Erhebungen des BLV bei den Kantonen haben ergeben, dass von über 1700 Proben rund 73% die rechtlichen Anforderungen erfüllen. 27% der Proben haben Rückstände, die über dem Höchstwert liegen. Die Messungen fanden an Standorten statt, wo Probleme vermutet wurden, wie in landwirtschaftlich intensiv genutzten Gebieten. Die Erhebungen zeigen, dass meistens grossflächige Regionen wie das Mittelland von Höchstwertüberschreitungen betroffen sind. Schnelle und einfache Lösungen wie das Mischen aus verschiedenen Quellen sind nicht möglich.
Das BLV hat im August 2019 zur Sicherstellung eines einheitlichen Vollzugs die Kantone angewiesen, bei einer Überschreitung des Höchstwerts im Trinkwasser Massnahmen zu verfügen, sodass das Trinkwasser innerhalb von 2 Jahren die rechtlichen Anforderungen erfüllt. Das BLV hat nun beschlossen, die Weisung an die Kantone diesen neuen Erkenntnissen anzupassen. Es bleibt grundsätzlich dabei, dass die Kantone verfügen müssen, dass das Trinkwasser zwei Jahre ab Beanstandung die rechtlichen Anforderungen erfüllen muss. Ist aber eine Umsetzung der Massnahmen innert zwei Jahren aus zeitlichen, finanziellen, politischen oder ökologischen Gründen nicht möglich, so kann der Kanton eine längere Frist verfügen.
Die Kantone müssen das BLV über die verfügten Massnahmen informieren. Hinzu kommt, dass die Kantone dafür zuständig sind, dass der Trinkwasserversorger die Öffentlichkeit regelmässig über die Ergebnisse der Analysen und die getroffenen Massnahmen informiert.
Wird der Höchstwert an Chlorothalonil-Abbauprodukten überschritten, bedeutet dies noch keine akute Gefahr für die Gesundheit. Vielmehr muss der Höchstwert eingehalten werden, um vorbeugend den Schutz der Gesundheit zu gewährleisten. Zudem sind im Trinkwasser Abbauprodukte von Wirkstoffen, die besorgniserregende toxikologische Eigenschaften aufweisen, generell einzuschränken.
Seit dem 1. Januar 2020 dürfen Produkte, die den Wirkstoff Chlorothalonil enthalten, nicht mehr verkauft werden. Damit ist die wichtigste Massnahme getroffen, die zu einer Reduktion der Abbauprodukte im Trinkwasser führen wird. Das Fungizid Chlorothalonil wird durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) als wahrscheinlich krebserregend beurteilt. Für den Wirkstoff und seine Metaboliten (Abbauprodukte) im Trinkwasser gilt ein Höchstwert von 0,1 μg/l gemäss Lebensmittelrecht.
Mehr Informationen zu den Massnahmen, welche die Kantonen anordnen, sind in der Weisung zu finden.
Die neue Weisung des BLV löst jene vom 8. August 2019 ab. Wer gehofft hat, die neue Weisung würde den Wasserversorgern mehr Klarheit und Unterstützung bei der Bewältigung der Chlorothalonilproblematik bieten, dürfte enttäuscht sein. Weiterhin gilt, dass der Höchstwert von 0,1µg/l durch einen oder mehrere Metaboliten von Chlorothalonil im Trinkwasser nicht überschritten werden darf. Stellt die Vollzugsbehörde fest, dass gesetzliche Anforderungen nicht erfüllt sind, spricht sie eine Beanstandung aus und ordnet verhältnismässige Massnahmen an.
Die Vorgaben der bisherigen Weisung (rasche Umsetzung von Sofortmassnahmen, weitergehende Massnahmen innert zwei Jahren) bleiben bestehen. Neu erhalten die Kantone aber die Möglichkeit, für die Umsetzung weitergehender Massnahmen eine der Situation angemessene Frist zu verfügen. Wie bisher sind die Wasserversorger aufgefordert, die Konzentration von Chlorothalonil-Metaboliten im Trinkwasser im Rahmen der Selbstkontrolle verstärkt analytisch zu überwachen.
Leider fehlen auch in der neuen Weisung Aussagen zur gesundheitlichen Relevanz von Überschreitungen des Höchstwertes. Ebenso bleibt unklar, was unter «weitergehenden» und «verhältnismässigen» Massnahmen» im Vollzug zu verstehen ist. Aus Sicht des SVGW gehören flächendeckende Investitionen in die Wasseraufbereitung sicherlich nicht dazu. Teure, energieintensive und aufwändige End-of-Pipe-Lösungen höhlen das Vorsorge- und Verursacherprinzip aus und entsprechen auch nicht dem Wunsch der Konsumentinnen und Konsumenten nach möglichst natürlichem Trinkwasser.
Die mit der Weisung verbundene zeitliche Flexibilität bei der Umsetzung weitergehender Massnahmen ist jedoch auch eine Chance für einen möglichst einheitlichen Vollzug in den Kantonen sowie ein Steilpass für die dringend notwendige und langfristig ausgerichtete Wasserversorgungsplanung. Diese Planung muss neben der Belastung durch Pestizidmetaboliten auch andere Aspekte, wie z.B. den vorsorglichen Ressourcenschutz, die Organisation der Wasserversorgung, die regionale Zusammenarbeit oder die zunehmende Trockenheit berücksichtigen.
Der SVGW wird die neue Weisung im Detail analysieren, die Konsequenzen aufzeigen und in enger Zusammenarbeit mit den Kantonen die Wasserversorgungen bei der pragmatischen Umsetzung unterstützen. Am 2. Dezember 2020 bietet sich anlässlich des SVGW-Fachaustausches «Chlorothalonil-Metaboliten im Trinkwasser» die Möglichkeit, sich mit den Vertretern des Bundes und der Kantone auszutauschen und innovative und nachhaltige Lösungsansätze zu diskutieren.
Martin Sager, Direktor SVGW
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