(Ank) Krieg und Klima machen es immer offenkundiger: Der Einsatz und die Abhängigkeit fossiler Energiequellen müssen zurückgehen – für «weiter wie bisher» ist es zu spät. Dies belegen die weltweit gestiegenen Temperaturen und Energiepreise. Technisch ist viel bis alles machbar, Probleme sind eher bei der Umsetzung und Finanzierung auszumachen. Allgemein wird rege über Strom, Mangellage, Power-to-Gas, Verschiebung von Sommerstrom in den Winter oder über Hypes wie Biogas diskutiert, aber über den Elefanten im Raum wird häufig geschwiegen: die Heizenergie. Auf ihr Konto geht rund die Hälfte der verbrauchten Energie.
Noch ist die Wärmeversorgung fossillastig. Thermische Netze können dies ändern. Denn sie erlauben die Integration von erneuerbaren Wärmequellen und Abwärme und damit eine rasche Dekarbonisierung. Aber auch die Fernwärmebranche ist bis 2050 gefordert, denn fossilfrei ist sie «nur» zu rund 75% (in Deutschland beträgt der erneuerbare Anteil 15%). Im Fokus des diesjährigen Fernwärme-Forums am 25. Januar in Bern standen Lösungswege zur vollständigen Dekarbonisierung der thermischen Netze.
«Es läuft was!», stellte Ständerat Othmar Reichmuth, Präsident des Verbands Fernwärme Schweiz, zur Eröffnung des Forums mit Blick auf den Mantelerlass und die Beratungen im CO2-Gesetz fest. Dass reihum was läuft, davon konnten sich am Forum rund 520 Personen überzeugen. Ob beim Bund, bei den Kantonen oder Gemeinden, im In- wie im Ausland, in der Forschung wie auch in der Praxis. Überall ist Bewegung und vieles in der Mache.
Auch beim Fernwärme-Verband selbst läuft was resp. viel. So präsentierte Geschäftsführer Andreas Hurni den neuen Namen und Auftritt des Verbands. Der neue Name «Thermische Netze Schweiz», kurz TNS, schliesst nun auch Kälte- und Niedertemperaturnetze ein. Verbunden werden die drei Wörter mit wassergrünen Linien. Sie symbolisieren Leitungen, die Wasser in seinen verschiedenen Formen führen. Das Logo als solches ist eine symmetrische Anordnung kleiner, ebenfalls wassergrüner Quadrate, die in ihrer Mitte das weisse Schweizerkreuz bilden. Die Quadrate in unterschiedlicher Grösse stellen die thermischen Inseln und ihre Vernetzung dar. Mit neuem Namen und Logo geht auch ein neuer Webauftritt einher. Unter www.thermische-Netze.ch resp. www.reseaux-thermiques.ch präsentiert der Verband seine Aktivitäten, Veranstaltungen, Dienstleistungen und erlaubt einen verbesserten Zugang zu Grundlagedokumenten. Eine Stellenbörse soll die Branche auf der Suche nach Fachkräften bestmöglich unterstützen.
Weiter stellte Hurni kurz die 2. Ausgabe der Übersichtsbroschüre zur Aus- und Weiterbildung im Bereich Fernwärme vor und kündigte die Herausgabe des IKT-Minimalstandards Fernwärme und Fernkälte an. Der Verband ist auch an diversen Forschungsprojekten beteiligt, z. B. an den Projekten P2ATES (Geothermiespeicher) oder RES-DHC, bei dem es um die Einbindung erneuerbarer Energien in thermische Netze geht. Das Projekt und seine Ergebnisse wurden im Nachmittagsblock von Laure Deschaintre, Geschäftsführerin Infrawatt, präsentiert. Im März wird ein Leitfaden für die Dekarbonisierung und bereits im Februar den für die Übergangslösungen publiziert. Aktuell gelte es, schnellstmöglich Anschlüsse zur Gewährleistung der Anschlussdichte zu realisieren.
