Die Altlasten-Verordnung verpflichtet alle Kantone dazu, belastete Standorte auf Verunreinigungen zu prüfen und wo nötig zu sanieren. Das kantonale Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft (AWEL) des Kantons Zürich beauftragte daher 2013 das Wasserforschungsinstitut Eawag sowie mehrere Ingenieurbüros damit, den Seegrund vor dem Horn Richterswil auf Altlasten zu untersuchen. Das angrenzende Areal an Land war während über 100 Jahren als Industriestandort genutzt worden, bevor es 1976 in den Besitz des Kantons Zürich und 2020 der Gemeinde Richterswil überging. Seit Mitte der 1980er Jahre ist es ein öffentlicher Erholungs- und Badeort. Viele Menschen tummeln sich also dort, wo früher Industrieabwässer in den Zürichsee geleitet wurden.
Die Untersuchungen brachten tatsächlich zahlreiche giftige Metalle ans Licht: Blei, Cadmium, Chrom, Kupfer, Nickel, Zink, Arsen, Zinn und Quecksilber. Die höchsten Konzentrationen wurden für Blei gefunden. Besorgniserregend aber war vor allem das Quecksilber, da es nicht nur für das Ökosystem See und die darin lebenden Pflanzen und Tiere, sondern auch für die Menschen am gefährlichsten ist. In der Folge beurteilte das AWEL die belasteten Sedimente vor dem Horn Richterswil als sanierungsbedürftig.
Das Verursachen von Umweltverschmutzungen verjährt in der Schweiz nicht. Im Falle einer nötigen Sanierung können die Verursacher verpflichtet werden, einen Teil der häufig hohen Sanierungskosten zu tragen, vorausgesetzt die Verunreinigung kann ihnen eindeutig zugeschrieben werden. Die Ergebnisse der 2013 durchgeführten Untersuchungen liessen keine Rückschlüsse zu, wer für die Verunreinigungen im See verantwortlich war und ist. Es stellte sich also die Frage: Wer war’s?
Die Frage war nicht einfach zu beantworten, da am Horn Richterswil seit der Mitte des 19. Jahrhunderts verschiedene Industrien tätig waren. Von 1854 bis 1862 befand sich dort eine Seidenfabrik, die anschliessend für das Färben von Seide genutzt wurde. Im Jahr 1926 wurde das Gelände an ein Unternehmen verkauft, das dort während drei Jahre Baumwolle bedruckte. Zwischen 1928 und 1976 war als letztes Industrieunternehmen eine Gummifabrik am Standort tätig.
Um mögliche Verursacher zu identifizieren, beauftragte das AWEL 2016 die Eawag, den genauen zeitlichen Verlauf der Verschmutzungen zu ermitteln. «Eine Möglichkeit, in die Vergangenheit zurück zu blicken, eröffnen Sedimentbohrkerne», erklärt Nathalie Dubois, Leiterin der Eawag-Forschungsgruppe Sedimentologie und Professorin an der ETH Zürich. Sedimente entstehen am Seegrund durch die Ablagerung von Gesteinspartikeln wie Sand oder Löss und abgestorbenen Wasserorganismen. Jedes Jahr bildet sich so eine neue Schicht, die sich mithilfe wissenschaftlicher Methoden datieren, also einem bestimmten Jahr zuordnen lässt. Da auch Schadstoffe im Wasser nach unten sinken und in den Sedimenten eingelagert werden, lässt sich mit Hilfe der Bohrkerne die Geschichte der Verunreinigungen rekonstruieren.
In den Jahren 2016 und 2017 nahm Remo Röthlin, der seine Masterarbeit bei Nathalie Dubois und Bernhard Wehrli, ehemals Abteilungsleiter an der Eawag und Professor an der ETH Zürich, machte, gemeinsam mit weiteren Forschenden der Eawag 14 Sedimentbohrkerne an unterschiedlichen Stellen am Horn Richterswil. Schicht für Schicht durchleuchteten die Forschenden die Sedimente und untersuchten sie mit Röntgenfluoreszenz-Kernscannern sowie verschiedenen geochemischen und Elementar-Analysen nach Spuren von Schwermetallen. So gelang es dem Forscherteam, den Bohrkernen interessante Fakten zu entlocken und die zeitliche Abfolge der Verunreinigungen zu ermitteln.
