Kurz und prägnant als «die Stimme des Wassers» bezeichnet sich das Netzwerk der Wasserfachleute 4aqua - und das ist durchaus im politisch-gesellschaftlichen Sinne gemeint. 4aqua wurde im Frühling 2020 gegründet. Inzwischen haben sich dem Netzwerk über 150 Fachleute angeschlossen, wie Mitbegründer Peter Hunziker bestätigt: «Wir sehen in unserer täglichen Arbeit die Belastung unserer Trinkwasserressourcen und Gewässer. Den durch Pestizide und andere Schadstoffe verursachten dringenden Handlungsbedarf können wir aus erster Hand bestätigen.»
Man habe erkannt, dass die bestehenden Verbandsstrukturen von SVGW und VSA es nicht zulassen, politische Parolen zu fassen, auch wenn es um das Kernthema Wasser geht. «Es gibt aber Trinkwasser-, Abwasser- und Gewässerfachleute, die sich klarer äussern und gemeinsam nach aussen auftreten wollen. 4aqua ist das Gefäss dafür.», so Hunziker.
«Grundsätzlich unterstützen wir verschiedene Ansätze, welche den Ressourcenschutz Wasser stärken, die Belastung durch Pestizide und deren Abbaustoffe reduzieren und die Nährstoffeinträge in die Gewässer auf ein umweltgerechtes Niveau senken», so Hunziker weiter. «So haben wir uns für eine griffige Pa.Iv. 19.475 zur Pestizidreduktion stark gemacht». Es zeigte sich aber, dass weder eine Lenkungsabgabe auf Pestizide, wie sie in Dänemark erfolgreich eingesetzt wird noch ein numerisch verbindlicher Absenkpfad für Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft mehrheitsfähig sind. Schon bei den verbindlichen Grenzwerten für Pestizide inklusive aller Abbauprodukten in Zuströmbereichen, wurde nur äusserst knapp eine Verbesserung erzielt.
Aktuell können wir als Stimmvolk am 13. Juni 2021 über die Trinkwasserinitiative und die Pestizidverbotsinitiative abstimmen. Um was geht es konkret?
Die aktuelle Politik habe keine überzeugenden Lösungen für die bestehenden Probleme im Gewässerschutz. Deshalb unterstützt 4aqua die Trinkwasserinitiative und will ein starkes Zeichen für eine gewässerfreundliche Landwirtschaft setzen: Landwirte sollen weiterhin Direktzahlungen erhalten, aber nur wenn sie ohne Pestizide produzieren, Antibiotika nicht prophylaktisch einsetzen und einen Tierbestand haben, der mit dem auf dem Betrieb produzierten Futter ernährt werden kann. Kurzum, es werden nur noch Subventionen an die Landwirtschaft ausgerichtet, wenn deren Bewirtschaftungsweisen die Gesundheit und die Umwelt nicht gefährden und das Trinkwasser nicht verschmutzen:
Der Handlungsbedarf im Gewässerschutz ist nachweislich gross. Sauberes (Trink-)Wasser ist auch im Wasserschloss Schweiz keine Selbstverständlichkeit. In den letzten 50 Jahren wurde mit Gewässerschutzmassnahmen zwar viel erreicht, doch zeigen sich insbesondere mit der Belastung durch Stoffe in Kleinstkonzentrationen neue Probleme. Etwa 40% dieser Mikroverunreinigungen in den Gewässern stammen aus den Abwasserreinigungsanlagen, 20% aus der Industrie und dem Gewerbe und 40% aus der Landwirtschaft. Gerda letztere sind sehr relevant für das Grundwasser. So liegen die intensiv bewirtschafteten landwirtschaftlichen Kulturflächen genau da, wo sich die für die Trinkwasserversorgungen wichtigen Grundwasserströme befinden. Deshalb müssen heute rund 1 Mio. Bürgerinnen und Bürger ein Trinkwasser beziehen, das die geltenden Grenzwerte der Pestizidrückstände nicht einhalten kann. Ein Systemfehler! Aber auch viele kleine Oberflächengewässer leiden unter zu hohen Pestizideinträgen aus der Landwirtschaft. Die ökotoxikologischen Grenzwerte werden zum Teil um ein Vielfaches überschritten. Zudem zeigen neuste Echtzeit-Messtechniken der Eawag, dass viele Pestizide die Höchstkonzentrationen kurzfristig um das das 170fache übertreffen im Vergleich zu den Tagesmischproben. Für gewisse Pestizide haben bereits Spitzenkonzentrationen von weniger als einer Stunde schädliche Auswirkungen auf aquatische Organismen.
