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13. Dezember 2024

Studie zur Wasserstoffwirtschaft

Wie kommt Deutschland an ausreichend «grünen» Wasserstoff?

In einem Forschungsprojekt unter Federführung des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) und weiteren neun Forschungseinrichtungen wurde der Frage nachgegangen, woher der zukünftige Wasserstoff für Deutschland stammen soll. Der Abschlussbericht bietet eine Auslegeordnung über 70 Seiten und zeigt die Realitäten auf.

Grüner Wasserstoff hat das Potenzial künftig eine zentrale Rolle bei der Abkehr von fossilen Energieträgern zu spielen. Aus diesem Grund stellt sich die Frage, woher dieser für Deutschland kommen kann. Dieser Frage hat sich das Projekt «Hypat- H2-Potentialatlas» gewidmet und einen Abschlussbericht abgeliefert. Als erstes hält das Projektteam fest, dass Deutschland einen Grossteil des grünen Wasserstoffes samt Syntheseprodukten importieren wird müssen, da auf der einen Seite erneuerbare Energiequellen nur begrenzt zur Verfügung stehen und auf der anderen Seite eine hohe Nachfrage besteht.

Produktionspotenzial und Diversifizierung der Importe

Das Projektteam geht davon aus, dass die Bandbreite des weltweiten Wasserstoffbedarfs im Jahr 2050 in ambitionierten Treibhausgasszenarien zwischen 4 und 11 % des globalen Endenergiebedarfs liegt. Für Deutschland liegt sie u. a. aufgrund der Industriestruktur – insbesondere aufgrund der relevanten Rolle des Stahl- und Chemiesektors als potenzielle Nachfrager – bei ca. 20 % des Endenergiebedarfs.

Das globale Angebotspotenzial an grünem Wasserstoff reiche aus, um die globale Nachfrage zu decken, selbst wenn stark einschränkende Restriktionen wie Wasserknappheit einbezogen werden. Dieses umfangreiche Angebotspotenzial biete Deutschland gute Möglichkeiten zur Diversifizierung seiner Importe und damit zur Risikoabsicherung. Allerdings haben die Analysen des Projektes gezeigt, dass insbesondere kurz- bis mittelfristig eine breitere Diversifizierung die Importkosten steigen lässt, weil Skaleneffekte bei der Herstellung und beim Aufbau der Transportinfrastrukturen fehlen. Viele Länder erreichen die niedrigsten Wasserstoffexportkosten erst im Jahr 2050 (ab einer kritischen Exportmenge von ungefähr 100 TWh/Jahr). Hier fordern die Autoren eine politische Abwägung, um einen geeigneten Grad an Diversifizierung zu bestimmen, der Bezahlbarkeit und Versorgungssicherheit sinnvoll austariert.

Obwohl das Potenzial vorhanden ist (trotz vielfältiger politischer Unterstützung und industrieller Initiativen) kommt der internationale Markthochlauf für Wasserstoff- und Derivate allerdings erst langsam voran und notwendige Investitionen werden nicht im notwendigen Umfang getätigt, so das Projektteam. Dabei spielen die derzeitigen multiplen Unsicherheiten eine wichtige Rolle.

Hohe Preise, hohes Risiko und gute Chancen

Für den Import von Wasserstoff nach Europa werden Kosten von 3,5 bis 6,5 EUR/kg im Jahr 2030 und 2,5 bis 3,5 EUR/kg im Jahr 2050 erwartet. Für Deutschland lägen die zu erwartenden Grosshandelspreise mit ca. 4 EUR/kg im Jahr 2050 auch langfristig vergleichsweise hoch (sogar bei Annahme eines voll etablierten Wettbewerbsmarktes).

Deutschland müsse weltweit gesehen mit den höchsten Wasserstoffpreisen rechnen, was die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie verschlechtert. Die Autoren halten fest, dass mit diesen Voraussetzungen Deutschland in die Gefahr einer Standortverlagerung bzw. einer internationalen Neuordnung von Wertschöpfungsketten gerät. Insbesondere gelte das für Wirtschaftszweige, die im starken internationalen Wettbewerb stehen. Die Politik sei hier gefordert, im Abwägungsprozess Unterstützung für die entsprechenden Industriezweige zu entwickeln. Im Gegenzug habe Deutschland im internationalen Vergleich sehr gute industrielle Voraussetzungen zur Herstellung von Komponenten der Wasserstoffwertschöpfungskette, was Deutschland diesbezüglich in eine gute Wettbewerbssituation bringe.

Wasserstoff nur in ausgewählten Sektoren wirtschaftlich sinnvoll

Die Importpreise und Wettbewerbssituation zusammen mit dem kurz- und mittelfristig knappen Angebot sollten dazu führen, dass der Wasserstoffeinsatz sich auf die Sektoren fokussiert, in denen es kaum andere sinnvolle Optionen gibt (Stahl- und Grundstoffchemie, internationaler Flug- und Schiffstransport, Raffinerien sowie in der Stromerzeugung als Speicheroption). Um Wasserstoff und Derivate in anderen Bereichen wie Gebäudewärme oder der strassengebundene Verkehr in grösserem Umfang einzusetzen, müssten die Preise hierfür sehr niedrig sein, was sich aber derzeit nicht abzeichne. Ausserdem sei dies volkswirtschaftlich nicht zielführend, da in den zuletzt genannten Bereichen die CO2-Vermeidungskosten im Vergleich zu anderen Anwendungen relativ hoch seien.

Transport des grĂĽnen Wasserstoffs

Beim Import von Wasserstoff aus geografisch nahen Ländern, so der Abschlussbericht, ist oft der Pipeline-Import günstig, allerdings kann auch der Schiffsimport bei gewissen Konstellationen wirtschaftlich konkurrenzfähig sein. Dieser bietet mehr Flexibilität und Diversität, wohingegen der Pipelineimport strategische Partnerschaften fördert, aber auch Abhängigkeiten mit sich bringt.