«Die meisten Metalle dürften mit Industrieabwässern in den Zürichsee geflossen sein», erklärt Remo Röthlin. «Wir können zwei Etappen unterscheiden.» In einer ersten Etappe, bereits in der Zeit um 1880, gelangten so Chrom, Kupfer, Blei und Zinn in den Zürichsee, vermutlich aus der Textilindustrie. Später, zwischen 1950 und 1960 gelangten weitere Schadstoffe, nämlich Zink und Cadmium, ins Wasser. «Das Zink und Cadmium, das wir in höheren Konzentrationen entlang des Ufers gefunden haben, stammt wahrscheinlich aus der Gummifabrik», erklärt Remo Röthlin. Zink wurde bei der Vulkanisierung von Gummi verwendet. Da Zink in der Natur mit Cadmium verbunden ist, gelangte auch Cadmium als Abfallprodukt in den See.
Quecksilber fanden die Forschenden in verschiedenen Schichten, die höchsten Konzentrationen in einer speziellen Humusschicht, also einer Schicht, die im Gegensatz zu den Sedimentschichten hauptsächlich aus Erde besteht. Die Forschenden vermuten daher, dass das Quecksilber nicht nur vom Industriestandort Horn Richterswil, sondern möglicherweise auch von anderen Orten stammt. Das Quecksilber in der Humusschicht könnte zuerst in Form von kontaminierter Erde am Ufer abgelagert und anschliessend durch Starkregen oder Uferrutschungen in den See geschwemmt wurde. «Das sind jedoch nur Vermutungen, das können wir nicht wissenschaftlich nachweisen», ergänzt Remo Röthlin.
Die neuen Untersuchungen der Eawag deckten aber nicht nur die industriellen Verursacher der Verschmutzungen auf, sie fanden zudem deutlich höhere Konzentrationen der Schadstoffe am Seegrund als bei den ersten Untersuchungen vermutet wurden. «Die Konzentrationen aller nachgewiesenen Metalle überstiegen die vorgeschriebenen Grenzwerte für die Umwelt. Quecksilber sogar um das 10’000-fache», sagt Remo Röthlin. Die erhöhten Werte stellen zwar für die menschliche Gesundheit kein Risiko dar, da sie in den Sedimenten gebunden sind, für die am Seegrund lebenden Organismen könnten sie jedoch gefährlich sein. Es besteht zudem die Gefahr, dass sich die Schadstoffe, allen voran das Quecksilber, im Nahrungsnetz ansammeln und so langfristig auch für den Menschen gefährlich werden können.
Die in den Forschungsergebnissen aufgezeigte genaue zeitliche Zuordnung der Verunreinigungen war eine wichtige Grundlage, aufgrund derer das AWEL die Gummifabrik, die auch heute noch tätig ist, verpflichten konnte, einen Teil der Sanierungskosten zu übernehmen. Da die Verhandlungen über die Finanzierung bis vor kurzem andauerten, konnten die wissenschaftlichen Ergebnisse der Studie erst 2022 publiziert werden. Die Sanierung der belasteten Sedimente ist in Planung und wird in den nächsten Jahren ausgeführt.
Mehr dazu unter:Â Roethlin, R. L.; Gilli, A.; Wehrli, B.; Gilli, R. S.; Wiederhold, J. G.; Dubois, N. (2022) Tracking the legacy of early industrial activity in sediments of Lake Zurich, Switzerland: using a novel multi-proxy approach to find the source of extensive metal contamination, Environmental Science and Pollution Research, 29, 85789-85801, doi:10.1007/s11356-022-21288-6, Institutional Repository
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