Von der politischen Seite wurde das Thema Dekarbonisierung der Wärmeversorgung top down beleuchtet: Bund, Kanton, dann Städte und Gemeinden, dazwischen eine Stimme aus Brüssel. Begleitet von Mark Knopflers Gitarrenriffs von «Sultans of Swing» trat Reto Burkard, Chef Abteilung Klima des Bundesamts für Umwelt BAFU, ans Rednerpult. Als ehemaliger Leiter Sektion Klimapolitik war er mitverantwortlich für die Umsetzung des Kyoto-Protokolls und nun seit 2020 für diejenige des Übereinkommens in Paris.
«Ist Marco Odermatt der letzte richtige Skifahrer der Schweiz?», fragte sich Burkard beim Anblick des weissen Bandes Schnee, auf dem die Abfahrer das Rennen in Adelboden bestritten. Wie viel braucht es noch, den Klimawandel zu erkennen, der ausserdem messbar ist, wunderte er sich weiter. Die Schweiz sei seit 1872 – so weit reicht die Messreihe zurück – im Schnitt 2,4 Grad wärmer geworden (global 1°C). Werden es erst 5 Grad sein – was bei einer globalen Erwärmung von 2,7 Grad wahrscheinlich ist –, wird die Schweiz eine andere sein als heute, warnte Burkard. Die Erreichung von Netto-Null bis 2050, wie es die Klimastrategie vorsieht, sei also alternativlos. Ausserdem sei sie realistisch, technisch machbar und zudem finanzierbar. Werde nichts unternommen, komme es zu einer weiteren Erwärmung. Deswegen müssten vermeidbare Emissionen reduziert werden mit Massnahmen wie Ausbau und Dekarbonisierung von thermischen Netzen – und zwar jetzt. Dabei verwies Burkard auf die Charta zur Beschleunigung des Ausbaus thermischer Netze oder auf die Fördermittel, die der Bund für regionale und überregionale Energieplanung zur Verfügung stellt. Zudem mache der Bundesrat laufend Vorschläge für die Verbesserung der Rahmenbedingungen z. B. im CO2-Gesetz, im indirekten Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative oder im Mantelerlass.
Mit einer Erinnerung an seinen ersten Besuch in Bern verknüpfte der Däne Birger Lauersen seinen Musikwunsch: «Walk Like an Egyptian» von The Bangles. Anders als die antiken Ägypter tänzeln die Dänen in Sachen Fernwärme nicht rum, sondern gehen rasant vorwärts. Ihre grossen Wärmespeicher belegen dies eindrücklich. Und kein bisschen kryptisch war die Einstiegsgrafik, die Lauersen präsentierte: Mitten in einem Raum voller Leute, die rege über Solarenergie, grünen Wasserstoff und Batterien reden, hockt der reihum ignorierte Elefant namens «Heating». Als Präsident von EuroHeat & Power mit Sitz in Brüssel berichtete Lauersen über relevante politische Entwicklungen in der EU, den bescheidenen erneuerbaren Anteil Fernwärme in Europa (rund 30%) und wie dieser zu erhöhen sei. Im Idealfall dürfe sich dabei die Frage «Eating or Heating» nicht stellen.
Aus Sicht der Kantone berichtete Christoph Gmür über die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung. Der stv. Abteilungsleiter Energie beim Awel, Kt. Zürich, erläuterte die Entwicklung der Mustervorschriften der Kantone, kurz MuKEn. Bei ihrer Einführung 2014 war die Harmonisierung der Vorschriften im Gebäudebereich zentral. Ausser Solothurn haben mittlerweile alle die MuKEn in Kraft gesetzt. Nun stehen die MuKEn 2025 an. Kantonale Vorschriften beim Wärmeerzeuger-Ersatz würden den Umstieg auf erneuerbare Energien beschleunigen, gibt sich Gmür überzeugt: «Die Leute steigen um.» Nun gelte es, keine Zeit zu verlieren.