Haushalte, Industrie und Gewerbe finanzieren dagegen seit Jahrzehnten eine gut funktionierende Siedlungsentwässerung und Abwasserreinigung – nach dem Verursacherprinzip. Mit der laufenden Umsetzung des ARA-Ausbaus wird das Qualitätsproblem bezüglich Mikroverunreinigungen in den grösseren und mittleren Gewässern grossmehrheitlich gelöst werden. Die Fracht wird um über 50% reduziert werden. Der Rest fliesst in Gewässer, wo die gesetzlichen Grenzwerte eingehalten werden. Die Mikroverunreinigungen der Landwirtschaft belasten hingegen direkt die Trinkwasserressourcen und die sensiblen Gewässer und führen zu grossflächigen Überschreitungen der Grenzwerte. Die Gewässerbelastung durch Mikroverunreinigungen erfordern griffige Massnahmen an der Quelle, also auch bei der Landwirtschaft, das Reinigen in der ARA reicht nicht. Es kann nicht sein, dass bei der Landwirtschaft andere Massstäbe gelten.
Auf Grund der Schaumteppiche und der sterbenden Seen wurden in der Schweiz in den 1960er und 1970er-Jahren flächendeckend ARA gebaut, welche die Kohlenstoffverbindungen eliminierten. In den 1980er Jahren wurden wegen den nach wie vor zu hohen Phosphor- und Ammoniumkonzentrationen viele ARA weiter ausgebaut. In den 1990er und 2000er Jahren wurde als weitere Reinigungsstufe in vielen ARA die Denitrifikation erstellt. Stickstoff wird heute insgesamt zu rund 50% aus dem Abwasser entfernt, Phosphor etwa zu 90%. Die ARA halten heute nationale und internationale Zielwerte der Gewässerqualität ein.
Die Landwirtschaft hingegen ist sowohl von den Etappenzielen als auch vom langfristigen Ziel der 50%-Reduktion der Stickstoffeinträge weit entfernt. Stark betroffen ist das besonders schützenswerte Grundwasser; die Landwirtschaft gibt rund 30'000 t Stickstoff/Jahr direkt ins Grundwasser ab, wo er sich als Nitrat anreichert. Die Nitrat-Anforderungen der Gewässerschutzverordnung sind im Ackerland bei mehr als 40% aller Grundwassermessstellen seit Jahren überschritten. Das Nitratproblem ist für viele Wasserversorger seit Jahren ungelöst, der Handlungsbedarf entsprechend gross. In Anbetracht dieser durch die Landwirtschaft verursachten Belastungssituation der Gewässer erstaunt es nicht, dass sie bis heute kein einziges ihrer 13 Umweltziele vollständig erreicht.
Der Grossteil der ARA leiten die verbleibenden Stickstofffrachten in grössere Fliessgewässer in Form von Nitrat ein. Diese Einträge sind aus Sicht Gewässerschutz weitgehend unproblematisch, denn Nitrat reichert sich in den Oberflächengewässern im Unterschied zum Grundwasser nicht an. Die Nitratkonzentrationen liegen denn auch weit unter den für das sensible Grundwasser bedenklichen Werten. Infiltrierendes Oberflächengewässer führt somit zu tieferen Nitratkonzentrationen im Grundwasser. Die gesetzlichen Anforderungen in der Abwasserreinigung werden durch die ergriffenen Investitionen gut eingehalten. Trotzdem ist die Abwasserbranche bereit, die ARA weiter zu optimieren.
Am 13. Juni wird auch über die so genannte Pestizidverbotsinitiative abgestimmt werden. Die Initiative verlangt ein Verbot von synthetischen Pestiziden in der landwirtschaftlichen Produktion, in der Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse, in der Boden- und Landschaftspflege und in der Einfuhr oder Herstellung von Lebensmitteln. Die Initiative operiert mit einem Verbot und nicht durch Lenkungsmassnahmen. Auch wird der für den Gewässerschutz relevante Nährstoffüberschuss ausgespart.