Bei grossen Transportdistanzen zählen Flüssigwasserstoff und Ammoniak beim Schiffsimport zu den wirtschaftlich attraktivsten Optionen. Die EU könne sich im Wesentlichen selbst wirtschaftlich mit Wasserstoff versorgen, während sie bei Derivaten, sowohl bezüglich der benötigten Mengen als auch aus wirtschaftlichen Aspekten heraus, auf Importe angewiesen sei.

Weiterhin ist die Möglichkeit, Wasserstoff unterirdisch zu speichern, um eine möglichst hohe Anlagenauslastung zu erreichen, von hoher Relevanz. Ein zusätzlicher Faktor ist, ob Exporthäfen vorhanden sind und diese sich in der Nähe der Wasserstoffproduktion und -speicherung befinden. Unter diesen techno-ökonomischen Aspekten sind von den im Detail untersuchten Ländern besonders Marokko, die Vereinigten Arabischen Emirate, Kanada, Brasilien sowie Chile interessant.

Investitionsschwerpunkte neu setzen und Exportmärkte aufbauen

Deutschland sollte mit anderen Importnationen innerhalb und ausserhalb der EU kooperieren, u. a. um eine Nachfragemacht aufzubauen. Stünden die Importnationen in Konkurrenz zueinander, könnten die Märkte kleiner werden, was wiederum zu höheren Preisen führen kann. Weltweit benötigen künftig insbesondere Japan und Südkorea Importe.

Als Exportregionen bieten sonnige Regionen, möglicherweise in Kombination mit einem guten Windpotenzial, die günstigsten Produktionskosten. Unter diesen Gesichtspunkt bieten sich Regionen wie der Süden Chiles, die MENA-Region («Middle East and North Africa» / Nahost und Nordafrika), der Mittlere Westen der USA und Australien an.

Die Autoren stellen fest, dass innerhalb der EU derzeit hohe Investitionen in den Ländern stattfinden, die einen hohen Wasserstoffbedarf haben, aber weniger in Ländern mit günstigen Erzeugungspotenzialen. Um die nötigen Exportmärkte schneller aufzubauen, sollte deswegen künftigen Exportländern Zugang zu kostengünstigen Finanzierungen und nationalen Fonds ermöglicht werden. Öl- und Gasländer haben bezüglich des verfügbaren günstigen Kapitals teilweise einen Wettbewerbsvorteil.

Nicht zuletzt sei hierbei wichtig, dass für den Aufbau der Exportmärkte ein gesicherter Absatzmarkt erkennbar sein muss. Dafür brauche es auch klare (nationale und internationale) Regulierungen und stringente Nachhaltigkeitsanforderungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette.

Vorhandenes Wissen in den Exportländern als Faktor

Eine Analyse von neun MENA-Ländern zeige, dass die Türkei und Tunesien bereits industrielles Know-how zu verschiedenen Komponenten der grünen Wasserstofftechnologie besitzen und nur geringfügig schlechter abschneiden als potenzielle europäische Konkurrenten. Hingegen schneiden Algerien, Libyen und Saudi-Arabien hier schlechter ab. Es lasse sich generell zeigen, dass Länder mit einem höheren Anteil an natürlichen Ressourcen wie Öl- und Gas am Bruttoinlandsprodukt signifikant niedrigere Werte bei der Herstellung von Produkten, die eine hohe Komplexität haben, aufweisen. So seien Technologieverfügbarkeit und -zugang wesentliche Engpassfaktoren für den Auf- und Ausbau einer nationalen Wasserstoffwirtschaft in den Exportländern.

Die Chance zu einer Win-Win-Win-Situation

Im Idealfall, so der Abschlussbericht, bietet grüner Wasserstoff Exportländern die Möglichkeit zu einem Triple-Win, bestehend aus Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekten durch die Ausfuhr eines neuartigen und zukunftsträchtigen Rohstoffs, der Dekarbonisierung der einheimischen Wirtschaft und einem Auf- und Ausbau technologischer Kompetenzen. Zudem könnten Wasserstoffexporte die Energiewende in den Exportländern beschleunigen und die Energiepreise im Exportland senken (Senkung der inländischen Wasserstoff- oder Strompreise).

Abschliessend bemerken die Autoren, dass die derzeitigen Unsicherheiten sowohl in den Export- als auch den Importländern weiter hoch sind und der Wasserstoffhochlauf dadurch gefährdet ist. Deshalb bedarf es einerseits der genannten politischen Rahmensetzungen und andererseits weiterer Detailanalysen von deren Wirkungen.

Zum Projekt Hypat

Für die detaillierte Erhebung der weltweiten techno-ökonomischen Potenziale und die Analyse der Wasserstoffketten wurden gekoppelte Energiesystemmodelle entwickelt und eingesetzt, die die Herstellung und die Infrastrukturen einschliesslich der internationalen Transportoptionen sowie die Nachfragen detailliert abbilden sollen.

Weiterhin wurden die Fähigkeiten der Länder, solche kapital- und technologieintensiven Anlagen zu errichten, analysiert. Ebenso wurden die sich für diese Länder ergebenden Chancen erhoben sowie Akzeptanz- und Stakeholderanalysen durchgeführt.

Dem sich hieraus ergebenden Angebot an Wasserstoff- und Syntheseprodukten wurde dann die weltweite Nachfrage der Importländer gegenübergestellt. Dabei wurde Wert darauf gelegt zu analysieren, wie sich künftig Wasserstoffmärkte etablieren und welche Marktpreise von Wasserstoff künftig erwartet werden können.

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