Mit Photovoltaik auf dem Dach oder einer E-Ladestation vor der Tür des Gemeindehauses sei es nicht getan. Vielmehr müsse jede Gemeinde ihre erneuerbaren Lösungen für Heizzwecke aufzeigen können, meinte Andrea Grüniger, Senior Projektleiterin Eicher+Pauli AG und zugleich Präsidentin der Energiekommission der Aargauer Gemeinde Suhr. Dazu brauche es eine Definition des Fernwärmeperimeters.
Michel Meyers ausgewählter Song hätte nicht passender sein können: «Smoke on the Water» von Deep Purple. Einst in Montreux komponiert, findet heute das grosse Geothermiekonzert etwas weiter westlich statt. So sind zwischen Genfer- und Neuenburgersee einige Projekte bereits abgeschlossen, noch mehr sind in Planung. Damit nimmt die Westschweiz klar eine Vorreiterrolle bei der Geothermie ein. Meyer von Geothermie Schweiz erachtet die Geothermie – ob untief oder mitteltief – als wichtige erneuerbare Quelle. In Paris werden bspw. mit 50 mitteltiefen Anlagen bereits 1,6 Mio. Einwohner mit Wärme versorgt. In München wird bis 2040 dank Geothermie 100% erneuerbare Wärme durch die Netze fliessen. Ganz wichtig dabei: saisonale Wärmespeicher. Diese seien der eigentliche Schlüssel zur Dekarbonisierung.
Kein anderer Song als «Here Comes the Sun» von The Beatles hätte Florian Rueschs Referat besser anmoderieren können. Der Sektorleiter Speicher & Energienetze der OST – Ostschweizer Fachhochschule befasst sich intensiv mit dem unerschöpflichen Sonnenpotenzial. Im Ausland, vor allem in Dänemark, ist die Sonnenenergie weit etablierter als hierzulande. Ruesch rechnete vor, dass mit einer Photovoltaikfläche von 70'0000 m2 und 200'000 m3 Speicher 45% des Wärmebedarfs abgedeckt werden könnte – zu Gestehungskosten von 5–10 Rp./kWh.
«The Heat is On» und damit sie es auch bleibt, braucht es Wärmespeicher. Jörg Worlitchek von der Hochschule Luzern Technik & Architektur in Horw stellte diverse Speichertypen vor. Während Erdsonden-Wärmespeicher in der Schweiz bereits umgesetzt sind, fehlt für Gruben-Wärmespeicher, die sich seit 2013 in Dänemark bewähren, schlicht der Platz. Gut realisierbar in der kleinräumigen Schweiz wären hingegen Tankwärmespeicher. Worlitchek präsentierte ein begrüntes Beispiel, das in eine Münchner Neubausiedlung integriert wurde.
Begleitet von Europe’s «Final Countdown» trat Tony Kluser von Energie360° als letzter Fachreferent ans Rednerpult. Als grösster Gasversorger der Schweiz will sich Energie360° bis 2040 zum Fernwärmeversorger transformieren. Dazu wird das bestehende Gasnetz massiv verkleinert: 300 km Leitungen werden zurück gebaut. Das verbliebene Netz wird erneuerbares Methan und Wasserstoff führen. Ausgebaut wird hingegen das Fernwärmenetz: 200 km Leitungen kommen hinzu, aber auch weitere Energieverbünde. Im Schnitt werden sie pro Jahr eine Energiemenge von rund 15 GWh an die angeschlossenen Haushalte abgeben können.
Das Netz ist nicht die einzige Herausforderung. Betroffen von der Transformation sind auch die Mitarbeiter, Kundinnen und Kunden. Einerseits gilt es, das alte Know-how zu bewahren – schliesslich löst die Fernwärme das Gas nicht von einem Tag auf den nächsten ab –, andererseits müssen neue Kompetenzen geschult und etabliert werden. Auch heissen die Verkäufer längst Energieberater. Sie zeigen der Kundschaft mit all ihren individuellen Bedürfnissen, sämtliche Möglichkeiten zur Energie- und Wärmeversorgung auf.
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Nach dem Forum ist vor dem Forum. Das Datum der nächsten Durchführung steht bereits:
Datum: 25. Januar 2024
Ort: Bernexpo
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