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27. Dezember 2021

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Gretchenfrage Wasseraufbereitung

Als «Gretchenfrage» wird eine Frage bezeichnet, die auf den Kern eines Problems zielt. In der Wasserversorgung lautet diese Frage: Wollen wir eine aufwendige technische Trinkwasseraufbereitung? In einigen Kantonen wird dies bereits gefordert, nicht zuletzt, weil die Bevölkerung über die Trinkwasserqualität besorgt ist.

Abbauprodukte von Pestiziden, Mikroplastik, Nitrat und jüngst PFAS: Fremdstoffe in unseren Trinkwasserressourcen beschäftigen Bevölkerung und Politik. Immer wieder berichten Medien über Grenzwertüberschreitungen und die Konsumentinnen und Konsumenten sind verunsichert. Kann ich weiterhin bedenkenlos Hahnenwasser konsumieren?

Wenig erstaunlich also, dass immer öfter eine aufwendige Trinkwasseraufbereitung gefordert wird. Das ist zwar aus Sicht der Konsumentinnen und Konsumenten verständlich, stellt die Politik aber vor eine prinzipielle Frage: Verabschieden wir uns vom bewährten Vorsorgeprinzip?

Die Forderung nach Aufbereitung zielt auf den Kern der Problematik. Wenn Wasserversorger eine aufwendige Aufbereitung installieren – wie eine Anlage zur Umkehrosmose – wird auf der anderen Seite die Forderung nach einem vorsorglichen Ressourcenschutz wegfallen. Wieso sollen Landwirtschafts- oder Industriebetriebe Auflagen hinnehmen oder Gemeinden auf Schutzzonen Rücksicht nehmen, wenn das Rohwasser ohnehin aufbereitet wird?

Für mich ist klar: Wenn wir in der Schweiz Trinkwasser weiterhin als naturbelassenes Produkt an die Bevölkerung abgeben wollen, müssen wir den Ressourcenschutz weiter stärken. Der Bau aufwendiger Wasseraufbereitungsanlagen läuft diesen Bestrebungen zuwider und darf höchstens in Ausnahmefällen die Lösung sein. In diesem Sinn ist die Frage nach der Aufbereitung eine Gretchenfrage: Wollen wir im Wasserschloss Schweiz unsere Trinkwasserressourcen für nachfolgende Generationen erhalten oder verunreinigtes Rohwasser aufwendig, energieintensiv und teuer aufbereiten?

 

 

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Kommentare (5)

Manfred Brugger am 10.01 2022 um 14:53

Ressourcenschutz vs. Aufbereitung

Aufbereitung ersetzt nicht Ressourcenschutz und Ressourcenschutz nicht die Aufbereitung. Beides ist und bleibt wichtig! Unbelastetes Grundwasser setzt einen unbelasteten Boden und entsprechende Schichten im Untergrund voraus. Ressourcenschutz bedeutet auch Schutz der aquatischen Biosphäre. Auch die besten Grundwasserreserven können über natürliche Prozesse beeinflusst werden. Hierzu gehört zum Beispiel auch der Eintrag von gelöstem organischen Kohlenstoff aus pflanzlichen Zersetzungsprozessen oder eine störende bzw. hohe Wasserhärte bedingt durch zuviel CO2, Eisen, Mangan, Arsen und Uran geogenen Ursprungs usw. Aufbereitung von Trinkwasser heißt also nicht schlechtes Wasser genießbar zu machen, sondern gutes Wasser noch besser. Bei der Verwendung von Oberflächenwasser (Zürichsee, Bodensee ect.) stellt sich die Frage nach Aufbereitung nicht - sie ist in jedem Falle zwingend erforderlich. Und dennoch käme niemand auf die Idee, dann lassen wir mal alles in den See laufen, ist ja eine Aufbereitung da.... wenngleich dies in der Vergangenheit stellenweise gemacht wurde. Fazit: Ressourcenschutz muss immer oberste Priorität haben. Es geht nicht nur um das Grundwasser, es geht um den aquatischen Lebensraum per se. Und Aufbereitung wo notwendig steht ebenso außer Frage und kann nicht mit Ressourcenschutz aufgewogen werden.

Daniel Hartmann am 06.01 2022 um 12:11

Vorsorgeprinzip

Nachsorge ist für die Gesellschaft und Umwelt immer teurer und problembehafteter als Vorsorge. Da einmal freigesetzte Stoffe nicht mehr zurückgeholt werden können und grossflächig in unseren Trinkwasserressourcen nachweisbar sind, müssen in Problemgebieten immer weitere, teure und energieintensive Aufbereitungsanlagen auf Kosten der Bevölkerung erstellt werden (in Missachtung des Verursacherprinzips). Es ist absehbar, dass in Zukunft auch eine Nachrüstung der Wasserwerke nicht mehr ausreichen wird, um alle Belastungen zu entfernen. Erfreulich, dass der SVGW dies jetzt, ein halbes Jahr nach der Trinkwasserinitiative, klar, aber einmal mehr unter Vermeidung des Hauptverursachers, kommuniziert.

Eduard Höhn am 06.01 2022 um 11:03

Gretchenfrage Wasseraufbereitung

Sehr geehrter Herr Sager, Danke, Ihr Text ist mir aus dem Herzen gesprochen. In Zukunft werden wir beim Grundwasser im Lockergestein wohl stärker unterscheiden müssen zwischen i) Ressource im Wald --> in der Regel unaufbereitet geniessbar; ii) Ressource im Landwirtschaftsgebiet --> Ressourcenschutz verstärken, nicht nur mit Schutzzonen, sondern mit Nutzungsbeschränkungen im Zuströmbereich; iii) Ressource geprägt von Flussinfiltrat mit Abwasseranteil --> Aufbereitung installieren, häufige Qualitätskontrollen, und die Fassung wenn immer möglich (z.B. bei Niedrigwasser, im Sommer/Herbst, etc.) ohne Aufbereitung fahren; iv) Spezielle Verhältnisse herrschen im Karst und anderem Festgestein. Beste Grüsse, Eduard Höhn

Büsser Roger am 06.01 2022 um 09:17

Ressourcenschutz

Grüezi Herr Sager Ich gib Ihnen recht, wir müssen unser Rohwasser weiter schützen und teure Aufbereitungen möglichst ausschliessen. Freundliche Grüsse Roger Büsser, Präsident Wasserkorporation Schänis

Denise Ulrich am 06.01 2022 um 09:14

Gretchenfrage Wasseraufbereitung

Sehr geehrter Herr Sager Vielen Dank für Ihren Blog Beitrag, der eine wichtige Frage bespricht. Neben dem Nachlassen in den Bemühungen die Einträge zu reduzieren, sehe ich ein weiteres Problem, wenn wir bei den Wasserversorgern Umkehrosmosen o.ä. einsetzen werden: Das Wasser verliert so seine gesamte Natürlichkeit, denn Wasser wird durch seine Mineralienmischung ausgemacht, welche von Ort zu Ort verschieden ist. Ich bin dankbar, wenn sich Aqua&Gas für erstere Option (primärer Wasserschutz) stark macht. Es kann nicht sein, dass wir die Systeme immer weiter aufblasen (auch finanziell) und nicht bereit sind, die Ursachen zu beheben. Beste Grüsse Denise

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