Die «Energiezukunft 2050» zeigt verschiedene Möglichkeiten zum Umbau des schweizerischen Energiesystems auf mitsamt deren Einschränkungen, Kosten und notwendigen Rahmenbedingungen. Wir haben zusammen mit der Empa das Gesamtenergiesystem modelliert, schliessen so existierende Wissenslücken und schaffen eine solide Faktenlage für anstehende Entscheide in der Energie- und Klimapolitik. Die Studie kann als Richtschnur für Branche, Politik und Gesellschaft dienen. In sie ist ein gewaltiges Know-how eingeflossen. Über 70 Personen aus der Strombranche und der Wissenschaft haben wertvolle Beiträge geleistet.
Um Entwicklungspfade hin zu einem wirtschaftlichen, nachhaltigen und zuverlässigen zukünftigen Energiesystem zu evaluieren, ist eine gesamtheitliche Betrachtung aller Sektoren unerlässlich, insbesondere Energie, Mobilität, Wärme und Industrie. Unsere Modellierung verfolgt diesen gesamtheitlichen Ansatz und berücksichtigt dabei auch die Energieinfrastruktur der Nachbarländer.
Das Modell muss in jedem Szenario Versorgungssicherheit und Klimaneutralität garantieren und optimiert dabei nach ökonomischen Kriterien. Es folgt einer Wenn-dann-Logik.
Die vier Szenarien orientieren sich an zwei inländisch getriebenen Dimensionen: die Integration in den europäischen Energiemarkt einerseits sowie die Akzeptanz für den Bau neuer Infrastruktur im Inland andererseits. Entsprechend liefert die «Energiezukunft 2050» keine Ergebnisse eines Zielszenarios, sondern die Ergebnisse der verschiedenen Ausprägungen oben genannter Dimensionen.
Der Blick in das Jahr 2050 zeigt, dass der Strombedarf in der Schweiz zunehmen wird und dass wir ohne massiv beschleunigten Zubau sowie Steigerung der Effizienz, fokussierten Um- und Ausbau der Netze und einen engen Energieaustausch mit Europa die Energie- und Klimaziele nicht erreichen. Im resilientesten und kostengünstigsten Szenario besteht eine hohe inländische Akzeptanz für neue Energieinfrastruktur und die Schweiz pflegt eine enge Energiekooperation mit der EU.
Weil ein möglichst ungehinderter Zugang zu den sich im Aufbau befindenden europäischen Wasserstoffmärkten und -infrastrukturen entscheidend dafür ist, dass die Schweiz ab 2040 Wasserstoff in grossen Mengen günstig einkaufen kann. Dafür ist aber eine engere Energiekooperation mit Europa in Form eines Stromabkommens oder später eines Energieabkommens nötig. Die Herstellung von Wasserstoff im Inland spielt gemäss «Energiezukunft 2050» eine untergeordnete Rolle, da sie teurer ist als der Import. Generell hinkt die Schweiz der EU in Sachen Wasserstoff hinterher. Es mangelt an strategischer Perspektive, politischem Handeln sowie rechtlichen Rahmenbedingungen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die der VSE zusammen mit dem VSG in Auftrag gegeben hat. Die Politik muss die noch grossen Wenn und Aber beim Wasserstoff so bald wie möglich klären.
Erstens brauchen wir übergeordnet eine nationale strategische Perspektive zu Wasserstoff. Das H2-Strategiepapier des Bundes, das in der zweiten Hälfte 2024 präsentiert werden soll, wird eine wichtige Basis für weitere Schritte sein und vor allem ein politisches Signal an die hiesigen Akteure aussenden, wohin die Reise bezüglich Wasserstoff geht. Aus der Strategie muss hervorgehen, wo und in welchen Mengen Wasserstoff zum künftigen Energiesystem beitragen kann und welches die wahrscheinlichen Anwendungsfelder sind. Zweitens gilt es, den Weg für wichtige Infrastrukturen zu ebnen. Bis diese errichtet sind, braucht es Zeit. Daher müssen wir dies rasch angehen. Die Schweiz braucht Transport- und Speichermöglichkeiten. Auch sind für die grenzüberschreitende Verbindung gemeinsame Projekte mit den Nachbarländern wichtig. Drittens müssen Voraussetzungen für den Handel von Wasserstoff und für seine Wettbewerbsfähigkeit geschaffen werden (beispielsweise durch ein Herkunftsnachweissystem und Marktplätze). Und zu guter Letzt muss die noch herrschende Rechtsunsicherheit reduziert werden, indem Wasserstoff oder erneuerbare Gase generell in der Regulierung mitberücksichtigt und technische Standards für sie festgelegt werden.
Versorgungssicherheit und Klimaneutralität sind unverhandelbare nationale Interessen. Es braucht jeden verfügbaren Energieträger – ungeachtet des chemischen Elements und des Aggregatzustands –, der zu einem sicheren, nachhaltigen und wirtschaftlichen Energieversorgungssystem beitragen kann.
