg unter Luftabschluss hergestellt. Es ist eine erneuerbare, klimaneutrale Energie und kann zu Erdgas-Qualität aufbereitet ins Gasnetz eingespeist werden.
Und wie steht es um das Potenzial anderer Energien? Stichwort «erneuerbarer Strom»…
Das Wachstumspotenzial der Wasserkraft ist eher begrenzt. Strom aus Sonnen- und Windenergie ist oft zum falschen Zeitpunkt oder an einem anderen Ort verfügbar. Dieser erneuerbare Strom kann aber in Wasserstoff – oder mit Kohlendioxid angereichert – in Methan umgewandelt und wie bei Power-to-Gas ins Netz eingespeist werden. Ich denke, Erdgas und sein Netz werden so zu einem wichtigen Pfeiler der Energiezukunft unseres Landes, weil die Energie so jederzeit bedarfsgerecht zur Verfügung gestellt werden kann.
Gas kann also bei vielen Aktivitäten unserer Wirtschaft, Gesellschaft und Politik wichtig sein?
Ja, Gas ist essentiell für die Mobilität, die Wärmeversorgung und die Stromerzeugung!
Sie sind erst seit Kurzem beim SVGW, aber schon sehr lange in der Gasbranche tätig: Welches sind für Sie die bisher wichtigsten Stationen in ihrer beruflichen Laufbahn?
Ich habe Maschinenbau studiert und mich vor allem mit Gasturbinen und Verbrennungskraftmaschinen auseinandergesetzt. Danach war ich während über zwei Jahrzehnten bei Grosskonzernen der Energiebrache tätig, wie zum Beispiel bei ABB, Alstom oder General Electric. Ich war zwar international tätig, unter anderem in Dubai, aber habe mich immer als ein kleines Zahnrad in einem grossen Getriebe gesehen. Heute freue mich darauf, beim SVGW in nicht mehr so grossen Dimensionen tätig zu sein, aber mehr bewirken zu können. Die Branche interessiert mich sehr und es gefällt mir, eher national und regional – auch mal in der Romandie oder im Tessin – unterwegs zu sein.
Was hat den Ausschlag gegeben zum SVGW zu kommen? Und wo sehen Sie die wichtigsten Herausforderungen fĂĽr den Verband und die Schweiz?
Der SVGW arbeitet nach dem Milizsystem und das ist fĂĽr den Verband schon eine grosse Herausforderung aber zugleich auch eine riesige Chance: Wir sind sehr auf unsere Mitglieder angewiesen und mĂĽssen den Kontakt mit ihnen rege pflegen. Wichtig ist, dass das grosse Know-how der Branche kompetent weitergegeben wird. Mit unseren Richtlinien, Reglementen und Empfehlungen verfĂĽgen wir ĂĽber ein breites Wissen, das wir professionell weitervermitteln mĂĽssen.
Kürzlich fand in St. Gallen eine nationale Tagung zum Thema «Fernwärme versus Erdgas» statt. Im Wesentlichen ging es dabei darum, passende Wärmelösungen für die Städte in der Schweiz zu finden: Wie schätzen Sie da die Lage ein? Ist es Erdgas, Biogas oder Fernwärme?
Wichtig sind das Miteinander der Technologien und das Nutzen von Synergien. Es wird in Zukunft bestimmt nicht nur eine zentrale Energie geben, sondern ihre Vielfalt ist entscheidend. Wir sollten die Technologien intelligent nutzen, miteinander verbinden und koppeln, aber nicht gegeneinander ausspielen. Hier kann der SVGW mit seiner Vielschichtigkeit enorm viel einbringen.
Gas ist dabei so vielfältig und hocheffizient anwendbar, dass wir in Zukunft kaum darum herumkommen, es in der Energieversorgung einzusetzen. Ich kann mir die Energiewende nicht ohne Gas- Kombikraftwerke mit angebundenem Fernwärmenetz vorstellen.
Weitere Stichworte, die derzeit in aller Munde ist, sind die sogenannten «Game Changer», also bahnbrechende Technologien: Wie sehen Sie da die Situation?
Ja, die bahnbrechenden Technologien oder «Game Changer» gibt es. Wir brauchen wohl künftig vermehrt Technologien, die uns bei unseren Dienstleistungen unterstützen. Ich denke hier zum Beispiel an die Digitalisierung.  Aber auch hier braucht es ein Miteinander von Etabliertem und Neuem, von Gross und Klein oder von Werterhalt, Evolution und Revolution!
Und wie stellen wir dabei sicher, dass wir die Entwicklungen richtig interpretieren?
Wir haben heute derart viele Informationsquellen und Technologien zur Verfügung, dass es nicht immer leichtfällt, die Trends und Entwicklungen richtig zu interpretieren, zu verfolgen oder gar in unseren Entscheidungen umzusetzen.  Da heisst es am Ball zu bleiben, sich gut zu informieren und hoffentlich die richtigen Entscheide zu treffen!
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