Wird es wärmer, sind viele Arten gezwungen, ihre angestammten Lebensräume zu verlassen und auf der Suche nach kühleren Klimazonen nach Norden oder in höhere Lagen zu ziehen. Lokal können so an Kälte angepasste Arten verloren gehen und durch Arten, die Wärme bevorzugen, ersetzt werden. Im Laufe der Zeit setzen sich wärmeliebende Arten immer mehr durch. Die Forschenden bezeichnen diese Verschiebung der Artenzusammensetzung als Thermophilisierung.
«Global gesehen verstehen wir bereits relativ gut, wie und wie schnell ökologische Gemeinschaften an Land und im Meer auf den Klimawandel reagieren», erklärt Anita Narwani, Leiterin der Gruppe Algenbiodiversität und Ökosystemfunktionen am Wasserforschungsinstitut Eawag. «Wie die Gemeinschaften im Süsswasser im Vergleich zu den terrestrischen auf die Erwärmung reagieren, wurde jedoch noch nicht systematisch untersucht und verglichen.» Gerade die Lebensräume in Seen und Flüssen sind jedoch von grossem Interesse. Ihr Artenreichtum ist überproportional hoch verglichen mit terrestrischen und maritimen Lebensräumen, gleichzeitig ist der Artenrückgang besonders dramatisch. Süsswasserökosysteme zählen ausserdem zu den Lebensräumen, die am empfindlichsten auf menschliche Einflüsse reagieren. Das liegt möglicherweise an den ausgeprägten räumlichen Grenzen, die das Potenzial der Arten zur Ausbreitung einschränken.
Im Rahmen der Forschungsinitiative «Blue-Green Biodiversity BGB» hat ein internationales Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern rund um Anita Narwani und Christian Rixen vom WSL-Institut für Schnee und Lawinenforschung SLF nun erstmals in einer systematischen, globalen Studie die Artengemeinschaften im Süsswasser und an Land analysiert. Sie nutzten alle weltweit verfügbaren Daten, insgesamt 13 324 Datensätze, darunter 6201 terrestrische Gemeinschaften mit Pflanzen, Vögeln, Insekten und Säugetieren und 7123 aquatische Gemeinschaften mit Fischen, Insekten sowie Phyto- und Zooplankton. Die Daten umfassen insgesamt 17 431 Arten und Zeiträume von 5 bis 38 Jahren zwischen 1980 und 2019. «Da wir jedoch nur wenige Daten aus den tropischen und polaren Regionen haben, sind unsere wichtigsten Schlussfolgerungen auf die gemässigten Breiten beschränkt», sagt Anita Narwani.
«Wir haben festgestellt, dass es keine signifikanten Unterschiede zwischen Süsswasser- und Landökosystemen in der Thermophilisierung gibt. Wir beobachten im Süsswasser also das gleiche Muster wie an Land: die Verschiebung hin zu wärmeliebenden Arten, während an die Kälte angepasste Arten seltener werden», fasst Imran Khaliq, Hauptautor der Studie, die kürzlich in der Zeitschrift Nature Communications veröffentlicht wurde, zusammen. Er führte die Analysen als Postdoktorand im Team von Anita Narwani durch. Die Geschwindigkeit der Thermophilisierung als Reaktion auf die Temperaturveränderung unterscheidet sich jedoch: «An Land hat sich die Artenzusammensetzung schneller verändert», sagt Imran Khaliq. «Dieser Unterschied könnte auf die langsamere Erwärmung im Süsswasserbereich zurückzuführen sein. Das setzt die aquatischen Gemeinschaften weniger unter Druck zu reagieren.»
Eine Ausnahme sind Planktongemeinschaften; sie reagieren anders als erwartet. Hier deuten die Analysen darauf hin, dass kälteliebende Arten vom Klimawandel profitieren könnten. «Das hat uns überrascht», sagt Imran Khaliq. «Und die Gründe dafür sind derzeit noch nicht wirklich geklärt.» Eine einfache Erklärung wäre, dass kälteliebende Arten früher in Regionen lebten, in denen die Temperaturen unter ihrer optimalen oder bevorzugten Temperatur lagen. Dieses Phänomen wurde bereits für marine Systeme dokumentiert. Eine Erwärmung wäre also zunächst gut für sie, bevor der Temperaturanstieg so stark wird, dass die kälteliebenden Arten unter Druck geraten und schliesslich auswandern oder aussterben. Dafür spricht auch die Tatsache, dass sich Seen und Flüsse weniger schnell erwärmt haben als Lebensräume an Land.
Eine andere Erklärung könnte sein, dass kälteliebende Arten gut an andere Umweltveränderungen wie die Verfügbarkeit von Nährstoffen angepasst sind. Die beobachtete Zunahme der kälteliebenden Planktonarten könnte also auch einen anderen Grund als die globale Erwärmung haben. «Mit den vorliegenden Daten können wir diese Hypothesen jedoch nicht überprüfen», erklärt Anita Narwani. Sie plant bereits ein weiteres Forschungsprojekt, um die räumliche Verteilung der Arten in 240 Schweizer Seen zu charakterisieren und so eine Erklärung für diese überraschende Beobachtung zu finden.
«Ein weiteres interessantes Ergebnis war, dass in terrestrischen Ökosystemen ein hoher Artenreichtum die Gemeinschaften weniger empfindlich gegenüber dem Klimawandel macht», fügt Anita Narwani hinzu. «Artenreiche Gemeinschaften an Land reagieren also langsamer auf steigende Temperaturen als artenarme Gemeinschaften». Das heisst aber nicht, dass diese Gemeinschaften nicht irgendwann unter Druck geraten werden. Es könnte nur länger dauern. «Es kann auch ein zeitverzögertes Aussterben geben, wenn es eine Verzögerung zwischen der Ursache, in diesem Fall dem Klimawandel, und dem endgültigen Verschwinden einer Art gibt. Und dieses endgültige Verschwinden kann dann sehr schnell erfolgen.» Zwar haben die Forscher einen ähnlichen Trend im Süsswasser beobachtet, also eine höhere Widerstandsfähigkeit bei artenreicheren Gemeinschaften, doch ist der Trend viel weniger ausgeprägt und nicht signifikant.
Die Ergebnisse der Studie und der Vergleich von aquatischen und terrestrischen Ökosystemen helfen zu verstehen, wie ökologische Gemeinschaften auf den Klimawandel reagieren und woher die Unterschiede in ihren Reaktionen kommen. «Die Gründe zu kennen, ist der Schlüssel zur Entwicklung besserer Strategien für den Schutz und die Bewirtschaftung von Ökosystemen und zur Identifizierung der Arten, die besonders anfällig für das lokale Aussterben sind», fasst Anita Narwani zusammen.
Forschungsinitiative Blue-Green Biodiversity
Das Forschungsprojekt «Die Architektur von Artgemeinschaften und trophischen Netzwerke in blau-grünen Ökosystemen» leistet einen Beitrag zur Forschungsinitiative Blue-Green Biodiversity – einer Eawag-WSL-Zusammenarbeit, die sich mit der Biodiversität an der Schnittstelle von aquatischen und terrestrischen Ökosystemen befasst. Die Initiative wird vom ETH-Rat finanziert.
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