Wasserstoff kann zur Stromproduktion im Winterhalbjahr eingesetzt werden und so zur Verringerung der Winterversorgungslücke beitragen. Das muss nicht bedeuten, dass der Wasserstoff dann auch im Winter produziert wird – was zwar dank beispielsweise Offshore-Windanlagen im Ausland möglich sein sollte. Denkbar wäre auch ein Import aus einem Speicher. Zudem könnte Wasserstoff für ein paar schwer zu elektrifizierende Anwendungen eingesetzt werden, etwa im Schwerverkehr oder in anderen Industriezweigen. Gemäss unserer «Energiezukunft 2050» bleiben dies aber kleinere Anwendungsbereiche.
«Es braucht jeden verfügbaren Energieträger […], der zu einem sicheren, nachhaltigen und wirtschaftlichen Energieversorgungssystem beitragen kann.»
Es gibt Standorte in der Schweiz, wo gute Voraussetzungen herrschen, um Wasserstoff wirtschaftlich herzustellen. Im Sinne des Know-how-Aufbaus ist dies auch wichtig, um mit ausländischen Playern mithalten zu können. Gemäss der «Energiezukunft 2050» dürfte die Wasserstoffproduktion im Inland jedoch eine untergeordnete Rolle spielen. PV-Überschussstrom fällt in zu wenigen Stunden des Jahres an, um extra dafür Elektrolyseure zu bauen. Sie würden sich mit so wenigen Volllaststunden nicht rechnen. Was die Speicherung von Wasserstoff anbelangt, könnten Speicherkapazitäten in der Schweiz und im Ausland für mehr Flexibilität im System sorgen und die Importabhängigkeit sowie die Importkosten reduzieren.
Der VSE hat die Diskussion generell um Sektorkopplung und spezifisch auch Wasserstoff schon seit geraumer Zeit geprägt. Wir betonen das grosse Potenzial von Wasserstoff für eine sichere und klimaneutrale Energieversorgung und machen Druck, dass die Politik ins Handeln kommt und endlich eine strategische Perspektive vorlegt. Mit der im September vorgestellten Polynomics-Studie zu den nötigen Rahmenbedingungen für Wasserstoff in der Schweiz zeigen wir den Handlungsbedarf beim Thema Wasserstoff konkret auf.
Für die Strombranche ist klar, dass wir vom Silodenken abkommen und alle Sektoren, insbesondere Strom, Wärme, Mobilität und Industrie, gesamtheitlich betrachten müssen. Wie wir es in der «Energiezukunft 2050» getan haben.
Ja, diese Energie ist berücksichtigt: 0,7 TWh Strom und 1,2 TWh Wärme für CCS, also CO2-Abscheidung und -Speicherung, wie auch für direct air capture werden benötigt. Die Kosten dafür schätzen wir auf jährlich 3,2 bis 3,7 Milliarden Franken.
«Wir hören immer wieder, dass es bei den Themen Wasserstoff und Importabhängigkeit eine grosse Lücke zwischen den Ergebnissen der Studie und der heutigen Realität und politischen Diskussion gibt.»
Wir hören immer wieder von Expertinnen und Experten, dass es bei den Themen Wasserstoff und Importabhängigkeit eine grosse Lücke zwischen den Ergebnissen unserer Studie und der heutigen Realität und politischen Diskussion gibt. Angeregte Diskussionen haben wir auch über die Auswirkungen der Klimaveränderungen, insbesondere auf die Wasserkraftproduktion, sowie über die Systemkosten geführt. Und natürlich warten viele in der Branche gespannt auf das noch fehlende Puzzlestück, die Verteilnetzstudie, die wir gerade durchführen.
Die vier Szenarien bilden nicht nur den Soll-Zustand im Jahr 2050 ab, sondern auch den Weg dorthin anhand des Ist- Zustands (Referenzjahr) sowie der Simulation für die Jahre 2030 und 2040. Die Grundlagen haben wir gelegt, unser Gesamtenergiesystemmodell können wir jederzeit anpassen und neu rechnen, zum Beispiel wenn getroffene Annahmen sich verändern. Noch haben wir aber keinen Anlass für neue Simulationen. Es kann jedoch gut sein, dass wir in den kommenden Jahren ein Update durchführen. Als Nächstes widmen wir uns dem Stromnetz, die Lebensader der Energieversorgung. Wir arbeiten schon seit einiger Zeit an unserer Verteilnetzstudie, sie ist – wie bereits erwähnt – das noch fehlende Puzzlestück der «Energiezukunft 2050». Damit werden wir die Kosten für das Verteilnetz auch quantitativ modellieren können. Die entsprechenden Kostenberechnungen für die verschiedenen Szenarien und Subszenarien sind am Laufen.
Nach einem Jurastudium an der Universität Bern und dem Erwerb des Anwaltspatents war Michael Frank zunächst beim Bundesamt für Kommunikation (Bakom), bei der Swisscom AG und schliesslich bei der Axpo AG tätig. Seit 2011 ist er Direktor des VSE, des Branchendachverbands der schweizerischen Elektrizitätswirtschaft.
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