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Fachartikel
28. September 2018

Fischbiologie

Neue Berner Oberländer Fischart entdeckt

Im Thuner- und Brienzersee haben Fischbiologen der Eawag und der Universität Bern eine neue Fischart entdeckt. Die provisorisch «Balchen 2» getaufte Art unterscheidet sich morphologisch, ökologisch und genetisch klar von den fünf bisher bekannten Felchenarten des Thunersees. Noch mehr Felchenarten kennt man bisher nur vom 200mal grösseren Onegasee in Russland.

Felchen sind sowohl aus ökologischer wie aus fischereiwirtschaftlicher Sicht für die Alpenrandseen bedeutend – und damit auch für die Forschung. So untersucht eine Gruppe des Evolutions- und Fischbiologen Ole Seehausen am Wasserforschungsinstitut Eawag und an der Universität Bern im Rahmen langjähriger Projekte die Felchenvielfalt der Schweiz und ihrer Nachbarregionen.

Gesucht – und gefunden

Im «Project Lac», der systematischen Bestandesaufnahme der Fische von über dreissig Alpenrandseen in den Jahren 2010-2017, waren Forschende fasziniert von der Felchenvielfalt der Berner Oberländer Seen. In der Folge hat die Doktorandin Carmela Dönz das Erbgut von über 2000 Tieren genauer untersucht und auch historische Berichte, diverse Angaben der Berufsfischer und David Bittners Arbeiten an enetischen Proben aus den kantonalen Monitoring-Programmn der 1950-70er Jahre einbezogen.

Das Resultat: Es gibt eine weitere Felchenart im Thuner- und Brienzersee, die in Erbgut, Körperbau und Laichverhalten gewisse Ähnlichkeiten mit den bisher bekannten «Balchen» und «Felchen» aufweist, sich jedoch klar von beiden unterscheidet. Sie wurde vorläufig «Balchen 2» genannt.

Im Rahmen der Felchenprojekte an der Eawag und der Universität Bern wird diese neue Art nun derzeit wissenschaftlich beschrieben und eine Taxonomie der Berner Oberländer Felchen aufgearbeitet. Mit neu sechs Arten gehört der Thunersee bereits jetzt zu den felchenreichsten Seen der Welt. Mehr Arten, nämlich neun, sind nur noch im westrussischen Onegasee dokumentiert. Allerdings ist  hier nicht klar ist, ob wirklich alle neun Arten zusammen vorkommen oder ob sie sich auf verschiedene geographische Zonen des Riesensees verteilen.

Auch im Vierwaldstättersee kommen sechs Arten vor. Die «Alpnacher Felchen» sind allerdings im Wesentlichen auf das Becken des Alpnacher Sees beschränkt.

Gelegenheit macht Arten

Doch wie sind die Alpenrandseen zu ihren vielen Felchenarten gekommen? «Als die letzte Eiszeit vor etwa 15'000 Jahren zu Ende ging und die Gletscher die Alpenrandseen freigaben, wanderten die Vorfahren der heutigen Felchen ein und nutzten schon bald jede Ecke ihres neuen Daheims», erklärt Carmela Dönz: Einige laichten ganz tief unten, andere nahe an der Oberfläche, dritte dazwischen.»
«Indem sie sich auf unterschiedliche Lebensräume spezialisiert hätten, so die Expertin, konnten die Fische die Ressourcen eines Sees effizienter nutzen. Dies gelte nicht nur für die Wassertiefe, sondern auch für andere Umweltbedingungen.

So entstanden Unterschiede im Körperbau – zum Beispiel an den sogenannten Kiemenreusen, also knöchernen Strukturen an den Kiemeninnenseiten: Felchen, die aufs Leben im offenen Wasser spezialisiert seien, entwickelten dabei Kiemenreusen mit ganz vielen Dornen, mit denen sie das winzige Zooplankton aus dem Wasser filterten. Ihre Verwandten, die sich von grösseren Insektenlarven und Schnecken aus dem Seeboden ernährten, hätten hingegen wenige, robuste Kiemenreusendornen und eine andere Mundform entwickelt.

Weil sich in jeder ökologischen Nische die Tiere mit den besten Anpassungen am besten fortpflanzten, schlugen sich die Unterschiede auch im Erbgut nieder. Und weil sich die verschiedenen Gruppen in unterschiedlichen Wassertiefen fortpflanzten und damit auch bei der Weitergabe ihres Erbgutes getrennte Wege gingen, bildeten sich mit der Zeit neue Arten. Besonders gute Bedingungen hätten dabei hierfür die besonders tiefen Alpenrandseen geboten.

FĂĽnf Spezialisten ...

Drei der Felchen-Arten, die auf diese Weise in den grossen Oberländer Seen entstanden, waren schon bisher bekannt: Die kleinen «Brienzlige», die im offenen Wasser Zooplankton jagen und meist in grosser Tiefe laichen. Die grossen «Balchen», die sich auf Insektenlarven und anderes Futter spezialisiert haben und im seichten Uferwasser laichen. Und die «Felchen», die in vielem den «Brienzligen» ähnelten, aber grösser sind und meist später im Jahr laichen. Dazu kamen im Thunersee die «Kropfer», die wie die Balchen benthisches Futter fressen, aber in grosser Tiefe leben – und die oberflächennahen «Alböcke», die allerdings eine ganz andere Geschichte haben.

... und ein NeuzuzĂĽger

Die neue Studie bestätigt Hinweise, dass die Thunersee-Felchen, die heute „Alböcke“ genannt werden, zu einer anderen Art gehören als der historische „Albock“, der vom 15. bis ins frühe 20. Jahrhundert in schriftlichen Quellen als wichtigste Felchenart des Thunersees erscheint. Die heutigen „Alböcke“ stammen von Felchen aus dem Bodensee ab, die in den 1930er Jahren eingeführt wurden, wie sowohl ihr Erbgut als auch historische Quellen belegen. Wirtschaftliche Bedeutung erlangte die Art nach der – in den Berner Oberländer Seen relativ milde verlaufenden – Gewässerverschmutzung.

„Möglich, dass diese neue Art von den Veränderungen des Ökosystems in den letzten Jahrzehnten profitieren konnte“, meint Carmela Dönz. Dass sich die „neuen Alböcke“ als eigenständige Art in Gegenwart der einheimischen Felchenarten halten konnten, ist für Biologen interessant. Denn ihre Laichzeit und -tiefe überschneiden sich mit denen von Balchen. Bei den Arten, die im gleichen See entstanden sind, gibt es solche Überschneidungen nicht.  Damit wird bei Felchen erstmals die Theorie bestätigt, dass Arten, die in geographischer Abtrennung von einander entstanden sind, oft auch dann miteinander existieren können, wenn ihre ökologischen Nischen überlappen. Im Gegensatz dazu sind unterschiedliche ökologische Nischen bei Arten, die im selben See entstanden sind, oft unentbehrliche Isolationsfaktoren: «Fallen sie weg, vermischen sich die Arten», meint Carmela Dönz. So gingen zum Beispiel während der Gewässerverschmutzung in den meisten grossen Schweizer Seen Felchenarten insbesondere der tieferen Wasserschichten verloren, weil dort der Sauerstoff gefehlt habe. 

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