4aqua äussert sich nicht mit einer Parole zur Pestizidverbotsinitiative. Als Netzwerk von Wasserfachleuten will man sich auf sein Fachgebiet beschränken. «Wir verlieren an Glaubwürdigkeit, wenn wir uns als Fachleute für Landwirtschaftsfragen oder gar für internationale Handelsfragen und dergleichen ausgeben.», sagt Peter Hunziker von 4aqua. «Die Annahme der Trinkwasserinitiative hingegen wäre nach der Überzeugung von 4aqua tatsächlich ein Meilenstein und ein unglaublich starkes Signal für den Gewässerschutz.»
Die Agrarpolitik AP22+ wurde im März definitiv sistiert und die Gewässerschutzpolitik in Bundesbern folglich auf Jahre blockiert. Damit können wir aktuell nur mit Annahme der Volksinitiative die Gewässer auf Jahre nachhaltig schützen.
Der VSA unterstützt Massnahmen, die zu einer gewässer- und umweltschonenden landwirtschaftlichen Produktion und einer Trendwende im Umgang mit Pflanzenschutzmitteln führen und somit auch die drei Stossrichtungen der Trinkwasserinitiative. Er unterstützt die Initiative selbst nicht und gibt keine Abstimmungsparole ab.
Der Initiativtext weist aus Sicht VSA diverse Schwachstellen auf, beispielsweise die Formulierung, dass nur noch Betriebe mit «pestizidfreier Produktion» Direktzahlungen erhalten. Dies schiesst über das Ziel hinaus: Ein Pestizid ist per Definition alles was verwendet wird, um einen Organismus zu töten. Zu Pestiziden gehören somit auch für die Umwelt unproblematische Produkte, die im Biolandbau eingesetzt werden und nicht verboten werden sollten. Diese Schwächen können gegen die Initiative verwendet werden.
Der VSA setzte sich sehr für eine möglichst griffige Pa.Iv. 19.475 «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren» ein, die durch das Parlament erarbeitet wurde und voraussichtlich im März (also nach Redaktionsschluss) 2021 in den letzten Punkten bereinigt wird. Die Pa.Iv. umfasst im Wesentlichen das Ziel, Risiken durch Pestizideinsatz um 50% zu reduzieren, sie umfasst auch die Reduktion von Bioziden und einen verbesserten Schutz der Trinkwasserressourcen in den Zuströmbereichen. Sogar eine Nährstoffreduktion wird angestrebt, wenn auch ohne verbindliche Zielwerte. Der VSA setzt auf die Pa.Iv., da diese bezüglich Pestizideinsatz eine relevante Verbesserung bringt und wesentlich schneller in Rechtskraft überführt werden kann, als dies bei der TWI der Fall wäre.
Der Gesetzgeber hat bei der Umsetzung einer Initiative einen grossen Ermessensspielraum, wie der Verfassungstext auf Gesetzesebene formuliert wird. Die Absichten der Initianten bei der Umsetzung von Volksinitiativen sind zwar wichtig, aber nicht alleine entscheidend. Der Gesetzgeber hat stets verschiedene Interessen und rechtliche Vorgaben abzuwägen und miteinander in Einklang zu bringen. So verlangt z.B. das Verhältnismässigkeitsprinzip, dass die den landwirtschaftlichen Betrieben auferlegten Voraussetzungen für den Erhalt von Direktzahlungen so interpretiert würden, dass sie nicht weiter gehen, als sie für die Erreichung des Initiativzwecks tatsächlich erforderlich sind. Ein juristisches Gutachten kommt deshalb zum Schluss, dass die Schwächen der TWI auf Gesetzesstufe bereinigt werden können.
· Gutachten zur Auslegung Tragweite der Trinkwasserinitiative
· Agroscope-Studie I zu den Folgen der Trinkwasserinitiative
· Agroscope Studie II zu den Umweltauswirkungen der Trinkwasserinitiative
· Sonderheft zur Wasserqualität von Aqua Viva
· Fachtagung scnat: «Wasser und Landwirtschaft – Wechselwirkungen und Zielkonflikte»
· Website Trinkwasserinitiative
· Website Leben statt Gift (Pestizidverbotsinitiative)
· Website Zweimal Ja-Komitee (ab 24.3.2021)
· Website Schweizerischer Bauernverband
· Website swiss-Food.ch von Bayer/Syngenta
· Website zu Pflanzenschutzmitteln im Wasser der Eawag
· Faktenblatt scnat zu Pestizide: Auswirkungen auf Umwelt, Biodiversität und Ökosystemleistungen
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Trinkwasserinitiative - einen Schuss ins eigene Bein
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